Tonkünstler: Puccini/Mendelssohn/Nielsen – Festspielhaus St. Pölten

Dirigent: Vincenzo Militarì. Violine: Benny Tseng

Giacomo Puccini: Preludio sinfonico

Puccini war zu Beginn seiner Komponistenkarriere ein begeisterter Anhänger Richard Wagners., wie man aus diesem kurzen Musikstück deutlich heraushören konnte. Weich, schwärmerisch hört es sich an, nichts noch von „Tosca“ oder „La Bohème“. Als Jugendwerk dafür um so interessanter, weil man sich wundert, wie schnell sich Puccini von Wagner verabschiedet und in seinen Opern eine ihm ganz eigene Tonsprache gefunden hat. Der junge italienische Dirigent Vincenzo Militarì hebt den schwärmerischen Tonus des Preludiums elegant hervor, lässt das Publikum so richtig „romantisch“ träumen. Um dann umso schärfer, in fast aggressivem Ton das nächste Stück zu dirigieren:

Felix Mendelssohn Bartholdy: Konzert für Violine und Orchester e-Moll op.64

Militarì muss sich wohl an die virtuose Rasanz seines Solisten, des Geigers Benny Tseng, anpassen. Tseng stammt aus Taiwan und achtet wie viele Solisten aus dem asiatischen Raum in erster Linie auf klares, virtuoses Spiel. Schnelligkeit ist kein Bonus, sondern Voraussetzung. Ebenso Virtuosität. Dass dabei in manchen Passagen der Schmelz, die Weichheit, wofür das Konzert ja bekannt ist, ein wenig zu kurz kommt, nimmt Tseng in Kauf. Gleich zu Beginn brilliert er mit dem Hauptthema und verleitet Orchester und Dirigent zu einem fast atemlosen Spiel. Im Andante des 2. Satzes lässt er sich dann doch auf die fließende Melodie der Kantilenen ein und kommt zu einer gewissen Ruhe, um im 3. Satz, im Allegro molto vivace, dann vollends mit seinen griffsicheren Fingern zu brillieren.

Carl Nielsen: Symphonie Nr.2 op.16 – „Die vier Temperamente“

Der in Dänemark 1865 geborene Carl Nielsen ist trotz seiner Erfolge zu Lebzeiten bei uns weniger bekannt. Um so spannender ist seine Komposition „Die vier Temperamente“ – inspiriert von der Typenlehre des Hippokrates. Militari und das Orchester waren sich einig: keine Übertreibungen, sondern klare Aussagen: Im ersten Satz „Allegro collerico“ hört man bestens das cholerische Temperament: leise brodelt die Melodie, um sich dann in Grimmigkeit zu steigern, ohne überlaut zu werden – das wäre zu sehr Klischee. In dem dem Phlegmatiker gewidmeten Satz weiß Nielsen gekonnt den Humor einzusetzen: Man hört förmlich die Frage des Phlegmatikers: Soll ich, soll ich nicht? Eher nicht. Die Töne ruckeln und zuckeln, zögern, ein Stück vor, zwei zurück. Das „Andante malincolico“ klingt ganz nach Mahler, obwohl, so heißt es in der Literatur, Nielsen sich nicht viel aus seinem berühmten Zeitgenossen machte. Militarì führt das Orchester mit feiner Behutsamkeit, lässt das Publikum in genüsslicher Traurigkeit schwelgen. Wenig überraschend sprudelt der Sanguiniker über vor Geschäftigkeit, Aber dann- ein zarter, fein komponierter Schluss, der alle vier Temperament tröstlich einschließt.

Ein zufriedenes Publikum dankt mit viel Applaus.

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„Ein Sommernachtstraum“ – Shakespeare und Mendelssohn Bartholdy

Zyklus Literatur im Konzerthaus

Klavierduo: Sivan Silver und Gil Garburg.

Lesung: Oberon: Michael Maertens, Titania: Marie-Luise Stockinger, Puck: Daniel Keberle

Vorspiel: Leise, leise führt uns Mendelssohn Bartholdy in die Welt der Feen ein. Dann beginnt die Musik zu schwirren, es quirlt, hörbar schlägt Puck seine Kapriolen. Dabei wird sicher niemand einschlafen, auch nicht Titania, denn die hat nichts anderes vor, als Oberon zu drohen und sich über ihn zu ärgern- ein klassischer Ehestreit. Der bleibt gelassen – typisch Maertens: ihn kann nichts aus der Ruhe bringen. Pfiffig, witzig greift Puck, alias Keberle, in das Geschehen ein: er knurrt, juchzt, lacht, ist ein Wesen zwischen Tier und Kobold. Jedenfalls amüsiert er Oberon, vor allem aber das Publikum. Dann spielt das Klavierduo das von der Titania geforderte Schlaflied – und Marie Luise Stockinger fällt mit dem Kopf auf den Tisch. So kann Oberon ruhig seinen Zaubertraum über Titania senden, in dem sie sich bekanntlich in einen Esel verliebt. Die Traumhandlung wird nur verkürzt erzählt und durch die Musik vermittelt.

Nach der Pause wird Titania geweckt, Puck amüsiert sich köstlich (und das Publikum mit Puck mit) über diese „Liebesaffäre zwischen Titania und Esel. Oberon verkündet – ganz imperialer Zauberoberherr – das Ende des Traumes und die Versöhnung mit Titania. Mit dem berühmten Hochzeitsmarsch, der für das Paar Theseus und Hippolyta erklingt, endet der Sommernachtstraum.

Besser hätte man das Datum für diese Aufführung wählen können: Der Frühling brach mit voller Schönheit über Wien herein. Im Konzerthaus spielte man eine laue Sommernacht – gekonnt von dem Duo Silver-Garburg am Klavier in den Saal gezaubert. Die Musik spielte an diesem Abend eine tragende Handlungsrolle – viele Teile des Dramas hat Mendelssohn Bartholdy durchkomponiert, der Text „füllt“ die Lücken, die die Musik lässt, geschmeidig aus. Ein gelungener Abend, ironisch- heiter , wie es zum Frühlingsbeginn passt.

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Theater Akzent: Tim Fischer: Ich bin die Leander-Zarah auf Probe

Buch: Ulrich Heissig und Tim Fischer

Musikalische Begleitung: Oliver Potratz: Kontrabass, Matthias Weibrich: Piano, Bernd Oezsevin: Schlagzeug, Hauke Reuhen: Vibraphon

Tim Fischer, der bekannte Chansonnier und Schauspieler, widmet sich erneut der Legende „Zarah“. Wenn er im Titel ankündigt „Ich bin Zarah“, dann meint er es auch. Er wirft keinen Blick von außen auf die wegen ihrer Nazivergangenheit nicht unumstrittene Diva, sondern vertritt sie, ist sie. In diesem Sinne verteidigt er sie. Die Einstellung Zarah Leanders zu ihrer Teilnahme an Ufafilmen, ihren Auftritte bei Goebbels und vor Hitler war je eher naiv, entschuldigend. Daher lässt Tim Fischer sie sagen: „Ich war eine politische Idiotin!“, was soviel heißt, damit sei alles entschuldigt und erklärt. Für Zarah sicher, für die Nachwelt nicht immer.

Im eleganten Abendkleid mit stilsicherem Ausschnitt tritt Zarah zur Probe 1938 an. Von Hamburg aus soll die Tournee durch Deutschland gehen, sie wird ein Riesenerfolg und ihr Comeback ist gemacht! Diese Probe lässt Tim Fischer das Publikum miterleben, betört es mit bekannten Liedern wie „Kann denn Liebe Sünde sein“, „Ich steh im Regen..“ oder „Ich weiß, es wird noch ein Wunder geschehen“. Tim Fischer erreicht mit seiner tiefen Stimme, dem breiten Timbre und dem rollenden R fast den Zauber Zarahs. Aber nur fast. Was fehlt, ist die Weichheit, die damals die Zuhörer in das Lied hineinzog. Bei näherem Nachdenken über dieses „Manko“, kommt man darauf, dass es passt, weil Tim Fischer ein kluges Konzept verfolgt: Er singt von Liebe, die Text scheinen weich, aber dahinter lässt er eine neue Seite aufglimmen: Zarahs Humor, Ironie, Schlagfertigkeit und Witz – Waffen, mit denen sie sich selbt gegen alle Vorwürfe verteidigt. Etwa, dass sie einige Male bei Goebbels eingeladen war und ihn schlagfertig abwehren konnte. Dass sie eben eine gefeierte Diva war, weil sie von der Liebe sang, eine Liebe, die in Kriegszeiten schlechte Karten hatte. Sie sinniert über die brave deutsche Frau, die gerade erfährt, dass ihr Mann in „Tapferkeit vor dem Feind“ sein Leben für das Vaterland gelassen hat. Wie wird sie sich und ihre zahlreichen Kinder durchbringen? Wenn Tim Fischer singt: Ich stehe im Regen, dann ist es auch die Frau, die auf die Rückkehr ihres Mannes wartet, der vielleicht schon gefallen ist. Die Liebe bekommt bei Tim Fischer immer eine Konnotation mit der damaligen schweren Zeit, eine doppelte Message, die über den banal scheinenden Text hinaus auch heißt: Denkt an die Liebe, die so sehr in Zeiten wie diesen fehlt. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum das Publikum ihn als Zarah Leander frenetisch feierte.

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FESTSPIELHAUS ST.PÖLTEN: TONKÜNSTLER-ORCHESTER: RACHMANINOW/MAHLER

Sergej Rachmaninow: Konzert für Klavier und Orchester Nr.3 d-Moll op 30. Klavier: Kyohei Sorita, Dirigent Yutaka Sado

1917 aus Russland in die USA emigriert, fühlte sich Rachmaninow nie wirklich in der neuen Heimat „beheimatet“. Sein Herz und seine Wurzeln blieben russisch. Und seine Musik ebenso. Die Amerikaner sahen in ihm mehr den Tastenvirtuosen als den Komponisten. 1910 wurde das Konzert erstmals in New York aufgeführt und es dirigierte kein Geringerer als Gustav Mahler.

Dieses Klavierkonzert verlangt vom Pianisten all sein Können: Technisch sehr schwierig und thematisch ein WEchselbad der Gefühle – eine muikalische Beschreibung des Komponisten, wie er sich in dem neuen Land fühlte. Kyohei Sorita ist ein technisch perfekter Pianist, sein Spiel ist makellos, seine Läufe beeindruckend. Sein Anschlag hart, exakt, was durch den Steinway noch verstärkt wurde. Und so beeindruckt Sorita mehr durch sein Virtuosentum als durch seine Interpretation. Zwar tönt die Musik eines Zerrissenen laut, heftig und schnell, aber es fehlt ein wenig der Gegenpart: die Zärtlichkeit, die tiefen Gefühle, die Rachmaninow durchaus in das Werk komponierte. Dirigent Yutaka Sado führte das Orchester behutsam und zurückhaltend, ließ die Streicher die Musik wie einen feinen Teppich unter das Klavier legen.

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 1 D-Dur inklusive Blumine. Dirigent der Tonkünstler: Yutaka Sado

Nur kurze Zeit nach den wuchtigen Symphonien eines Bruckners und Brahms schrieb Gustav Mahler seine erste Symphonie, in der er alle strenge Logik eines Symphonikers über Bord wirft. 1884 begann er daran zu arbeiten, schrieb immer wieder Neues hinzu – wie die „Blumine“ (eine musikalische Ehrung der Göttin Flora), ließ manches weg. 1889 wurde das Werk in Budapest uraufgeführt. Der damals sehr gefürchtete Kritiker Edward Hanslik schrieb über diese Symphonie: „Das ist keine Musik!“

Gustav Mahler über diese Symphonie: „Sie muss sein wie die Welt, sie muss alles umfassen, auch die weniger schönen Dinge.“ Das gilt wohl für alle Werke Mahlers.

Yutaka Sado schenkte dem Publikum einen Abend, der tief im Gedächtnis bleiben wird. Selten – besser noch nie – hat man diese Symphonie so voller Zartheit, Wildheit, Romantik, Ironie und Versponnenheit gehört. Behutsam beginnen die Streicher, zart, als öffneten sich die Wolken und ein Sonnenstrahl beleuchtet die Erde. Man spürt, wie sehr Orchester und Drigent miteinander verwachsen sind. Sado dirigiert nicht, er schwingt sich in die Melodien ein und mimmt das Orchester mit auf die innere Reise Mahlers. Heiter ist die Luft ringsum, leise erklingt das Lied „Ging heut morgen übers Feld“, ein Thema kollidiert mit dem nächsten, um sich zu einem siegreichen Ende zu arrangieren. In der „Blumine“ lassen Dirigent und Orchester eine Blüte nach der anderen aufblühen. Frühling ist es! Unmittelbar darauf platzt die Energie eines Dorftanzes auf, dann ein Trauermarsch, der in die Träume über einen Lindenbaum hinüberfließt. Um im nächsten Satz das Unwetter über die Welt ziehen zu lassen, Hornisten und Trommler triumphieren, ohne alles zu übertönen. Mit feinem Fingerspitzengefühl lässt der Dirigent die Motive aufsteigen, gibt ihnen Zeit, ohne sie zu zerdehnen. Dem fulminanten Schluss, den die meisten Dirigenten derartig heftig überdrehen, dass nachher die Ohren schmerzen, gibt er den nötigen Wirkungsraum und Stärke, ohne das Tongebilde im puren Lärm und Getöse versinken zu lassen. Auch das für Mahler so typische triumphale Ende bleibt geformt und ausgefeilt.

Das Publikum dankte mit langem Applaus, standing ovation, das Orchester spendete seinem Dirigenten anerkennendem Beifall mit Geigenbogen und Füßen.

Es war eine Sternstunde der Musik!

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P.S.: Ein Kompliment an Dr. Alexander Moore, der ein interessante Einführung zu den beiden Werken hielt. Und einmal mehr sei das Programm lobend erwähnt. Die Informationen sind für Laien und Profis gleichermaßen interessant.

Volksoper Wien: Jacques Offenbach: Orpheus in der Unterwelt

Fast drei Stunden Ausstattungsorgie! Teils optischer Genuss, teils witzig, teils überflüssig. Julian Crouch, für Bühne und Kostüme verwantwortlich, schwelgt im bewusstem Kitsch, manchmal fein dosiert mit ironischer Wirkung, manchmal schwappt diese Orgie über den Topfrand und wird zu viel. Im ersten Teil genießt man all diese Gags – Theater im Theater, das Bühnenbild wie aus der Kitschmottenkiste mit humorigem Zwinkern; da hüpft Eurydike ( Hedwig Ritter stimmlich ziemlich tough) zwischen Tempelsäulen und sammelt Blumen für ihren Liebsten, einen Schäfer. Sie klagt über ihren langweiligen Ehemann Orpheus, Schäfer tauchen auf, Zeit der Schafschur ist – eines der entzückendsten Ballettszenen des Abends entrollt sich: Schafstanz , zuerst in der vollen Wolle, dann geschoren. Choreographie (Gail Skrela) und Kostüme überschlagen sich hier an Einfällen. Orpheus betritt die Bühne (Daniel Kluge – köstlich in der Selbstverleugnung) und gleicht so gar nicht dem aus der Antike tradierten Bild. Statt eines schönen Jünglings, dessen Gesang Steine zum Heulen bringt, spielt da ein selbstverliebter, unattraktaktiver Langeweiler. Eigentlich kann er gar nicht richtig Geige spielen, als Ehemann und Lehrer taugt er schon gar nicht.

Dann Sprung in die Götterwelt – der Schäfer entpuppt sich als Pluto, Gott der Unterwelt – Timothy Fallon gibt einen behäbigen Gott, stimmlich gut. Dass Eurydike nun in der Unterwelt gefangen gehalten wird, ist ihr gar nicht recht. Sie langweilt sich, niemand liebt sie. In den Szenen mit Styx als Wächter und Fliege (Sebastian Matt) haben die Regisseure viele Chancen auf echt gute Humorszenen vergeben. Denn leider fehlt hier das geistvolle Blödeln, es bleibt nur die reine Blödelei. Noch dazu ist Sebastian Max – wie auch Ruth Brauer-Kvam als öffentliche Meinung oder Marco di Sapia als Zeus – nur schwer verständlich. All die folgenden Szenen im Götterhimmel geraten zu langatmig, da fehlt der kluge Strich. Mühsam gehts mit der Vorstellung jeder einzelnen Gottheit voran – wer weiß schon was über die Büchse der Pandora, das Pantscherl zwischen Mars und Venus oder warum Merkur auf Rollschuhen daherkommt. Die Nomenklatur der Götter ist vielleicht gerade noch aus den klassischen Heldensagen bekannt – und das ist kein gesichertes Wissen. Die Langeweile wird dann von zwei herrlichen Tanzszenen aufgemischt, zuerst durch die Parade der Liebespolizei des Cupido. Da hört man die Kinder vor Lachen kreischen und jubeln. Und darauf der temperamentvoll und toll getanzte Cancan – das war Augenweide für die Erwachsenen. Wie überhaupt die Aufführung mehr durch optische Opulenz und tänzerische Einlagen als durch geistreichen Witz begeistert.

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Bösendorfer Festival: Schubert, Winterreise

Günther Groissböck: Gesang. Florian Krumpöck: Klavier. Kasematten Wiener Neustadt

Das Opernpublikum kennt Günther Groissböck als außergewöhnlichen Sänger und Rollengestalter, etwa als Wassermann in „Rusalka“ oder als Ochs im „Rosenkavalier“. Nun erobert sich Groissböck auch die Liedszene. Ohne seinen ganzen Stimmunfang zu demonstrieren – wie man das von manchen bekannten Opernstars kennt, die sich auch im Lied als Opernstar beweisen wollen – ziseliert er Wort für Wort, Ton für Ton den Schmerz dieses Menschen, der durch den Winter seiner Seele und der Natur geht und erfährt, was Einsamkeit heißt. Tempowechsel und Steigerung vom Piano zum vollen Bass, leise, zart, bis deutlich laut- weil zutiefst verletzt – so führt Groissböck sich und sein Publikum durch diese Reise. Trotz mehrmaliger Störung (Handy und ein dringend notwendiger Rettungseinsatz) bleibt er konzentriert, bleibt in der Seele des Wanderers, macht alle Tiefen durch, allen Schmerz, der sich in Tränen auflöst und doch nicht weniger wird.

Er beginnt nüchtern („Gute Nacht“): Nimmt Abschied von seinem Liebchen, wünscht ihr gute Nacht. Lässt die Hunde heulen. Es klingt wie ein Faktum: eben nach Abschied. Doch mit jedem Lied steigert Groissböck die Intensität bis zum ersten Höhepunkt – zur „Erstarrung“: Tränen gefrieren zu Eis, der Sänger jagt durch den Schmerz, immer nach „ihrem“ Bild suchen, den Schmerz verstärkend. Im „Lindenbaum“ führt er uns durch eine kurze Idylle, die bald in Dramatik umschlägt. Ab nun gibt es keine Wehmut, nur Dramatik. Traum und Wirklichkeit mischen sich , aber daraus erwachend erkennt er: Die Welt ist eben so beschaffen, in dieser Welt bleibt er immer einsam. Die Krähe wird ihm Lockvogel, lenkt seine Gedanken in den Tod. Vorher noch die bittere Erkenntnis: Menschen sollt ich scheuen, ich muss eine andere Straße gehen. Ein letztes Aufbäumen. Dann der Leiermann. Niemand beachtet seine Musik, doch er findet in ihr Ruhe.

Großartig, wie Günther Groisböck diese Reise gestaltete. Begleitet wurde er kongenial von Florian Krumböck. Wie dessen Finger über die Tasten schwebten, Schuberttöne in selten gehörter Zartheit hervorzauberten, dann wieder mit Macht, aber ohne vorlaute Wucht der Dramatik des Liedes folgten – das war Schubert in reinster, vollkommenster Form!

Infos zu weiteren Veranstaltungen

http://www.kasematten-wn.at und http://www.boesendorfer-wn.at

Wiener Konzerthaus: „Capucelli“ im Zyklus „Grenzenlose Musik“

Der Titel ist Programm: Gautier Capucon und sechs junge Cellisten aus der „Classe d`Excellence de Violoncello“ der Fondation Louis Vuitton Paris offerierten ein buntes Programm, gut gemischt aus klassischen und eigens für diese Gruppe komponierten Werken. Spannend, aufregend. Zum Rahmen „Grenzenlose Musik“ passend kommen die Musiker und Musikerinnen aus verschiedenen Ländern: Frankreich, Österreich, Belgien, Deutschland. Alle haben bereits eine internationale Karriere vorzuweisen.

Ein Musikabend wie dieser löst Reflexionen aus: Man spricht überall von der Krise des Theaters, ja der Kultur im allgemeinen. Führt diverse Gründe, wie Pandemie, Krieg oder Umweltprobleme an, die die Menschen vom Besuch eines Kulturevents abhalten. Aber dass dieser Abend ausverkauft war – wie passt das? Die Erklärung ist einfach: Musik, wie sie an diesem Abend erklang, schafft Bildertheater im Kopf. Der Zuhörer muss sich nicht von dümmlichen Einfällen diverser egomanischer Regisseure quälen lassen – er ist sein eigener Regisseur. Und es waren intensive Bilder, die die Capucelli auslösten!

Mit Astor Piazzollas „La muerte del Angel“ wird das ungewöhnliche Programm eröffnet: Keine Tangostimmung, sondern eher verhaltene Trauer. Léo Delibes „Viens Malika“ ist Romantik pur. Spannend, aufregend dann „The Forest“ von Bryce Dessner, eine Komposition eigens für diese sieben Cellisten. Er wurde durch den Brand der Nôtre Dame dazu inspiriert, als die uralten Eichenbalken langsam verbrannten und zu Boden krachten. Hohe Spannung, das Feuer greift um sich, was für die Ewigkeit geschaffen wurde, stürzt in sich zusammen. Die von der Musik evozierten Bilder sind stark!

Das Programm liefert ein Wechselbad der Gefühle: Auf das Schwere folgt Leichtes: Bela Bartok bittet zum Tanz. Gleich darauf rührt das Stück „Lasst mich allein“ zu Tränen: Antonin Dvorák setzt seine Trauer um die von ihm geliebte Schwägerin Josefina Cermakova in zu Herzen gehende Musik um. Getreu dem Motto auf Schweres folgt Leichtes wiegen die sieben Celli das Publikum in zärtlichen Walzertönen von Tschaikowsky, darauf führt Edvard Grieg Peer Gynt in die Halle des Bergkönigs. Interessant, wie Guillaume Connesson seine Liebe zu Gärten in Musik transponiert: Im „Jardin angleis“ sehen wir lange Blickachsen, elegante Landschaften, der „Jardin japonais“ bleibt abstrakt, kühl, während man im „Jardin francais“ Gekicher, Gekose, Zärtlichkeiten, Tratsch und Intrige mithört. Die drei Stücke wurden ebenfalls für diese Gruppe der Cellisten komponiert. Caroline Sypniewski übernimmt die Melodienführung als Carmen von George Bizet. Und wie! Musik und Körper sind eins. Sie IST Carmen, ihr Cello ist Carmen. Grandios! Mit Maurice Ravels „Bolero“ und Bernsteins „Manbo“ aus der Westsidestory reißen die Capucelli das Publikum zu standing ovations hoch. Den begeisterten Applaus belohnen sie mit zwei Zugaben.

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Das Ensemble „TANGO5“ der Wiener Symphoniker spielte Piazzolla und Händel

Titel: Rhythmus und Dynamik. Ort: Bassano Saal im Kunsthistorischen Museum – im Rahmen der Reihe: Donnerstagabend im Kunsthistorischen

Besetzung: Sophie Heinrich Violine, Ivaylo Jordanov Kontrabass, Andrea Wild E-Gitarre, Maria Radutu Klavier, Milos Todorovski Bandoneon

Die Wiener Symphoniker sind für ihre Vielseitigkeit und innovativen Ideen für Aufführungsorte bekannt. Sie spielen in Gaststätten, an ungewöhnlichen Orten in den Wiener Bezirken und eben auch im Kunsthistorischen Museum. TANGO5 wurde 2021 gegründet mit dem Ziel, den „Tango Nuevo“ von Astor Piazzolla dem Publikum näher zu bringen. Mit Einsatz und Mut zum Experiment beeindruckten sie an diesem Abend im Bassano Saal des Museums, der bis zum letzten Platz gefüllt war.

„Ja, wir können auch Tango spielen“, begrüßte Sophie Heinrich humorvoll das Publikum. „Und ja, wir sind überzeugt, Händel und Tango gehen wunderbar zusammen!“ Die Gemeinsamkeit liegt in der starken Emotionalität. In der Oper „Giulio Cesare in Egitto“ geht es um ganz große Dramatik und Liebe. Die vom Ensemble ausgesuchten Stücke – Ouvertüre, die Arie der Kleopatra „Piangero la sorte mia“ und „Da tempeste il legno infranto“- sind Musik voller Traurigkeit, Sehnsucht – Elemente, die sich im Tango wiederfinden.

Jeder Tango erzählt von Sehnsucht und Schmerz, die unerfüllte Sehnsucht ist süßer Schmerz, vom Bandoneon in langanhaltenden Tönen und langsamen Rhythmen interpretiert. Daher kein Tango ohne Bandoneon! Der Bandoneonspieler Milos Todorowsi war akklamierter Meister dieses Instruments, Sophie Heinrich eine temperamentvolle Geigerin, die den Rhythmus trug, Maria Radutu eine einfühlsame Klavierspielerin, Anna Wild brillierte auf der E-Gitarre und Ivaylo Jordanov ein sicherer Kontrabassist, der für den dunklen Untergrund sorgte.

Buenos Aires ist Tango, ist schön und hässlich, ist elegant und verlottert, ist banal und interessant. Ist Musik, Duft und stinkender Höllenlärm. Tango und Buenos Aires sind eins, ein faszinierendes und verwirrendes Konglomerat“, schrieb ich einmal während einer meiner zahlreichen Aufenthalte in Buenos Aires. Und weiter heißt es in meinen Aufzeichnungen:

 „Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sprach die Welt plötzlich von der reichen Stadt Buenos Aires. Aus Europa holte man sich Architekten und Künstler, um aus der namenlosen Stadt ein neues Paris, London, Madrid und New York zu machen.  Mit an Bord waren die Armen aus allen Teilen Europas: Italiener, Spanier, Polen, Franzosen, Engländer, die nichts weiter mitbrachten als die Sehnsucht nach ihrer Heimat, ihre Musik und die Hoffnung auf das große Geld. Geblieben sind die Sehnsucht und die Musik. Aus der Hoffnung wurde Hoffnungslosigkeit, und aus dem Gemisch von allem entstand der Tango. In den Bars und auf den Plätzen der Vorstädte tanzten die Einwanderer ihre Enttäuschungen weg, sangen von Liebe, Betrug, untreuen Frauen und dem großen Unglück des Lebens. Der Tango war bittersüß, melancholisch, erotisch und oft auch politisch brisant, daher auch lange Zeit bei den braven Bürgern verpönt. Aber die Verlockung dieser Musik war zu groß. Bald erlag ganz Buenos Aires dem Tangofieber, der Tango wurde salonfähig. In jedem Viertel gab es Tanzsalons, Tangoorchester und Tangosänger. Der Sänger Carlos Gardel, der Komponist Astor Piazzolla und Dichter wie Jorge Luís Borges oder Horacio Ferrer machten den Tango weltweit bekannt. Heute verleiht der Tango jedem Stadtviertel von Buenos Aires einen speziellen Mythos, eine unverwechselbare Aura, in die einzutauchen es sich lohnt. Wie und wo man Tango tanzt, das wird zum Signum des Viertels. Nur wenige „barrios“ (Stadtviertel) sind tangofrei.

Ich entkomme ihm nirgendwo. Sich gegen ihn zu wehren, ihn negieren zu wollen ist sinnlos. Er ist das ideale Instrument, mit und in der Stadt zu leben, ihren Puls zu spüren und vom Zuschauer zum Mitmacher aufzusteigen. Und so verbringe ich meine Sonntage in San Telmo. Vor mehr als hundert Jahren zogen die reichen Bürger aus Angst vor der Cholera weg, und Arbeiter aus der Vorstadt nahmen die Patrizierhäuser in Besitz. Der Putz blätterte ab, die Fenster wurden blind, die Gehsteige voll mit Abfall. Diese vernachlässigte Pracht ist heute der ideale Background für Tango und lockt Tänzer und Nichttänzer an. Aus den Cafés, den Wohnungen und Tanzsalons ertönt Tangomusik bis in den frühen Morgen.

Jeden Sonntag tanzen auf der Plaza Dorrego mitten zwischen Buden voll mit Trödel und so genannten Antiquitäten Profitänzer. Hitze oder Regen scheinen ihnen nichts auszumachen. Wenn sie am Abend das Feld räumen, dann ziehen die Hausfrauen von San Telmo Tanzschuhe an und tanzen mit Ehemann oder Sohn bis spät in die Nacht. Sie tanzen ihren eigenen Stil, schwungvoll, erotisch und gefühlvoll. Ich mische mich mit Begeisterung unter sie, weil ich auf den Dichter Horacio Ferrer vertraue, wenn er sagt: „In Buenos Aires ist jeder ein „tanguero“, (einer, der den Tango liebt), auch wenn er nicht tanzen kann.“

Warum ich an dieser Stelle meinen persönlichen Erinnerungen so großen Raum gebe? Weil ich an diesem Abend gespannt warte, ob der Tango, wie ihn das Ensemble spielt, mich erreicht, mich die Gegenwart und den Raum um mich herum vergessen und Buenos Aires in mir aufsteigt lässt. Zum Großteil ist es gelungen, besonders während des Tangos „Adios Nonino“. Vielleicht auch, weil gerade dieser Tango zu meinen Lieblingsstücken zählt und ich oft nach seiner Sehnsuchtsmusik getanzt habe. Das Ensemble spielt den ersten Teil in einem auffallend aggressiven Rhythmus, wodurch im langsamen Mittelteil Sehnsucht, Melancholie und die Unerfüllbarkeit der Hoffnungen umso stärker wirken. Berührend war auch der Tango „Alone“, von Milos Todorowski komponiert und allein mit seinem Bandoneon ohne andere Begleitung gespielt.

Resümee des Abends: Ein Fest für die Sinne. Das Ensemble wurde bejubelt. TANGO5 wird am 3. Dezember 2022 im Muth wieder zum Tango aufspielen. Nach dem Konzert wird das Publikum auf die Bühne zur Milonga gebeten.

http://www.khm.at

http://www.muth.at

http://www.symphoniker.at Das nächste Konzert der Wiener Symphoniker im Kunsthistorischen findet am 8.12. 2022 unter dem Motto: „Die Macht der Liebe statt“.

Wiener Konzerthaus: Andrè Schuen und Daniel Heide: Franz Schubert: Die schöne Müllerin

Zyklus Lied, 1. Konzert

Es geschieht noch: Das Wunder der Magie stellte sich an diesem Abend ein. Dem jungen Bariton aus Südtirol gelang es gemeinsam mit dem Pianisten Daniel Heide, den Liedzyklus „Die schöne Müllerin“ als existentielles Erleben zu gestalten. Ohne mit Tiefen und Lautstärke zu prunken, sang er von der Liebe und dem Tod.

Franz Schubert soll – so im Programmheft nachzulesen – den Gedichtband von Wilhelm Müller vom Schreibtisch eines Freundes, ohne ihn zu fragen, mitgenommen und in einer Nacht einen Großteil der Lieder komponiert haben. Die Faszination dieser schlichten Texte rührten ihn zu tiefgehenden Melodien.

Andrè Schuen schuf an diesem Abend ein Minidrama: Er begann als fröhlicher Bursche, der in die Welt hinausgeht, um sie zu erobern. Der Bach, sein Rauschen, führt ihn in das Haus der schönen Müllerin. Bis dahin klingt alles sehr biedermeierlich. Doch dann taucht Andrè Schuen in die Tiefen der menschlichen Existenz ein. In sich versunken, wird die Stimme immer inniger, nach Innen ausgerichtet. Er zieht das Publikum mit in die Leiden der Liebe, der Eifersucht und der Sehnsucht nach dem Tod. Daniel Heide folgt ihm auf dem Klavier auf dieser Reise als treuer Partner. Ein Abend, wie man ihn selten erleben kann!!! Langanhaltender Beifall, der nicht enden wollte. Selbst auf der Straße und im Bus hörte man mit Begeisterung von diesem Abend reden.

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Volksoper Wien, Carl Millöcker/Theo Mackeben: Die Dubarry

Regie: Jan Philipp Gloger. Musikalische Leitung: Kai Tietje

Foto: Martin Enenkel als Lebell, Harald Schmidt als König Ludwig und Annette Dasch als Dubarry.

Es ist ein kluger Schachzug von Lotte de Beer , mit dieser Operette die Saison und die Ära ihrer Direktion zu eröffnen. Aufgewertet durch aktuelle Gags, optisch witzig durch passende Bühnenbilder (Christof Hetzer) und pfiffige Kostüme (Sibylle Wallum) hat dieser Abend durchaus Potential zum Renner. Gloger hat es an Anspielungen und szenischen Gags nicht fehlen lassen, wenn auch dadurch der Abend sich ein wenig in die Länge zieht. Manche Einfälle sind ziemlich banal – etwa die „Unterrichtsstunde“, in der die Dubarry als Preussin für ihren Aufttritt vor dem Kaiser Franz Josef vorbereitet werden soll. Da werden alle Kalauer über die sprachliche Kluft zwischen Preussen und Österreich aufgeführt. Man kennt sie alle zur Genüge- dem Publikum aber gefällts.

Gloger arbeitet gekonnt mit Zeitensprüngen – einmal sind wir im Berlin der 20er Jahre, dann auf dem französischen Hof, dann wieder in einem Wiener Ballsalon, und im sehr witzigen Diskurs zwischen Dubarry und Ludwig XV. gar in der Gegenwart. Da dürfen sich zwei Theatertiger an witzigen, oft spontanen Einfällen übertreffen. Für den Showmaster Harold Schmidt ist König Ludwig eine Glanzrolle, die er sichtlich genießt. Annette Dasch als Dubarry ist ihm in dieser Szene eine ebenbürtige Partnerin. Stimmlich geraten ihr hin und wieder die Spitzentöne zu hart. Aber vielleicht ist das gewollt – quasi als Rollenbruch.

Das Ensemble singt und spielt insgesamt mit großer Freude und Einsatz. René Lavallery als Kunstmaler und Liebhaber der Dubarry hatte verdienten Szenenapplaus. Besonders reizend spielte und sang Juliette Khalil die Rolle der Verkauferin Margot.

Alles in allem ein amüsanter Abend, der auch manchmal mit drastischen Szenen – etwa die versuchte Vergewaltigung der Dubarry oder die bewusst abstoßende Szene der betrunkenen Männergesellschaft – nicht Operette pur bringt. Ein totaler Schock der Schluss – gekonnt gemacht. Aber er sei hier nicht verraten. Manche Zuschauerinnen waren – wie man in der Pause und nachher vernahm – regelrecht schockiert und meinten, das sei keine Operette. Irgendwie wahr, aber gerade deshalb interessant.

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Ein Bericht von der Generalprobe am 2. September 2022

Wolkenturm/Grafenegg: Beethoven: Fidelio (Konzertant, Textfassung Walter Jens: Roccos Erzählung, Bearbeitung: Brigitte Karner)

Gstaad Festival Orchestra unter der Leitung von Jaap van Zweden

Es war ein Abend, wie man ihn sich nicht schöner vorstellen konnte: Die Sonne ging in rosaroten Wolken unter und ließ ihr letztes Licht über das Schloss, den Park und den Wolkenturm fallen. Sanfte Wärme bis spät in die Nacht. Decken und Jacken blieben unausgepackt.

„Fidelio“ als konzertante Aufführung ist ein seltenes Erlebnis. Manchmal auch ein seltsames. Wenn etwa Leonore (Sinéad Campell-Wallace) im eleganten roten Abendkleid stimmgewaltig ihr Leid und ihre Sehnsucht nach Florestan besingt („Komm Hoffnung..“) Da schließt man am besten die Augen und versetzt sich selbständig in einen düsteren Raum. Gegen Ende des ersten Aktes macht es durchaus Sinn, wenn der Erzähler/ Rocco das Leid der Gefangenen schildert und der Chor den Gesang „O welche Lust, in freier Luft“ anstimmt. Das hilft dem Zuhörer, in die Oper einzusteigen und sie zu erleben. Trotz Abendkleidung der Protagonisten.

Nach der Pause stieg die Spannung – denn jetzt wird Jonas Kaufmann singen. Er muss „aus dem Stand“ heraus gleich voll einsteigen – glaubt man. Doch er beginnt den berühmten Schrei „Gott!“ – sonst ein Schrei, der durch Mark und Bein geht – mit einem Piano und singt auch weiterhin nicht mit „voller Stimme“. Fast hatte man den Eindruck, dass er sich ein wenig müht. In dem Terzett mit Rocco (Andreas Bauer Kanabas), Florestan und Leonore übertönt die stimmgewaltige Sinéad Campell- Wallace die beiden Männer. Kaufmann hält sich zurück?? Und so bleibt es bis zum Schluss. Die Oper müsste „Leonore“ heißen, weil Campell-Wallace die Rolle derartig stimmgewaltig und alle anderen Stimmen verdrängend verkörpert. Ihr galt auch der meiste Applaus. Zum Ende ehrt der Rocco – Simonischek – den Mut der Frau an sich. Er löst Leonore aus der Einmaligkeit ihres Schicksals und macht sie zur über die Oper hinausreichende Ikone der Frau, die durch Mit-Leiden und entschlossenes Handeln Krieg und Hass besiegt.

Falk Struckmann war ein überzeugender Pizarro. Die Gewalt seiner Stimme ließ die Figur griffig werden. Andreas Bauer-Canabas ein Rocco, genau zwischen Mut und Unterwürfigkeit. Christina Landshamer eine sympathische Marzelline, Matthias Winckhler als Don Fernando ein ruhiger Bote der Gerechtigkeit.

Jaap van Zweeden leitete das Gstaad Festival Orchestra mit feinem Gespür. Der Tschechische Philharmonische Chor Brünn war ein exzellenter Partner der Sänger.

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Grafenegg: „Insieme“ im Wolkenturm

Bis auf das letzte Wiesenfleckerl war der Wolkenturm ausverkauft. Die Gruppe „Insieme“ („gemeinsam“) – auf italienische Hits spezialisiert – konnte auf ihre Fans zählen. „Insieme“ – das sind Monika Ballwein, Christian Deix, Erik Arnò, René Velazquez – mischten die Stimmung auf, ließen das Publikum bei „felicità“ von Romina Power mitklatschen und mitsingen. Mit „Come è bello fare l`amore“, „Buona sera, Signorina“ wurde die Stimmung immer lockerer. Blieb aber unter den Erwartungen einer heißen Nacht. Nur zögerlich wurde hin und wieder ein Lichtlein gezündet. Manchmal wurde mitgerockt – eher mitgerockerlt. Je nach Alter. Dass der Song von Andrea Bocelli und Hélène Segara nicht so ganz gelang, machte nichts aus – es war romantisch. Bei „volare“ konnte man wieder gewaltig mitsingen. Nach der Pause wurden die Handylichter häufiger, die Stimmung wärmer trotz hereinbrechender Nachtkälte. „Bella ciao“ und viele andere Hits mit Zugaben rissen alle im Publikum zu begeistertem Applaus mit.

Eine Veranstaltung der Agentur „cayenne“ http://www.cayenne.at

Landestheater Salzburg, George Bizet: Carmen

Aufführungsort: Zirkuszelt in der Arena/Messe Salzburg (wegen Renovierung des Landestheaters)

Gabriel Venzago dirigiert das Mozarteumorchester Salzburg

Man blickt auf das Rund der Zirkusarena und wartet auf den Auftritt der Arbeiterinnen aus der Zigarrenfabrik. Doch die kommen nicht, statt dessen eine Schar von Frauen, die sicher nicht in einer Fabrik arbeiten. Man wartet auf Carmen, die Anführerin der kämpfenden und schreienden Schar. Als sie auftritt ist man irritiert: Carmen im sibernen Abendkleid? Ihre Auftrittsarie „si je t`aime..“ singt sie eher so nebenbei, ganz als wäre das eine nebensächliche Alltäglichkeit, die sie mit links erledigt: so ein paar Jungsoldaten verführen. Dann besteigt sie eine Mondschaukel aus Silber und lässt sich in die Höhe ziehen. Dazwischen turnen und jonglieren einige recht planlos, ein Clown steht herum. Man ist ratlos und wird es immer mehr. Erst am Ende des zweiten Aktes fällt der Groschen: Hier wird nicht Carmen gespielt, wie man sie so oft schon erlebte. Man sieht eine Carmen, die eine Art Zirkusprinzessin ist, im Zirkus mit den Akrobaten lebt. Das Leben spielt sich nicht in einer Räuberhöhle oder Wirtshaus ab, sondern mitten im Zirkus. Ab da waren das Regiekonzept von Andrea Bernard und die Kostüme von Stefanie Seitz verständlich.

Doch weit wichtiger als der Regieeinfall waren die Stimmen. Und was für Stimmen!!!! Luke Sinclair als Don José war (für mich) einer der besten in dieser Rolle, die ich je gehört habe. Solch einen Tenor würde man sich an der Wiener Staatsoper wünschen: Klarer Tenor, mühelos in der Höhe, weich in den tiefen. Und er sah noch dazu gut aus und spielte den verletzten Liebenden mit einer Hingabe, die an die Intensität eines Rolando Villazon erinnert. Es geschah für mich zum ersten Mal, dass die Rolle des Don José die der Carmen überstrahlte. l Deniz Uzun als Carmen war ebenfalls sehr überzeugend, Stimme und Spiel passten genau in die Rolle! Höhepunkte der Oper waren das Liebeduett zwischen José und Carmen und natürlich die Schlussszene! Was für eine tiefe, aussichtslose Liebe war es, die José in der Verzweiflung Carmen töten ließ. Doch leider, leider hatte der Regisseur eine unglückselige Idee: José schleppte Carmen in den Kasten, in dem kurz vorher der bekannte Zaubertrick der zersägten Frau vorgeführt wurde. Dann packte José das am Boden liegende Schwert und bohrte es durch das Holz in Carmens Herz. Die dann tot herausfiel. Diese Aktion zerrisss die Intensität des Tötungsaktes und zog sie ins Lächerliche.

Trotz allem; verdienter tosender Applaus für alle, besonders für Deniz Uzun und Luke Sinclair!!! Danach trat auch der Intendant Carl Philipp von Maldeghem vor den Vorhang und bedankte sich beim Publikum für die Treue, die es dem Theater im Zelt „trotz Sturm, Regen, Kälte und Hitze“ gehalten hat. Viel Applaus für Maldeghem, der sich Gott sei Dank gegen Köln entschieden hat. Nach dieser miesen Hetze der Kölner Presse gegen ihn, durchaus verständlich. Und die Salzburger sind glücklich, dass er bleibt!!!

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Volksoper Wien: Puccini: TURANDOT

Dirigent: Alfred Eschwé. Regie und Choreographie: Renaud Doucet.Bühne und Kostüme: André Barbe. Licht: Guy Simard. Choreinstudierung: Thomas Böttcher.

44. Vorstellung

Besucher der Wiener Staatsoper sind ja nicht gerade verwöhnt, was das Bühnenbild angeht. Das ist entweder nicht vorhanden, also alles schwarz. Bestenfalls stehen ein paar graue Wände um die Sänger. Ausnahmen gibt es natürlich. Die Volksoper hingegen verwöhnt ihr Publikum mit kulinarischen Bühnenbildern und Kostümen! Und muss sich daher nicht um die „Auslastung“ Sorgen machen!

So auch in der „Turandot“. Dieses Märchen von der eiskalten Prinzessin, die unberührt bleiben will, ist ja purer Krieg! Turandot tötet mit Lust, lässt alle Anwärter, die ihre Rätselfragen falsch beantworten, hinrichten. Aber der von Liebe säuselnde Calaf ist ebenfalls ein ziemlich berechnender, kalter Typ. Schaut er doch gelassen zu, wie die arme Liu zu Tode gefoltert wird, weil sie Calafs Namen nicht preisgeben will.

Also: Liebe ist Kampf, Krieg. Erst recht in China – trittst du gegen die Macht (Turandot) auf, bist du schon verloren. Aber – keine Angst, in der Volksoper wird nicht krampfhaft auf aktuell umgedeutet. Das Duo Doucet und Barbe haben ein recht witziges Konzept entwickelt: Die Menschen, die unter Turandots Geißel sich ducken und kriechen, sind mehr Insekten als Menschen. Einige haben lange Fühler, andere eine echsenartige Zeichnungen am Körper.Die königliche Garde gleicht eher Glühwürmchen denn Kämpfern. Schmetterlinge kriechen(!) als Halbwesen über den Boden. Und über allem steht – nicht Turandot, sondern der weibliche Henker. Großartig: Eine Frau mit hinreißender Figur, das Gesicht dunkel, auf dem Kopf einen Helm mit ehernem Busch. Ihre mit riesigen Beißzangen verlängerten Arme erinnern an einen männlichen Hirschkäfer. Mit diesen Zangen wird sie alle Prinzen, aber auch Liu töten.

Die weibliche Henkerin (Foto: Voldksoper Wien)

Etwas gewöhnungsbedürftig wirkt das Outfit Calafs (Vincent Schirrmacher). Er erinnert mit seinen hochgebürsteten Haaren und der Schminke fatal an Pumuckl. Sein armer Vater Timur (sehr gut: Stefan Cerny) muss wie ein Wilder aus den Wäldern mit einem Fell herumlaufen. Aber man akzeptiert auch solche Merkwürdigkeiten, weil die ganze Aufführung mit so viel Lust am Spiel, an Licht (Guy Simard) und Einfällen abgeht. Anja-Nina Bahrmann ist eine ausgezeichnete Liù. Dass sie in ihren zarten Arien, in der sie von ihrer Liebe zu Calaf singt, doch an manchen Stellen forcieren muss, liegt an dem Dirigent Alfred Eschwé. Er lässt Pauken und Trompeten aus vollem Rohr schmettern, nimmt nicht immer genügend Rücksicht auf die Sänger. Zum Gesamtkonzept der phantasieüberbordenden Regie passt sein Dirigat dann irgendwie doch. Auch Calaf (Vincent Schirrmacher) und Melba Ramos als Turandot haben mit dem martialischen Dirigenten manchmal ihre Schwierigkeiten. Humorvoll und gekonnt gespielt und gesungen laufen die Szenen mit den drei Ministern Ping (Alexandre Beuchat), Pang (David Sitka), Pong (JunHo You) ab.

Ein voller Erfolg, bei vollem Haus (obwohl schon die 44. Vorstellung!). Das Publikum dankte mit Jubel, langem Applaus und Blumen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Inszenierung auch in der kommenden Saison am Programm stehen wird!!!

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Volksoper: Benjamin Britten, Der Tod in Venedig

Inszenierung:David McVicar, Dirigent: Gerrit Prießnitz. Text von Myfanwy Piper, übersetzt von Hans Keller und Claus Hemberg. Nach der gleichnamigen Novelle von Thomas Mann

Selbstzweifel, Schreibhemmungen, es geht gar nichts mehr ….seit Goethes Faust ein immer wiederkehrendes Thema in der Kunst. Aber keiner hat es so tief erfasst wie Goethe. Und dann noch Thomas Mann. Wenn ein Künstler sein Talent in Frage stellt, die Quelle der Eingebungen versiegt und die Sprache verstummt, dann wird aus der Schreibkrise eine Lebenskrise.

So weit bei Goethe und Mann nachzuvollziehen und von späteren Vertretern der schreibenden Zunft immer wieder als Thema aufgegriffen und zu einem Text verarbeitet. (Zuletzt Leila Slimani in ihrem jüngst erschienenen Buch: Der Duft der Blumen bei Nacht. Auch sie fährt nach Venedig, um sich aus der Schreibhemmung zu lösen. Der Leser gähnt ausgiebig mit ihr). La Serenissima soll also schon allein durch die Kraft der Musik, die in dem Namen steckt, die Phantasie Aschenbachs beflügeln. Doch leider muss er erkennen, dass Venedig mehr denn je sich als Theater für Touristen aufführt. Der erwartete Ideenschub bleibt aus. Erst der Blick auf den schönen Knaben Tadzio (dargestellt von dem jungen Balletttänzer Victor Cagnin) rüttelt ihn auf und er hofft darauf, dass diese plötzlich entflammte Liebe die Schleusen öffnet und die Worte fließen lässt. Trotz Choleragefahr bleibt Aschenbach, um Tadzio nahe zu sein. Noch in der letzten Lebensminute meint er den schönen Knaben zu sehen, wie er ihm zuwinkt und ihn in ferne Horizonte lockt.

Die Novelle wurde von Visconti 1971 erfolgreich verfilmt, Der Regisseur McVicar meinte wohl, es hätte nicht viel Sinn, gegen diese szenegewaltige Verfilmung anzugehen. Also folgte er ihm, oft allzu sklavisch. Wenn die Reichen und Schönen zum Diner schreiten, wenn die russische Familie sich am Strand breit macht, wenn die Kinder raufen, tanzen, wenn Tadzio hinter der Familie marschiert, immer sich diskret umwendend, ob Aschenbach ihm folgt. Viele im Publikum werden ein Dauerdéjà – vu – Erlebnis haben. Nur leider sind viele Szenen zu lang geraten (- etwa die raufenden und tanzenden Kinder am Strand) und werden zu oft wiederholt, was das Werk zerdehnt. Kürzung hätte gut getan. Bühnenbild und Kostüme von Vicki Mortimer bleiben wie der Film auch in der Zeit um 1900. Manche Bilder emanzipieren sich und entwickeln eine vom Film unbeeinflusste Kraft, etwa die Szene mit dem Gondoliere (Johannes Wimmer in mehreren Rollen), der Aschenbach an den Lido rudert. Mit gekonntem Lichteinsatz wird daraus eine düstere Fahrt ins Ungewisse des nahen Todes.

Die Leistung von Rainer Trost als Gustav von Aschenbach ist besonders hervorzuheben. Im Dauereinsatz auf der Bühne hat er in einem anstrengenden Sprechgesang das Geschehen und zugleich seine eigene Gefühlslage zu kommentieren. Die Rolle des Tadzio, der mit seiner Jugend und Schönheit den alternden Dichter in den Bann zieht, ist mit Victor Cagnin eine Fehlbesetzung. Denn von dem Tänzer springt keinerlei Erotik über. Und damit steht und fällt der Sinn der Geschichte. Aber die Musik rettet viel, fast alles. Unter der sensiblen Führung von Gerrit Prießnitz entfaltet sich die ganze Dynamik der Oper: Von der Düsternis des nahen Todes, von der Sinnlosigkeit der reichen Gesellschaft bis hin zur zarten Liebe, die Aschenbach für Tadzio empfindet, erzählt alles die Musik.

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P.S: An dieser Stelle möchte ich Direktor Robert Meyer für die fünfzehn spannenden und abwechslungsreichen Abende in der Volksoper danken. Besonders aber auch für seine offenen Worte in der Sendung „Gedanken“ auf Ö1 am Sonntag, 29. Mai 2022. Endlich einmal spricht einer aus, was ich mich schon immer fragte: Was bewegt die Politiker bei der Bestellung diverser künstlerischer Leiter? – Wie kommen sie zu den Nominierungen, ohne je im Theater gesehen worden zu sein????

Wiener Symphoniker: LIEBESIDEAL

Kammermusikkonzert der Wiener Symphoniker im Kunsthistorischen Museum, Bassano Saal

Ein Abend voll vergnüglicher Musik. Die fünf Musiker des Symphonischen Schrammelquintettst, sind: Helmut Lackinger Violine, Edwin Prochart, Violine, Kurt Franz Schmid Klarinette, Peter Hirschfeld Kontragitarre, Ingrid Eder Akkordeon.

Für heitere und informative Wortspenden sorgte Kurt Franz Schmid.

Gleich beim ersten Sück von Johann Schrammel „Kunst und Natur“ fühlte man sich in die Vergangenheit des „Dommayer“ im 18. oder 19. Jahrhundert versetzt, wenn im Garten die Musi spielte. Man will das Tanzbein schwingen, aber wie Kurt Schmid dem Publikum erklärte, hatten die Brüder Johann und Josef Schrammel ihre Musik nicht für den Tanz komponiert. Man hörte Polka, Walzer, Csardas. Mitten drin auch Camille Saint – Saens, Das Liebesduett aus der Oper „Samson und Dalila“.

Wer die vorangegangene Führung im Museum zum Thema Liebe mitmachte, konnte sich im wahrsten Sinn des Wortes „ein Bild“ zu Samson und Dalila machen. Anton van Dyck, ein Schüler von Rubens, konzentrierte sich auf den Moment der Gefangennahme, als seine Geliebte ihn verriet.

Anthony van Dyck, Die Gefangennahme Samsons. Foto: silvia Matras

Doch es gab auch heitere Bilder zum Thema Liebe im Museum zu sehen: Zum Beispiel die drei herrlich glatten, runden Popos, einmal von Gott Amor, dann von dem Knaben Ganymed und der schönen Io, beide gemalt von Correggio. Der von dem jungen Gott Amor ist wohl am verführerischten.

Parmigiano, Bogenschnitzender Amor (Foto: silvia Matras)

Zurück zur Musik der Brüder Schrammel. Ihre Kompositionen waren bei der Aristokratie sehr beliebt. Der Fürstin Eugenie Esterhazy widmeten sie den bekannten „Eugenie-Walzer“ und Pauline von Metternich die Polka „Frühlingsgruß“.

Den vergnüglichen Abend beendeten die Symphoniker mit Fritz Kreisler: Liebesleid und dem echten „Rausschmeißer“ „Hallodri“ von Johann Schrammel.,

Das nächste Kammermusikkonzert findet am 9. Juni 2022 um 19.30 im Bassano-Saal des Kunsthistorischen Museums statt. Ticket:

http://www.symyphoniker.at oder über ticket@konzerthaus.at

Dirigent: Roland Kluttig. Inszenierung: Sandra Leupold.

Es mutet fast wie ein Wunder an: Alles stimmt in dieser Inszenierung! Die sensible Personenführung und die klugen Regieeinfälle von Sandra Leupold- nie überbordend oder gegen den Sinn -, die musikalische Leitung von Roland Kluttig ganz wundervoll!, die beeindruckende Bühne von Mechthild Feuerstein – klug mit wenigen Akzenten versehen, die Kostüme von Jochen Hochfeld – in die Zeit passend und doch nicht „altvatrisch“! Warum ich das für ein Wunder halte? – Die Erklärung ist einfach: Wir Wiener Opernfreunde mussten uns unter dem „neuen“ Direktor an schockierendes Regietheater gewöhnen, was zu einem deutlichen Besucherschwund führt. Die Lust, in die Wiener Oper zu gehen, nimmt immer mehr ab..

Die Grazer Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ überzeugt und begeistert auf allen Linien. Kyle Albertson ist ein Holländer, wie er „im Büchl“ steht und hat tatsächlich Ähnlichkeit mit dem Bild auf dem Hänger, der von oben herabgelassen wird! Er hat nicht nur eine großartige Stimme, sondern spielt auch mit Tiefgang! I,n der Rolle der Senta hat Helene Juntunenzwar nicht alle begeistert (der Applaus war deutlich schwächer als bei den anderen Sängern), aber mir gefiel der metallische Klang der Stimme. Sie nahm der Rolle die peinliche romantische Verklärung, in die Senta in anderen Inszenierung fast automatisch kippt. Da spürt man deutlich die behutsame Führung der Regisseurin! Gleich zu Beginn hebt Mario Lerchenberger mit dem Steuermannslied an und begeistert das Publikum durch seine jungenhafte Stimme. Wilfried Zelinka ist ein staubgrauer, berechnender Vater, der seine Tochter gerne und übereiftig an den reichen Holländer verschachert. Maximilian Schmitt überzeugt als Erik und Mareika Jankowsky als Mary. Die sonst oft verkitschte Oper wird in dieser Inszenierung ein optischer und akustischer Genuss! Mit der Einführung der stummen Figur Richard Wagners (Bernhard Schneider) auf der Bühne bekommt der Abend einen besonders ironisch-witzigen Ton. Er sitzt auf dem obersten Bühnenrand im Hintergrund, dirigiert manchmal, dann wieder sieht er fasziniert zu oder betrachtet etwas ratlos sein eigenes Werk. Das erinnert stark an das Schaupiel „Eurydike geht“ von Elfriede Jelinek, als Nikolaius Habjan eine Jelinekpuppe das Geschehen vom Bühnenrand mimisch und gestisch kommentieren ließ.. Gegen Ende zu mischt sich Wagner ins Bühnengeschehen, um das Chaos, das er mit den Figuren angerichtet hat, zu schlichten. Was ihm nicht gelingt. Verzweifelt rauft er sich die Haare.

Begeisterter und langer Aplaus!

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Volksoper Wien: Schoenberg in Hollywood

Musik: Tod Machover, Libretto: Simon Robson, Regie und Bearbeitung: Helen Malkovsky. Bühnenbild und Video: Sophie Lux.

Arnold Schönberg: Marco di Sapia, Alter Ego: Christian Graf, Girl: Lauren Urquhart, Boy: Jeffrey Traganza.Orchester der Volksoper Wien, Dirigent: Gerrit Prießnitz

Zuallererst sei hier die enorme stimmliche Leistung hervorgehoben, die diese Musik von den Sängern abverlangt. Dann ist wichtig: Ohne die ausgezechnete vorherige Einführung im nahen Schönberg-Center wäre es fast unmöglich, dem Geschehen zu folgen. Gezeigt wird eine Biopic. Das Leben Schönbergs (die Schreibweise Schoenberg ist die amerikanische Version, die auch im Titel verwendet wird) wird in knappen Szenen gespielt. Die Schwierigkeit für die Zuseher besteht aus der zeitlichen und örtlichen Zuordnung, sowie der Zuordnung der „beiden Schönbergs“. Mit Hilfe der Einführung findet man den roten Faden, allerdings nicht immer mit Treffsicherheit. Die Oper zeigt das Leben Schönbergs im Rückblick und im Vorausblick. Der zeitliche Dreh- und Angelpunkt ist 1934, als Schönberg in Los Angeles ankommt und den Filmproduzenten Irving Thalberg trifft. Eindrucksvoll sind die Szenen, die in Schönbergs Leben gravierende Spuren hinterließen, wie etwa das Verhältnis Richard Gerstls mit Schönbergs Frau Mathilde. Dezent werden Bilder Gerstls, sein zerquältes Selbstporträt eingespielt, dann sein Selbstmord. Schönberg in den Szenen mit seiner Frau – er verlangt totale Unterwerfung. Alles nur in minimalistischen HInweisen. Dann seine Auseinandersetzung mit dem Judentum. Dazwischen immer wieder seine Karriere in Hollywood.

Alles in allem: ein sehr anstrengender, aber interessanter Abend.

Aufführungsort: Kasino im Schwarzenberg, wo sich die Volksoper eingemietet hat.

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Wiener Festwochen – Voreröffnung: Mozart/Castellucci: Requiem

Regie, Bühnenbild, Kostüme: Romeo Castellucci. Raphael Pichon dirigiert das Ensemble“Pygmalion“.

Wieder einmal bewahrheitete sich: Zu hohe Erwartungen sind schlecht, man kann nur enttäuscht werden!. Mit welch Überschwang Medien und die ganze Kulturszene Castellucci als den Regisseur, der gewaltige Bilder über die letzten Dinge kreiert, feiert! Und dann das! Schon die Eingangsszene war an Banalität nicht zu übertreffen: Eine Frau schaut fern, raucht, trinkt, legt sich ins Bett und stirbt. Sicher, der Tod ist nie banal. Und tausend Mal tritt er so wie auf der Bühne gezeigt ein. Doch wie die Szene gezeigt wird, ist peinlich, weil langweilig. Dann kommen die Trauergäste, verhüllen alles mit schwarzen Tüchern, die Leiche wird weggetragen. Was danach über gefühlte zwei Stunden folgt, ist ein Katalog der verschwundenen, ausgestorbenen und zerstörten Tiere, Menschen und Gebäude, jede Abteilung in ordentlicher Schrift an die Wand projeziert, die lateinischen Namen dazu, eins nach dem anderen: Ausgestorben: Tiere, Wälder, Menschen, Völker, Sprachen, Gebäude,etc..Ich komme mir vor wie in einem Radiokolleg von Ö1. Entschuldigung -aber das ist mehr als langweilig.Dazu tanzen der Chor und die Sänger auf der Bühne Volkstänze. Manches Mal wird es tiefsymbolisch: Ein Mädchen wird von oben bis unten mit Farbe angeschüttet, an die Wand geheftet, abgenommen, mit Fell bedeckt und mit Hörnern versehen. Sacre du printemps? Ich war den ganzen Abend mit der Deutung dieser Bild- und Schriftfolgen beschäftigt. Darüber „überhörte“ man gänzlich die Musik. Hin und wieder brachte sie sich lautstark zur Geltung. Ich bin mir bewusst, dass ich mit dieser Meinung/Kritik in der Castelluccicommunity als Banause abgestempelt werde. Aber „da schreib ich nun und kann nicht anders“.

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Wiener Konzerthaus: Matthias Görne und Markus Hinterhäuser: Lieder von Robert Schumann

Beide Interpreten braucht man nicht vorzustellen: Matthias Görne, ein feinsinniger Sänger, der mit seiner Stimme jede Melodie bis in ihre tiefste Tiefe auslotet. Markus Hinterhäuser, der ihn schon seit Jahren einfühlsam auf dem Klavier begleitet.

Die Kongenialität beider Künstler durfte man an diesem Abend wieder erleben. Robert Schumanns Lieder, in der Romantik tief verwurzelt, werden durch Görnes Interpretation zur existentiellen Aussage. Er lässt die Magie des Liedes aufblühen, auch dort, wo der Text auf den ersten Blick sie nicht sofort vermuten lässt. Sein Bariton ist weich, zart, zurückhaltend, sein Bassbariton wuchtig bis in die tiefsten Tiefen der Existenz hineinhorchend.

Robert Schumann war ein Verehrer von Nikolaus Lenau, mochte die dunkle, zarte Melancholie seiner Texte. Matthias Görne brachte beides zum Aufblühen: die zarte Romantik und Naturverehrung – etwa im Lied „Die Sennin“ und die tiefe Verwzeiflung des Einsamen. Nichts ist in seiner Interpretation nebensächlich, jedes Wort bekommt die Tiefe, die Dichter und Komponist ihm zugedacht hatten. Seinen dramatisch-vollen Bass setzt Görne nur sparsam ein, dafür umso wirksamer, etwa am Ende des Liedes „Der schwere Abend“. Intensiv und innig singt er das „Requiem“, das Robert Schumann für den verehrten Dichter Lenau komponierte, Zart beginnt er, bis er mit Einsatz des ganzen Stimmvolumens den Übergang vom Leben in die“Himmelspracht“ singt. Da lässt Görne „Feiertöne“ erklingen, begleitet von einem zurückhaltenden Klavierspiel.

Hochdramatisch entführt Görne sein Publikum in dem Lied „Waldesgespräch“ in eine Atmosphäre, die inhaltlich und musikalisch an den „Erlenkönig“ erinnert. Zärtlich, wie ein Gebet, klingtdas berühmte Lied „Mondnacht“ von Joseph von Eichendorff. Die volle Wucht seines Basses setzt er für das Lied des Harfners ein „Wer nie sein Brot mit Tränen aß“ (Goethe, Wilhelm Meister). In eine hochdramatische und spannende Szene entführt Görne das PUblikum in der Ballade von Adelbert von Chamisso „Die Löwenbraut“. Eine Nähe zu Goethes berühmter Erzählung „Novelle“ ist unverkennbar. Zärtlich erzählt das Lied von der jungen Braut, die mit einem Löwen als Kindheitsgefährten aufwuchs. Nun muss sie Abschied nehmen, denn sie heriatet. Um das Mädchen nicht dem ungeliebten Bräutigam zu überlassen und aus Wut tötet der Löwe das Mädchen. Der Bräutigam erschießt daraufhin das Tier. Görne schuf mit seiner Interpretation ein lebendiges Drama, die Geschichte von sinnloser Zerstörung, in der die Gewalt des Menschen gegen die der Natur obsiegt.

Es war ein großartiger, einmaliger Abend. Das Publikum dankte den beiden Interpreten mit langem

Applaus.

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Leos Janàcek: Jenufa. Theater an der Wien

Regisseurin: Lotte de Beer, Dirigent: Marc Albrecht, Bühne: Christof Hetzer, Kostüme: Jorine van Beek, Choreografie: Gail Skrela

Es war die letzte Aufführung, bevor das Theater wegen dringender Renovierungsarbeiten für 2 Jahre schließt. Und es war ein grandioser, würdiger Abschluss.

Lotte de Beer legte eine hochkünstlerische Visitenkarte vor. Man darf sich auf ihre Intendanz in der Volksoper freuen. Obwohl wir alle Robert Meyer nachweinen, der all die Jahre die Volksoper zu einem interessanten und vielseitigen Haus geformt hat.

„Jenufa“ ist keine leichte Oper. Das Thema ist heute nicht mehr aktuell: Jenufa ist schwanger, der Bräutigam lässt sie sitzen. Ihre Stiefmutter versteckt sie bei sich im Haus bis zur Geburt und bringt dann das Neugeborene um , weil sie Junufa in der bigotten Gesellschaft ein ruhiges Leben mit einem anderen Mann sichern will. Der Mord wird entdeckt, die Stiefmutter muss ins Gefängnis.

Was die Regisseurin aus diesem Stoff macht, ist spannend und bewegend. In dem schlichten und kahl – bedrohlichen Bühnenbild scheut sie sich nicht vor bewegten Massenszenen (Schönberg-Chor!). Die Rollen sind alle, wirklich alle großartig besetzt. Allen voran Svetlana Aksenova, die eine berührend schlichte Jenufa singt und spielt!!! Da steht keiner und keine auf der Bühne wie ein(e) Säulenheilige(r), alle sind in ihrer Rolle. Nina Stemme überzeugt in der schwierigen Rolle der Küsterin, die sich zu dem Mord durchringt. Marc Albrecht führt das Radio Symphonieorchester überlegen durch die nicht einfache Musik.

Festspielhaus St. Pölten: Gustav Mahler, Das Lied von der Erde.

Es hätte eine Weltpremière sein sollen, wenn Lemi Ponifasio mit seiner MAU Company aus Samoa und Neuseeland das Werk Mahlers gemeinsam mit den Niederösterreichischen Symphonikern interpretiert hätte. Aber Corona hat es unmöglich gemacht. Dennoch ließ es Lemi Ponifasio sich nicht nehmen und reiste als Botschafter seiner Gruppe an, um über die Vision seiner Choreographie zu erzählen. Zu Beginn gedachte er der Bevölkerung in der Ukraine und widmete ihnen den Abend als Friedenswunsch. Dann sprach er von der engen Verbindung der Samoaner mit der Natur. „Different cultures together“ wäre der Sinn dieses Abends gewesen. In minimierter Form ist das auch gelungen, denn der Tenor Pene Pati stammt aus Samoa.

Dirigent des Niederösterreichischen Tonkünstlerorchesters: Hans Graf. Tenor: Pene Pati. Mezzosopran: Tanja Ariana Baumgartner.

1908 und 1909 zählten zu den schwersten Jahren im Leben Gustav Mahlers. Er hatte den Posten als Direktor der Wiener Staatsoper verloren, seine Tochter Maria war gestorben und er selbst litt an einem Herzfehler. In diesen trüben Tagen fand er Trost in den Gedichten „Die chinesische Flöte“, übersetzt von Hans Bethges. Er wählte sechs aus.

„Das Lied von der Erde“ wurde erst nach Mahlers Tod uraufgeführt. Man darf es als sein spirituelles Vermächtnis interpretieren. In diesem Liedzyklus vereinen sich Schwermut, Todessehnsucht mit erinnerter Leichtigkeit. Bilder aus China , wie der“Pavillon aus weißem und grünem Porzellan“ und „junge Mädchen und schöne Knaben“ ,die am Ufer sitzen, steigen auf und vereinen sich mit den Klängen der Musik. Doch das Leben ist nur ein Traum, das sich irreal im Wasser spiegelt. Der Abschied ist gewiss, es wartet der Freund, der ihn hinüber führt – das antike Bild des Fährmanns Charon wird imaginiert. Er wird den Müden in die Fernen führen. Pene Patis schöne Tenorstimme sang nicht immer erfolgreich gegen die Orchestergewalt an. Tanja Ariana Baumgartners dunkler Mezzosopran klang gut, aber es fehlte an Wortdeutlichkeit, Hans Graf ist ein erfahrener Dirigent, der weiß, dass diese Musik, besonders der letzte Teil „Abschied“ sich in die Länge ziehen kann. Wahrscheinlich deshalb drückte er manchmal zu sehr auf zackiges Tempo.

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Great Voices im Wiener Konzerthaus: JUAN DIEGO FLOREZ

  1. Februar 2022

Was für ein Fest! Ein Fest für Florez! Ein Fest für das Publikum!

Florez in Hochform! Er präsentierte ein klug zusammengestelltes Programm, das nichts mit den üblichen Arienliederabenden gemein hatte. Beginnend mit Gluck über Rossini, dann im großen Zeitsprung zu Richard Strauß, Bizet , Offenbach und Donizetti präsentierte er sich als Sänger, der in vielen Rollen und Stimmanforderungen zu Hause ist. Anders als üblich bei solchen Konzerten schuf er jeweils ein Miniformat der jeweiligen Oper. Die Philharmonie Brünn unter Claudio Vandelli leitete jeden Part mit einer Ouvertüre ein. Florez sang dann die Hauptarien daraus.

Florez war in Hochform, konnte seiner Stimme mühelos alles abverlangen: Als Orphée (Gluck, Orphée et Euridice) brillierte er mit sanften Tönen, weichen Höhen und einer schönen Tiefe. Mit „La Pietra del Paragone „von Gioachino Rossini bewies er seine Sicherheit auch in dieser schwer zu singenden Partie. Vor der Pause setzte er das Publikum mit der Arie des Idreno aus „Semiramide“ ( Rossini) in Verzückung.

Nach der Pause wechselte er mit der „Zueignung“ und an „Cäcilie“ von Richard Strauß die Temperatur der Stimmung. Bei diesen stillen Liebesliedern war ein neuer Florez zu spüren: einer mit Zurückhaltung und Zärtlichkeit. Um dann – sehr gekonnt und wohl überlegt – das Publikum mit der Arie des Don José („La fleur que tu m’avais jetée“ aus Bizets „Carmen“) zu Begeisterungsstürmen hinzureißen. Heiterkeit und Ironie verströmte er mit „La Belle Hélène“ von Jacqes Offenbach. Zum Abschluss des offiziellen Teiles sang er ein eher unbekanntes Juwel: Die Arie des“ Don Sebastien, roi de Portugal“ von Gaetano Donizetti.

Die Fans wußten genau, dass es nach dem offiziellen Teil noch lange weitergeht. So war es auch: Florez mit Gitarre und ohne Mascherl sang als obligatorische Zugaben zwei peruanische Volkslieder! Dann noch; „La donne è mobile“ und am Ende die Herausforderung für jeden Tenor: „Ah! mes amis, quel jour de fête“ aus der „Regimentstochter“. Locker, als bedürfte diese Arie keiner Anstrengung, sang er die hohen C hinauf wie nix! Und das am Ende eines langen Konzertabends!

Langer Applaus und standing ovations!

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Volksoper Wien: Der Rosenkavalier.

Aufführung: 17. November 2021

Musik: Richard Strauss, Text: Hugo von Hofmannsthal. Eine Koproduktion mit dem Theater Bonn.

Gleich vorweg: Diese Rosenkavalierproduktion gehört zu den besten der letzten Jahre! Großartige Sänger, allen voran Jacquelyn Wagner als Marschallin und Emma Sventelius als Octavian,.großartige Bühnenbilder (Johannes Leiacker) und eine Regie, weitab von der allgemein gängigen Mode – will heißen: keine überkandidelten Regieeinfälle- sondern alles passt zu Musik und Text. (Regie und Licht: Josef Ernst Köpplinger). Kostüme, die zur Entstehungszeit, knapp vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, passen: Dagmar Morell. Und ein Dirigent, der die romantisch-melancholischen Klänge gekonnt mit den scharfen Akzenten der Moderne, den „Widerhaken“, wie er sie nennt, rüberbringt: Hans Graf.

Jacquelyn Wagner als Marschallin ® Barbara Palffy/Volksoper Wien

In einem Salon mit Rosentapeten und blinden Spiegeln kost ein stürmischer Oktavian die Marschallin und merkt nicht die leichte Zurückhaltung der Geliebten. Schon diese Eingangsszene ist eine der vielen Kostbarkeiten dieser Inszenierung. Emma Sventelius – sie wurde als einzige aus der Bonner Inszenierung übernommen- gibt glaubhaft in Gestalt, Spiel und Gesang einen jungen Mann, der seine erotischen Wünsche ausleben möchte. Die Bettszene wirkt deshalb in keiner Minute peinlich oder abgeschmackt, wie das oft der Fall ist, wenn Octavian eine recht weiblich bis füllige Sängerin ist. Wie nun Jacquelyn Wagner die Marschallin gibt, ist ganz große Schausspiel- und Gesangeskunst. Zurückhaltend, romantisch und frei von Larmoyanz. Und so auch ihre Selbstbetrachtung vor einem blinden Spiegel, der die Spuren der Zeit gnädig mildert. Die weltberühmte Arie „Die Zeit ist ein sonderbar `Ding“ zählt zu den schönsten Momenten der ganzen Oper. Weise vorausschauend sendet sie Octavian als Brautwerber, wissend, dass er auf die reizende junge Sophie ( ganz bezaubernd: Beate Ritter) treffen und dass zwischen den beiden der erotische Funken überspringen wird. Bewusst lenkt die Marschallin Octavian von sich weg. Ob der Abschied leichter wird, wenn er von ihr bestimmt wird? – Allerdings lädt sie Octavian und Sophie, die am Ende ein Paar sind, in ihre Kutsche ein. Ganz wird sie den Geliebten wohl nicht aus den Augen verlieren….Bis es allerdings zu dem versöhnlichen Ende kommt, haben Hofmannsthal und Strauss noch eine Riesenburleske und Intrige rund um den Ochs von Lerchenau (Franz Hawlata) eingebaut. Diese Szenen füllen der Regisseur und Dirigent mit vielen Überraschungsmomenten. Wein- Walzerseligkeit, Bosheiten, Lug und Trug der „vornehmen“ Gesellschaft tun sich auf, dazwischen der zögerliche Octavian und die verzweifelte Sophie. Das ist der Stoff, aus dem eine gute Komödie geschaffen ist. Wenn dazu noch die messerscharfe und streichelweiche Musik kommt, dann ist das Vergnügen pur. Den Reim auf diese „Sozialsatire“ kann sich jeder Zuschauer selber machen, muss aber nicht. Denn Gott sei Dank hat der Regisseur eine mögliche gesellschaftsrelevante Kritik ganz ohne erhobenen Zeigefinger inszeniert.

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Maria Bill singt Kurt Weill

Kultursommer Semmering. Vorletzter Tag

Musikalische Begleitung: Saxophon, Klarinette, Arrangement: Leonhard Skorupa. Kontrabass: Gregor Aufmesser. Gitarre: Andi Tausch. Schlagzeug; Konstantin Kräutler.

Jahrhundertwendeflair wird von 1930er Jahren überstrahlt. Die Mischung machts aus: Draußen ein strahlender Spätsommertag, die weißen Tischtucher, die weißen Wolken auf einem seidenblauen Himmel leuchten durch die Terrassenfenster herein. Im Saal entführen Maria Bill, Kurt Weill und seine Musik in die 30er, 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Maria Bill-zart, zerbrechlich. zierlich und doch kraftvoll in der Stimme und im Auftreten, singt die von ihr so geliebten und oftmals schon gesungenen Lieder Kurt Weills, unterstützt von den vier jungen Musikern, die ganz auf sie eingeschworen sind. Sie kennt keine Eitelkeit: Das Haar wie schlecht onduliert, das schwarze Mädchenkleid , mit mattrosa Rosen bestickt, bedeckt nicht ihre eckigen Knie. Die dünnen Beine stecken in schweren Stifletten. So singt und erzählt sie von Kurt Weill und seinem Leben, seiner Zusammenarbeit mit Brecht, seiner Liebe zu Lotte Lenya, seiner Flucht aus Deutschland, der bitteren Zeit in Paris und von der harten, aber letztlich doch erfolgreichen Zeit in Amerika. Der Hintergrund aller Lieder ist die Liebe. Nicht nur die Liebe Weills zu seiner leichtlebig-schwierigen Ehefrau und Exehefrau und wieder Ehefrau Lotte Lenya, sondern weit darüber hinaus die Liebe der gequälten Frauenkreatur. Auch wenn sich die Frau für den Sex bezahlen lässt, so ist in ihr doch Liebe. Und immer steckt in allen Liedern die Sehnsucht nach Freiheit, nach einer unbegrenzten Liebe: „Youkali“.

Der erste Teil wirkt ziemlich brechtig – prächtig. Dann nach der Pause kommt Zärtlichkeit, Sehnsucht, tiefe Traurigkeit auf: „Je ne t’aime pas“, „Complainte de la Seine“ geprägt von den Erfahrungen der Naziverfolgung und der Trennung von Lotte Lenya. Berührend das Lied über das französiche Mädchen, das sich in einen deutschen Soldaten verliebt: „Mon ami, my friend“.

Maria Bill darf und kann alles sein: tragisch bis zum Herzzerreißen, mädchenhaft verschämt, hurenhaft aggressiv, lüstern. Sie singt mit ihrem ganzen Körper, erzählt die Geschichte, macht aus jedem Lied eine Biografie. Nie ist es irgendein allgemeines Leid oder eine anonyme Geschichte, immer skulpiert sie mit Händen und dem ganzen Körper, mit Gesicht und Stimme ein Lebewesen heraus, dessen persönliches Schicksal berührt.

Großartig geht eine großartige Saison zu Ende. Wehmütig verlässt das Publikum den Saal. Es wird wieder ein Jahr dauern, bevor das alte, verstaubte, aber von allen so geliebte Südbahnhotel von interessanten Künstlern zum Leben erweckt werden wird.

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Grafenegg: Tschechische Philharmonie: Kabelac und Mahler

Programm: Miloslav Kabelac, Mysterium der Zeit

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 5

Dirigent: Semyon Bychkov

Ein Konzert für Romantiker. Die Tschechischen Philharmonie unter Semyon Bychkov erfüllt die Erwartungen der Romantiker. Denn der Dirigent fordert vom Orchester die ganze Wucht der Dramatik bis hin zu den leisesten Tönen der Gefühlsskala. Das Programm war klug ausgewählt und die Komponisten passten in vieler Hinsicht zueinander.

Miloslav Kabelac (1908 -1979): Mysterium der Zeit (1957)

Miloslav Kabelac schrieb acht Symphonien, die erst jetzt so langsam „entdeckt“ und aufgeführt werden. Sein Leben ist von Verfolgung in der Nazizeit geprägt. 1908 in Prag geboren, wurde er 1932 Dirigent und Regisseur beim Prager Rundfunk. Als er 1939 mit der Kantate „Weichet nicht“ gegen den Einmarsch der deutschen Truppen in sein Land protestierte, wurden seine Werke auf den Index gesetzt. Gemeinsam mit seiner Frau, der jüdischen Pianistin Berta Rixova, überlebte er die Jahre des Nationalsozialismus im Untergrund. Aber auch dem nachfolgenden sozialistischen Regime gefielen seine Kompositionen nicht und wurden bis zu seinem Tod 1979 nie gespielt.

Mit diesen Informationen (dank der ausgezeichneten Texte von Wolfgang Stähr im Programmheft) ausgestattet, wartete man gespannt auf die Komposition. Wie der Titel verheißt – es ging um die Zeit. Sie ist das Absolute, das Unveränderbare, zu Beginn im leisen Takt einer Uhr angedeutet. Der medidative Anfang steigert sich zu rauschhaftem Aufruhr. Man wird an religiöse Tänze aus Indonesien erinnert, bei denen die Teilnehmer unter der Leitung eines Priesters in Trance verfallen. Je heftiger die Schläge der Zeit ertönen, desto mehr gleitet die Musik aus der Trance in den Aufruhr, der eine Endzeit ankündigt. Gewaltig endet dieses kurze Stück, das so minimalistisch leise begann.

Gustav Mahler: 5. Symphonie (1901-1902)

Mit den Trompetenfanfaren weckt Mahler die Menschen aus der Lethargie der Jahrhundertwende. Die „Marcia Funebre“ lässt keine Melancholie zu, gleich darauf folgt ein neuerlicher Weckruf der melancholisch-lethargischen Gemüter. Semyon Bischkov fordert genau das richtige Tempo ein: Zeit geben, die Themen wirken lassen, ohne die Töne zu überdehnen. Und so entwickelt er gekonnt den Aufruhr, das Superdrama, diesen Kampf zwischen dem lethargischen Tod und dem alles Leben Begehrende, vor den Ohren und Augen der Zuhörer.

Diese Thematik setzt sich im 2. Satz fort: Aufruhr und Ruhe im ständigen WEchsel. Beruhigend die feinen Cellipassagen.

Im 3. Satz Am Ende kombiniert Mahler kunstvoll alle Themen zu einem fulminanten Schluss.

Das Adagietto

Das Adagietto, bestens bekannt aus dem Film „Tod in Venedig“ von Visconti, ist wohl das meist gespielte Stück im Radio. Keine Wunschsendung ohne Adagietto. Richard Strauss schrieb 1905 an Mahler:“Ihre 5. Symphonie hat mir neulich …große Freude bereitet, die mir durch das kleine Adagietto etwas getrübt wurde. Daß dasselbe beim Publikum am meisten gefallen hat, geschieht Ihnen dafür auch ganz recht.“ (zitiert nach Programmheft)

Und so ist es bis heute noch: Dieses kurze Stück begeistert, dem Dirigenten und Orchester sind die Diskussionen um Kitsch oder Nichtkitsch herzlich egal. Dem Publikum auch. Man versinkt ist dieser zärtlichen Erotik und der umbändigen Sehnsucht nach Vergessen. Alltag und Banalitäten rücken ab. Es passt nicht hierher, die Emotionen mit Worten nachzubilden. Sie sind stark, und überschreiten die Grenzen der Sprache.

Abkühlen und Aufwühlen: 5. Satz

Mahler und Bishkov wecken die Zuhörer aus ihrem Wohlfühlsentiment. Das Rondofinale ist pfiffig-ironisch, tänzelt, dröhnt, um am Ende in einer betörenden Apotheose des Sieges zu enden.

Nie endenwollender Beifall für Bischkov und das Orchester. Minutenlange Standing Ovations.

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Grafenegg Festival 2021: European Union Youth Orchestra: Weber, Glasunow, Sibelius

Dirigent: Vasily Petrenko

Selbstbewusst und flott treten die Musikerinnen – mit blauem Schal+Stern geschmückt- und Musiker auf, strahlen Lebens- und Musizierfreude aus. Das European Union Youth Orchestra – kurz EUYO – gilt als Vermittler zwischen Musikhochschulen und der professionellen Musikwelt. Seit seiner Gründung 1976 hat es sich zu einem der führenden Jugendorchester entwickelt.

Vasily Petrenko dirigiert ganz ohne Starallüren, mit Feingefühl auf die einzelnen Musiker eingehend. Wie intensiv der Kontakt zwischen ihm und den Musikern ist, zeigen diese am Ende jedes Musikstückes durch lauten Beifall und Füßetrampeln.

Die Ouvertüre zur Oper „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber steht am Beginn des Programms. Die Natur, der Himmel, von kleinen Wolken geschmückt, das Rauschen der Bäume und die letzten Vogelstimmen ringsum passen in die Musik oder umgekehrt. Volle Romantik ist angesagt, wenn auch Petrenko manchmal zugunsten dieser manche Strecken zu langsam dirigiert. Ihm ist wohl Stimmung wichtiger als Dramatik. Dass diese Musik einst zur „spezifisch deutschen Musik“ erklärt wurde und man dabei den deutschen Wald rauschen hörte, ist heute obsolet. Das Publikum genießt die Romantik ohne jegliche politische Notation. Und die umgebende Natur spielt mit hinein.

Im Konzert für Alt -Saxophon und Streichorchester von Alexander Glasunow glänzt die 23 Jahre junge Jess Gillam auf dem Saxophon. Im dezenten goldbraunen Hosenanzug und weißen Tennisschuhen – die Meckerer hätten da wieder was zu meckern – verschmilzt sie perfekt mit ihrem Instrument. Sie hat den langen Atem für Kantilenen, variiert zwischen Jazz, Barmusik und klassischer Romantik und holt aus ihrem Instrument die unterschiedlichsten Rhythmen und Tempi heraus. Der Schreiberin dieser Zeilen geht bei der Darbietung von Jess Gillam immer wieder die Figur des Pierrot durch den Sinn. Pierrot, der den Mond herunterholen möchte. Und als ob Gedanken das Geschehen beeinflussen könnten, steigt ein fast voller Mond zwischen den Bäumen hoch. Musik und Natur verschmelzen zu einer Einheit, die mich verzaubert. Man verzeihe mir das Foto, ich musste es machen und hier hineinstellen:

Gleich hebt die Solistin ab und holt mit ihrem Spiel den Mond auf die Erde.

Nach der Pause: Jean Sibelius „Symphonie Nr. 2, D-Dur op.43

So auf volle Romantik eingestimmt, fällt man in die Musik Sibelius‘ mit ungebremsten Gefühlen hinein. Vasily Petrenko ist in seinem Element und reißt die Musiker zu Höchstleistungen mit: Alles wird aufgeboten: hauschzarte Geigensoli, schwungvolle Dramatik, impulsierender Tempo- und Stimmungswechsel. Kühn akzentuiert Petrenko durch forcierte Pausen die einzelnen Motive, sie steigen auf, verschmelzen, kommen wieder. Sibelius entwickelt in dieser Symphonie einen unglaublichen Themenreichtum. Als bekennende Italienliebhaberin lasse ich dabei die von mir so geliebten Landstriche aufsteigen. Das ist legitim, denn Sibelius skizzierte die Grundthemen der 2. Symphonie auf seiner Reise durch Italien. Er schwelgt in Dramatik, Bukolik, um schließlich in einem triumphalen Finale zu enden. Mitreißend! Langer Beifall des Publikums und – wie gehabt – des ganzen Orchesters. Das beginnt dann zu tanzen, die Instrumente zu drehen, zu jubeln, zu klatschen. Ein Finale, das an das berühmte Jugendorchester „El Sistema“ aus Venezuela erinnert. Wer kann nach so einem Abend gleich ins Auto steigen und heimfahren? – Ich schlendere durch den abendlichen Park des Schlosses, langsam werden die Stimmen ringsum leiser. Einige Gäste genießen noch ein Glas Wein und bestaunen den Mond. Ich auch.

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Kultursommer Semmering: Eine Pilgerfahrt zu Beethoven – „Die Unspielbare“

Joseph Lorenz – Lesung

Florian Krumpöck -Klavier

Florian Krumpöck, Pianist und Intendant des „Kultursommer Semmering“, ehrte Beethoven mit seinem grandiosen Spiel der Sonaten für Klavier Nr. 27 und 29, die als unspielbar galten. Mit höchster Konzentration, frei ohne Noten, spielte er beide Musikstücke. Er kümmerte sich nicht um die Anweisungen, wie „durchaus mit Empfindung…, sehr singbar“, sondern führte den verzweifelten, das gängige Musikleben missachtenden KOmponisten vor. Hart, kompromisslos mit sich, mit den Zuhörern.

Danach las Joseph Lorenz den von Nina Sengstschmid feinfühligen und spannend geschriebenen Text über Beethovens große, geheime Liebe zur Baronin von Stackelberg und über Beethovens ebenso verzweifelte Liebe zu seinem Neffen und Ziehsohn Karl. Der Komponist, 1812 am Höhepunkt seines Schaffens, soll die verheiratete Baronin von Stackelberg leidenschaftlich geliebt haben. Eine einzige Liebesnacht hatte wahrscheinlich Folgen. Genau 9 Monate später gebar die Baronin ein Mädchen, dem sie den Namen Minona gab – was von rückwärts gelesen „Anonim“ ergab. Beethoven sah seine Tochter nie. S starb 1896 vereinsamt und kinderlos. Beethoven schrieb damals in sein Tagebuch:“Für dich gibt es kein Glück“. Und so konzentrierte er seine ganze Liebesfähigkeit auf seinen Neffen Karl, für den er im ewigen Rechtsstreit mit dessen leiblicher Mutter, die er für eine liederliche Person hielt, lag. All diese Sorgen und Qualen schleuderte Joseph Lorenz als Beethoven Gott entgegen und schuf mit weit ausladenden, bittenden, flehenden Gesten einen tief verzweifelten Beethoven. Man hörte ihm bis ins tiefste erschüttert zu. Zugleich gab er dem Kind Karl, später dem jungen Erwachsenen seine Stimme, der unter der erdrückenden Liebe seines Ziehvaters sehr litt und sich diesem Gefühlsgefängnis nur durch Selbstmord glaubte retten zu können. Beethoven und Karl litten gleichermaßen unter diesem „Liebeszwang“. Der Verzweiflung beider gab Lorenz Raum und genialen Ausdruck.

Der sehr emotionale Abend endete mit viel Bravorufen und einem begeisterten Applaus.

Informationen und Karten:http://www.kultursommer-semmering.at

Franz Lehár: Das Land des Lächelns. Volksoper Wien

Dirigent: Guido Marcusi, Regie: Beverly Blankenship, Bühnenbild: Heinz Hauser. Kostüme: Elisabeth Binder Neururer unter Mitarbeit der Modedesignerin Susanne Bisovsky, Choreographie: Allen Yu. Choreinstellung: Thomas Böttcher

Eine Wiederaufnahme der wunderbaren Inszenierung von Beverly Blankenship aus dem Jahre 2008.

13 Jahre ist die Inszenierung alt und kein bisschen alt. Blankenships Handschrift ist ja nie modisch, sondern immer strikt der Musik und dem Text folgend, jedoch nie sklavisch. Man erinnert sich mit Wehmut an ihre Inszenierungen in Reichenau, zuletzt die dichte und beklemmende Aufführung von Tennessee Williams „Endstation Sehnsucht“ (2018).

Charakterinszenierungen sind ihre Stärke: Sie gibt jeder Figur ein eigenes Flair.Mit punktgenauer Führung, bis hin zu kleinen Gesten entsteht vor den Augen und Ohren des Publikums der Prinz Sou Chong aus dem fernen China – fantastisch gespielt und gesungen von dem jungen Tenor aus Südkorea Jason King. Er erfüllt mit seiner machtvollen Stimme die Wünsche Lehárs, der vor allem im 2. Teil der Operette sehr mit dem Genre Oper kokettiert. Die Arie „Immer nur lächeln“ hätte auch Richard Tauber nicht besser bringen können. Seine Wortdeutlichkeit überrascht ebenso wie seine Darstellungskraft. Man spürt, dass Jason King schon Opernerfahrung hat. Hingegen war Sophia Brommer als Lisa etwas enttäuschend. Wäre da nicht die englische Übertitelung, hätte man kaum verstanden, was sie sang. Außerdem ist ihre Stimme in der Höhe etwas hart. Darstellerisch jedoch passte sie in die Rolle. Das ganze Ensemble glänzte mit besten Leistungen. Man spürte die Lust am Spiel, die alle erfüllte. Michael Havlicek war ein herrlich patscherter, liebenswerter Graf Gustav, Theresa Dux sang und spielte bezaubernd die Schwester Sou Chongs.

In Heinz Hauser fand Blankenship einen congenialen Bühnenbildner, der in Farbenfreude und witzigen Winfällen schwelgte. Ebenso bezauberten die Kostüme von Binder-Neururer, denen die Modedesignerin Bisovsky den Wiener Chic dazu lieferte.

Alles in allem eine gelungene Aufführung. Leider führte Guido Marcusi das Orchester der Wiener Staatsoper manchmal mit allzuviel Kraft, dass selbst der stimmkräftige Jason King es nur mit Mühe übertönen konnte.

Lang anhaltender Applaus und Bravorufe!

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Erwin Schrott: Tango Diablo. (Great Voices, Konzerthaus)

Erwin Schrott: Bassbariton. Claudio Constantini: Bandoneon. Santiago Cimadevilla: Bandoneon. Jonathan Bolivar: Gitarre. YuChen: Klavier

Ein klug zusammengestelltes Programm, mit dem Erwin Schrott als Sänger und als Entertainer glänzen konnte! Dass es der letzte Abend vor der neuerlichen Schließung aller kulturellen Aktivitäten war, erhöhte die Temperatur im Publikum und bei den Künstlern in gleicher Weise. Als ob es galt, den öden kommenden Wochen ein Schnippchen zu schlagen. Und wer könnte das besser als Mephisto! Ach, hätte er doch die Macht, die ihm Goethe zuschrieb! Dann würde er vielleicht all die unsinnigen Verbote, die die Kultur für Wochen in den Keller sperren, mit einem Handstreich und einem höhnischen Hohoho zunichte machen.

Erwin Schrott nahm für diesen Abend die Rolle des allmächtigen Mephisto ein: Mit der sonoren Bassbaritonstimme füllt er den Saal bis in die letzen Winkel. Wenn er in höhnisches Gelächter über die kurze Liebe Fausts zu Gretchen ausbricht (aus: Gounod, Faust,“ Vous qui faites l´endormie“) oder mit „Voici des roses“ (Berlioz:“ La damnation de Faust“) Gretchen und Faust mit trügerischer Sanftheit einlullt – er ist auch ganz ohne Kostüm, Maske und Kulisse Mephisto. Völlig enthemmt und toll geworden singt er die Arie „Voici donc les débris…Nonnes qui resposez“ (Meyerbeer:“ Robert le diable“), pfeift schrill und bedrohlich, als hätte sich der Höllenschlund aufgetan.

Dazwischen fährt er die Betriebstemperatur ein wenig hinunter und stellt vier junge Streicher vor, die als „Ensemble Quartissimo“ den Preis „Die goldene Note“ gewannen. Sie spielten sehr flott den Mephisto Walzer Nr.1 von Franz Liszt.Schwungvoll setzt Ernst Schrott mit Arrigo Boitos Lied „Sono lo spirito che nega“ aus „Mefistofele“fort. Das ist ein ganz anderer Mephisto, ein heiterer, witziger, der im Sambaschritt dahertänzelt. Von da gehts direttissima zu Astor Piazzolla mit „Tango del Diablo“ . Danach mit „Vuelvo al sur“ – ein Sehnsuchtslied nach der alten Heimat. Mit „Pasional“ von Soto und Caldara endete das Programm sehr dramatisch.

Trotz langem und begeistertem Applaus gab es nur eine Zugabe.

Die nächsten Great Voices -Termine sind – so die Regierung die Kultur frei gibt :

Am 15. Jänner 20121 stellt sich der neue Startenor Benjamin Bernhelm mit Arien von Donizetti bis Puccini vor.

Am 28. Februar 2021 wird Asmik Gregorian, die berühmte Stimme für Salome, singen.

Der Abend mit Jonas Kaufmann ist verschoben. Ein neuer Termin ist noch nicht bekannt.

http://www.greatvoices.at

Apropos „Kultur in den Keller gesperrt“! Ich empfehle allen, die sich mit der rigorosen Schließung aller Kultureinrichtungen nicht abfinden, bzw. sie nicht verstehehn können, das Empörungsfeuilleton von Renate Wagner:/https://onlinemerker.com/apropos-verdammt-noch-mal/

Puccini: Madama Butterfly. Wiener Staatsoper. 10.09.2020

Inszenierung: Anthony Minghella, bearbeitet von seiner Witwe Carolyn Choa. Dirigent: Philippe Jordan

Auch wenn es nicht die Première war, man spürte die flirrende Erregung in sich und die der anderen. Die erste Oper seit vielen Monaten! Corona hin oder her: Man wollte ein Fest erleben! Und das war es auf jeden Fall. Obwohl mit einigen Einschränkungen.

Alles wartete gespannt auf Asmik Grigorian. Man erwartete viel, allzu viel. Wie das oft passiert.Seit ihrer Salomerolle in Salzburg wird sie als die neue Sopranistin unserer Tage gefeiert, und man legt von vornherein einen zu hohen Maßstab an. Ihre gläserne Stimme hatte nichts Sanftes. War sie Butterfly? Dem Äußeren nach ja, aber genauer hinschauen sollte man nicht: Das war keine 15-jährige Geisha, die im romantischen Taumel der Liebe ihre Heirat mit dem Amerikaner erlebt. Eher schon eine reife Frau, die sich mit einigem Vorbehalt auf diese Ehe einlässt, klug schon vorher zum Katholizismus übergetreten ist. Erst im 2. Teil, also 3 Jahre älter, stimmt ihre Darstellung eher. Sie weiß, dass sie vergeblich hofft. Doch: Ihr Schicksal berührt nicht. Trotz des ungeheuren Aufwandes (gespiegeltes Bühnenbild von Michael Levine). Sie erdolcht sich spektakulär mitten auf der Bühne. Das war es. Wahrscheinlich bin ich ungerecht, aber ich bringe die hervorragende Darbietung von Kristina Opolais nicht aus meinem Kopf.

Freddie de Tommaso war ein starrer, ziemlich fieser Pinkerton. Das passt. Dass er kein großer Schauspieler ist, merkte man sofort. Er steht breitbeinig an der Bühnenrampe und singt tapfer gegen das Orchester an. Die spielen unter der Leitung von Philippe Jordan in voller Wucht. Selbst die stimmgewaltige Grigorian hat manchmal Mühe, über das Orchester drüber zu kommen. Vielleicht wird Jordan sich im Laufe der Zeit noch etwas mehr auf die Sänger einstellen. Man darf hoffen.

Überzeugend waren Boris Pinkhasovich als Konsul Sharpless und Virginie Verrez als Dienerin.

Begeisterter, kurzer Applaus. Trotz Corona viele Bravorufe.

Die viel gerühmte Inszenierung sah man ja schon im Kino in einer METübertragung. Da war sie um einiges weniger bombastisch und weniger kitschbeladen. Zu viel des Guten ist bald einmal unerträglich.

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Franui & Wolfram Berger: Vortrag über nichts. Theater Akzent

Kann man über nichts reden? – Ja, das tun wir tagtäglich, wenn wir smal-talken. „Wie geht es dir? “ Wie erwartet kommt die Antwort: „Gut, danke.“ An so einen Alltagsspeech dachte der bedeutende Avantgardemusiker John Cage (1912-1992) natürlich nicht , als er seinen Text „Lecture on nothing“ schrieb. Worum es ihm ging, habe ich – ehrlich gesagt – bis zum Schluss nicht kapiert.

Die Musikbanda Franui aus Osttirol spielte heftig witzig, eigenwillig, wie es ihre Art eben ist und amüsierte das Publikum.

Wolfram Berger (Foto: IMAGESNCVW8SNS)

Wolfram Berger unternahm das Wagnis, den sinnentleerten Text zu lesen. Lässig sitzt er vor der Musikgruppe und meldet: „Ich habe keine Idee“. Und ich gestehe, ich auch nicht. Bis zum Schluss wusste ich nicht so recht, was ich von den aneinander gereihten Sätzen, die sich oft und oft wiederholten, halten sollte. Am besten fand ich noch die Aufforderung: „Wer schläfrig ist, der kann ruhig schlafen.“ Es muss wohl ein Witz hinter all dem stecken, denn schließlich hat kein Geringerer als ERnst Jandl den Text übersetzt. Und der hatte ja wirklich Sprachwitz! Irgendwie stand ich neben der Textspur und wunderte mich, warum so manche kicherten. Aber die Musik war klasse!!

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Maria Bill singt Kurt Weill. Theater Akzent

Mit Leonhard Skorupa/Saxophon, Klarinette, Gregor Aufmesser Bass, Andi Tausch Gitarre, Konstantin Kräutler Schlagzeug

Foto: Theater Akzent, Maria Bill

Einmal mehr bestätigt sich: Das Theater Akzent ersetzt das Volkstheater, das unter der Intendanz von Badora viele Anänger verlor. Mit Maria Bill, Felix Mitterer ist das Theater Akzent die neue Bühnenheimstätte für ein Publikum, das sozialkritische Aufführungen schätzt. Das Theater Akzent ersetzt aber auch das Burgtheater, das unter der Leitung von Kusej mit lautstarkem, ohrenbetäubendem (im wahrsten Sinn des Wortes) Erziehungstheater viele Zuschauer vertreibt. Sie alle finden im Theater Akzent eine neue Bleibe. Dass auch berühmte Rezitatoren wie Joseph Lorenz, Andrea Eckert gerne im Akzent auftreten, schätzt das Publikum ebenfalls sehr.

Nun zu Maria Bill! Wo immer sie auftrat und auftritt, hat sie ihr Publikum! Das Theater Akzent war komplett ausverkauft, selbt am Balkon gab es keine freien Plätze mehr. Für diesen Kurt Weill-Abend hatte sie zunächst eine Überraschung bereit: Sie trat als alte (sic), verbrauchte Frau auf, die sich ihr Geld mühselig im „Dienst an Männern“ verdient. Und sah dementsprechend aus. Diesen Mut zur Hässlichkeit hat kaum eine andere Künstlerin: Graue, verfilzte Haare, ein Kurzmantel aus dem Container, darunter ein armseliges Kleidchen, das schon bessere Tage sah. Klobige Bergschuhe und dicke Socken vervollständigten das Bild einer Frau, die geradewegs aus dem Umfeld der Dreigroschenoper kam. Dazu passsend ihre Gesten: Wie ein hilflos der Welt ausgeliefertes Mädchen zupfte sie an ihrem Kleid, fuhr verlegen die verfilzten Haare – man musste sie einfach gern haben! ERst recht, wenn sie zu singen begann. Im ersten Teil sang sie die bekanntesten Songs, die Kurt Weill zu Brechttexten komponierte. Sie war das Mädel, das den Zuhälter liebt (Zuhälterballade), sie war die Seeräuber Jenny. Sie sang mit brüchig-rauer Stimme von einer Insel namens „Youkali“, wo sich alle Wünsche vereinen und in ERfüllung gehen könnten – nur leider eine Illusion.

Nach der Pause – die größe Überraschung: Maria Bill als elegante Lady im Stil einer Bardame. Schwarzes Outfit, raffiniert geschminkt. Kurt Weill floh vor den Nazis zunächst nach Paris, wo er das Sehnsuchtslied, gerichtet an >Lotte Lenya, schrieb: „Je ne t’aime pas“, von Bill mit großer Traurigkeit vorgetragen. Berührend auch „Nannas Lied“, das von einem französischen Mädchen erzählt, das sich in einen deutschen Soldaten verliebt. Von Paris flieht WEill in die USA, wo er als Komponist gut verdient, dennoch aber klingt der Song „I‘ am a stranger herer myself“ (Ich bin hier selbst ein Fremder) voller Sehnsucht nach dem alten Europa.

Was Maria Bill so überzeugend wirken lässt: Sie singt bedingungslos, gibt sich ganz der Rolle, der Musik hin und schielt nicht nach Äußerlichkeiten. Sie ist einfach – glaubwürdig!

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Jubiläumskonzert, Musikverein 28. Jänner 2020: „Feuerreiter“. Gesänge und Geschichten von Feuer, Mord und Liebe.

Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde Wien, Dirigent: Johannes Prinz Am Klavier zu vier Händen :Eduard und Johannes Kutrowatz. Sprecher: Joseph Lorenz

  1. Teil: „Liebes- und Beziehungsgeschichten“

Rotes Licht überstrahlt die Orgelempore, die Bühne liegt in geheimnisvoller Dunkelheit. Plötzlich überhell, fast weiß angestrahlt: Der Sprecher Joseph Lorenz. Er „befeuert“ mit Glut das Publikum, lässt den „Feuerreiter“ von Eduard Mörike durch den Saal rasen. Die Flammen zucken über die Köpfe der Sänger und des Publikums hinweg. Was für ein ungewöhnlicher Beginn! Man glaubte sich im Theater oder in der Oper, aber wahrlich nicht im ehrwürdigen goldenen Musikvereinssaal. Und glutvoll ging es weiter. Die Stimmen des Singvereines sangen verführerisch über die Gefahren und Fallstricke in der Liebe (u. a.Johannes Brahms und Robert Schuhmann). Dazwischen warf das Fräulein Kunigunde den Handschuh in die Arena, mitten unter die blutrünstigen Bestien, und forderte den Jüngling arrogant auf, ihn ihr wiederzubringen. Er tat es und statt auf den Liebesdank zu warten, wirft er ihr den Handschuh ins Gesicht. Aber wie! Wenn Joseph Lorenz die bekannte Ballade Schillers liest, dann lebt das Publikum mit, schmunzelt über die dumme Pute Kunigunde und vergönnt ihr die Zurückweisung vor versammeltem Hof.

Joseph Lorenz lässt Schillers Ballade „Die Bürgschaft“ lebendig werden, macht aus dem Tyrannen einen ziemlich dumm-herrischen Tropf. Aus Damon einen Leidenschaftlichen, der gegen Angst und Naturgewalten kämpft, um rechtzeitig zurückzukehren und den Freund vor dem Tod zu retten. Wir wissen alle, wie es ausgeht: Von dieser Liebe und Treue zwischen den Freunden gerührt, bittet der Tyrann um die Freundschaft derer, die er gerade noch am Galgen hat wollen hängen sehen. Im Gegensatz zu Schiller, der den Tyrannen voller Reue und zerknirscht sein lässt, schaut Lorenz tiefer in diese schwarze Politikerseele: Die Reue ist Schein, einmal Tyrann- immer Tyrann, auch wenn er sich „gerührt“ gibt. Denn was lehrt die Gegenwart: Die Worte eines Mächtigen gelten nur so lange es ihm passt.

Nach der Pause wurde in theatralisch wirksamer Inszenierung „Tödliches“ in guter Mischung aus Dramatik und Nonsense vorgebracht. Joseph Lorenz entzündete in fast totaler Dunkelheit eine Kerze und gab der „Flamme“ von Christian Morgenstern seine leise-gefährliche Stimme: gieirig züngelt sie über alles, was in ihre Nähe kommt und tötet Mensch, Vorhang, Zimmer, Haus, Häuser, Wälder, ringsum alles Leben. Dann, dann ist alles tot, verbrannt…Man erschaudert, Bilder von den riesigen Bränden in Australien steigen auf. Die Stimme des Sprechers reißt alles nieder. Pathos pur, aber ein Feuerpathos, das so sein muss. Gleich darauf: Stilles Pathos, Leid, Rachegedanken, die niedergerungen werden: Conrad Ferdinand Meyers Ballade „Die Füße im Feuer“. Dazwischen heiter, geschliffen vorgebrachter Nonsens in Christian Morgensterns „Werwolf“. Und am Ende Goethes „Erlkönig“ – Lorenz ist ängstlicher Knabe, todbringender Verführer mit homoerotischer Anmutung, ein Vater, der sein Kind nicht schützen kann. In Joseph Lorenz hat die Tragik, die hintergründige Heiterkeit eine adäquaten Interpreten gefunden, der sich vor großen Gesten und bewusst gesetztem Pathos nicht scheut.

Joseph Lorenz (Foto:Conactor-Schauspielagentur)

Auch das musikalische Menü folgte dem Prinzip der Abwechslung zwischen drohender Gefährdung, Gewalt, Heiterkeit und Spott. Großarig Ligetis „Pápáine“ für gemischten Chor a cappella. Ein musikalischer Höhepunkt waren sicherlich Brahms „Ungarische Tänze“, von Johannes und Eduard Kutrowatz auf dem Klavier zu vier Händen mit Rasanz und bewundernswerter Übereinstimmung gespielt. Ebenso der Nonsenssong „km 21“ von Franz Tischhauser, bravourös gesungen von dem Tenor Wolfgang Adler.

Was den Abend so einmalig machte, war diese unprätentiöse und intelligente Mischung aus Musik und Vortrag. Eine Auswahl, die ohne jegliche „erzieherische Tendenz“ auskam, allein zur Erbauung – welch selten gewordenenes, schon gehörig in Misskredit gekommenes Wort-.

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Wiener Staatsoper: Onegin. Ballett.

Choreografie: John Cranko. Musik: Peter Iljitsch Tschaikowski, arrangiert von Kurt-Heinz Stolze

Wenn John Crankos (1927 – 1973) Choreografien gezeigt werden, dann kommen Ballett-Aficionados in geschlossener Formation. Er leitete von 1961 bis zu seinem allzu frühen Tod die „Stuttgarter Ballettkompanie“ des Württenbergischen Staatstheaters und machte sie in kürzester Zeit zu einem der weltbesten Ensembles. Ihm ist es zu verdanken, dass das erzählende Ballett, das in den 6oer Jahren des vorigen Jahrhunderts verpönt war, wieder geschätzt wurde und wird. Im Falle des Balletts „Onegin“ hielt er sich an das Versepos von Alexander Puschkin (1833). Deshalb erscheint in dieser Aufführung vor jedem Akt das Bild des Dichters auf dem transparenten Vorhang. Dazu ließ Cranko von Kurt-Heinz Stolze eine Partitur aus verschiedenen Kompositionen Tschaikowskis zusammentstellen, um die innere und äußere Handlung der Figuren durch die Musikauswahl noch klarer zu verdeutlichen. Dank dieses Regie- und Choreographiekonzeptes folgt der Zuseher einem „Drama ohne Worte“, durch tänzerische Gesten und Figuren erzählt. Da gibt es keine langweilige Füllszenen. Gruppentänze, wie etwa die Auftritte der Burschen und Mädchen während des Festes, sind Teil einer Geschichte, die die Handlung weiter treibt. Amüsant etwa der Tanz der Dorfjugend: Übermütig und frech werben die Burschen um die Mädchen, lüpfen ihre Röcke, die Mädchen kichern verschämt. Währenddessen geht an Tatjana diese kindliche Lebensfreude vorbei. Sie stellt sich, beeinflusst von den allzu romantischen Geschichten, die sie unaufhörlich verschlingt, eine Liebesbeziehung mit dem eitlen Onegin vor, die so nicht realisierbar ist.

Roman Lazik als Onegin und Ketevan Papava als Tatjana. Foto: Ashley Taylor

In der Traumvision tanzt sie mit Onegin die ERfüllung ihrer Liebe. Dieser Pas de deux wird von Lazik und Papava mit bezaubernder Zartheit und Hingabe getanzt. Papava ist das junge, verliebte Mädchen und einige Zeit später die innerlich gefestigte Frau, die ihren Ehemann, den Fürst Gremin (Vladimir Shishov) ehrlich liebt. Dass Shishov nur mehr als Gasttänzer auftritt, schmerzt sehr. Es heißt, er schied mit Ende August 2019 aus Altersgründen aus. Wir werden ihn sehr vermissen! Seine Performance als Prinz im „Schwanensee“ oder sein wild-temperamentvoller Tanz als Kommissar in „Giselle rouge“ werden noch lange in Erinnerung bleiben.

Höhepunkt des Abend war sicherlich der Pas de deux zwischen Onegin und Tatjana am Schluss. Er ist um einige Jahre älter und reifer geworden, fühlt schmerzlich die Einsamkeit. Da sieht er Tatjana wieder. Nun begreift er, welchen Fehler er damals machte, als er ihre Liebe so grob zurückwies. Er will sie -typisch Mann – wieder für sich gewinnen. Tatjana weist ihn zurück, aber mit zunehmender Heftigkeit der Werbung verfällt sie dem Rausch, der Leidenschaft. Doch abrupt bricht sie ab, bevor es zur Vereinigung hätte kommen können. Sie weist ihn mit herrischer Geste aus ihrem Gemach. Weinend bricht sie am Schreibtisch zusammen. Eine enorme, intensive Leistung der beiden, die sich tief in die Erotik und verlockende Versuchung hineintanzen und wie aus einem Rausch erwachend ernüchtert die Szene verlassen.

Viel Applaus und standing ovation für das ganze Ensemble und besonders für Lazik und Papava, und natürlich auch für Shishov! Ebenso für die entzückende Madison Young als Olga und Jakob Feyferlik als Lenski. Verdienten Applaus bekam auch der Dirigent Ermanno Florio, der das Wiener Staatsopernorchester behutsam durch diese wunderbare Musik leitete.

http://www.wiener-staatsballett.at

Stanislaw Moniuszko: Halka. Theater an der Wien

Was für ein Glücksfall! Eine Oper, in der die Musik, die Stimmen, die Inszenierung – einfach alles stimmt! Zu Recht jubelte das Publikum! Ein Abend, wie man ihn schon lange nicht mehr in Wien erlebte! Die Frage stellt sich: Warum bringt die Staatsoper so eine Inszenierung nicht auf die Wege?

Eine Koproduktion mit dem Warschauer Teatr Wielki.

Wenn sich ein Welttenor wie Piotr Beczala für dieses WErk einsetzt und noch dazu mitwirkt, dann greift das Theater an der Wien zu.

Mariusz Trelinski versetzt die Handlung in die Düsternis des Kommunismus der 1970 er Jahre. Statt der arroganten polnischen Adeligen lässt er Neureiche auftreten, wie sie überall in der WElt zu erleben sind. Man bereitet die Hochzeit zwischen Zofia (Natalia Kawalek), die Tochter des reichen Stolnik (Alexey Tikhomirov) mit Janusz (Tomasz Koniecny) vor. Doch Janusz hat ein Problem: Er hat dem Zimmermädchen Halka (Corinne Winters) eine Liebe vorgegaukelt und sie erwartet ein Kind. Das kann nicht gut ausgehen. Halka hört nicht auf den sie treu liebenden Jontek (Piotr Beczala in Bestform) und begeht Selbstmord.

Eine Dreigroschentragödie?! Vielleicht, aber sie geht ans Herz und an die Nieren. Moniuszko schrieb wunderbare Arien für die großen Rollen und herrliche Chorszenen, die vom Schönberg Chor mit Bravour eingelöst wurden.- Unter dem Dirigenten Lukasz Borowicz ließ das ORF Radio Symphonieorchester die Musik aufblühen, aber nie überborden.

Noch bis 31. Dezember 2019.

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Peer Gynt. Ballett. Wiener Staatsoper

Choreographie und Libretto: Edward Clug, Musik: Edward Grieg, Dirigent: Guillermo Garcia Calvo

Edward Clug, seit 2015 Ballettchef des Slowenischen Nationaltheaters in Maribor, ist ein Meister seines Faches. Kaum ein anderer kann so exzellent Erzählung in Ballett/Bewegung, Tanz umsetzen!

Für die Musik wählte Clug nicht nur die Bühnenmusik Griegs zu Peer Gynt, sondern auch weitere Werke des Komponisten, die zur Textur und Dynamik des Ballettgeschehens passen. Guillermo Garcia Calvo dirigierte mit hoher Sensibiltät, immer die Tänzer im Blick. Den Klavierpart spielte Shino Takizawa sehr innig und berührend.

Edward Clug ändert an der Aussage Ibsens nichts Wesentliches: Peer Gynt ist ein junger, später alter Mann, der nie aus den Kinderschuhen herausgewachsen ist. Immer noch kehren seine Gedanken zur Mutter zurück, die ihn züchtigt und verzärtelt. Vor ihr spielt er den erfolgreichen Helden. Aber ihre Liebe erwiedert er nicht. Ebenso wenig die Liebe Solveigs. Erst am Ende seines Lebens erkennt er, welch Irrwege er gegangen ist und wie er das Wesentliche im Leben verpasst hat: eben die Liebe.

Denys Cherevychko ist in allen Phasen der Entwicklung ein überzeugender Peer Gynt: Als unbekümmerter Draufgänger, der die Hochzeit Ingrids (Eszter Ledan) stört, sich die Braut ohne Rücksicht auf den Bräutigam schnappt, mit der geheimnisvollen „Frau in Grün“ ( hinreißend wie immer: Rebecca Horner) ein Kind zeugt und entsetzt vor ihrem Trollgesicht flieht. Nichts kann ihn aufhalten, auch nicht der Tod der Mutter – ihn treibt es in die Welt hinaus! Überzeugend tanzt Cherevychko den Macho, der in Marokko Teppiche und Frauen auswählt. So lange, bis er in der Irrenanstalt landet. Dort drehen sich die Rollen um: Aus dem selbstherrlichen Macho wird ein Gefangener, von den Irren gefesselt und verhöhnt. Besonders berührend ist die Schlussszene: Gynt kehrt als alter Mann zurück, Solveig – schlicht und berührend von Nina Polatkova getanzt – erwartet ihn, kurz nur hat er die Vision, mit ihr in einem Haus zu leben. Doch der Tod holt sie ein. Sie verschwinden gemeinsam in einer Lichttür, die sich langsam schließt. Der Pas de deux Gynts mit Solveig ist von so schlichter Innigkeit, dass man vergißt, ein Ballett zu sehen. Man fühlt sich direkt in die Szene involviert.

Zsolt Török als Hirsch. Fotocredit: Ashley Taylor

Geschickt inszeniert Edward Clug die Figuren rund um Peer Gynt. Ein weißer Hirsch – hervorragend getanzt von Zsolt Török – begleitet ihn als Alter Ego durch die verschiedenen Stationen. Am Ende wird er ihn und Solveig wie ein gütiger Todesengel in das Jenseits führen, sein Geweih und die Krücken über die Tür hängen. Dem Tod, der eher ein Behüter Gynts ist, verleiht Eno Peci eine heiter-bedrohliche Note. Vladimir Shishov – endlich wieder einmal auf der Bühne zu erleben!! – ist ein eindrucksvoller Schmied. Tänzerisch wuchtig gestaltet er den Kampf gegen Peer Gynt, den er beinahe mit der Axt getötet hätte, hätte da nicht der Tod „rettend“ eingegriffen. Clug baut viele solche Momente ein, die das Geschehen in das Reich des Traumes versetzt. Vielleicht ist Peer Gynts Leben nur ein Traum, evoziert durch den Tod, der ihn von Beginn an gemeinsam mit dem Hirsch begleitet. Das Schöne an dieser Inszenierung ist eben die Vieldeutigkeit.

Nicht unerwähnt bleiben sollen die phantasievollen Kostüme (Leo Kulas), das schlichte, aber wirkungsvolle Bühnenbild von Marko Japelj und die Lichtregie von Tomaz Premzl sein. Mit diesem Team arbeitet Edward Clug schon viele Jahre zusammen.

Langer Applaus und viele Bravos für Denys Cherevychko.

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Great Voices im Wiener Konzerthaus: Juan Diego Flórez

Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland – Pfalz

Dirigent: Jader Bignamini

Die Sänger und Sängerinnen , die im Rahmen von“Great Voices“ im Konzerthaus auftreten, haben längst in den Herzen des Publikums einen fixen Platz. Zwischen den Künstlern und dem Publikum herrscht eine fast regelhafte Übereinkunft: Der Künstler gibt sein Bestes, das Programm ist gefällig. Das Publikum dankt mit rauschendem Beifall. So wird es immer ein Fest.

Erst recht, wenn Publikumsliebling Flórez auftritt. Zuerst wärmt er sich und die Zuhörer mit zwei Ohrwürmern aus der Oper „Rigoletto“ auf: „Questa o quella“ – dem Feschak nimmt man den leichtsinnigen Grafen ungeschaut ab. Auch seinen kurzfristigen Schmerz über den Verlust seines lieben Engels: „Ella mi fu rapita“. Danach mischt er geschickt wenig Bekanntes ins Programm: „Oh dolore“ aus Verdis Oper „Attila“. Da gelingt es Flórez, mit schlichtem Gesang, ohne große Gestik in die Tiefe eines Schmerzes hineinzugleiten, was ja bei einem Liederabend besonders heikel ist. Denn allzu leicht entblößen sich Gesten, die, weil schon oft gesehen, als hohl. Na ja, und irgendwann will und muss – vom Publikum erwartet -er seine Leichtfüßigkeit in der Höhe demonstrieren. Das tut er gekonnt und ohne Anstrengung am Ende der Arie „Odio solo..“ aus Verdis „I due Foscari“: Atmen, kurze Pause, um dann mit weit ausgebreiten Armen und leicht zurückgebeugtem Oberkörper die Höhe zu erklimmen. Wie zu erwarten: Das Publikum jubelt. Nach der schlicht vorgebrachten Liebesarie aus „La Traviata“ geht es in die Pause.

Um danach mit dem Hit „Dein ist mein ganzes Herz“ aus Lehars „Land des Lächelns“ die Herzen vor allem der Damen höher schlagen zu lassen. Operette muss wohl sein an so einem Abend, um nicht hinter Kaufmann und Beczala zurück zu bleiben. Hier mein ganz persönlicher Eindruck: Flórez macht es noch besser als seine Kollegen. gerade weil seine Interpretation verhalten und schlicht ist. Danach mit Augenzwinkern und leichtem Lächeln, das andeutet: „Sorry, aber dieses Lied gibt es nun einmal“: Lehars allgemeine Huldigung an die Schönheit der Frauen: „Gern hab ich die Frauen geküsst“. Da fiele wohl keiner Frau im Zuschauerraum ein, sich über die Existenz des Liedes und seiner Interpretation aufzuregen. #MeToo hin oder her! Nach dem Reißer „Freunde, das Leben ist lebenswert“ kehrt wieder die Klassik ein: Nach Werthers „Pourquoi me réveiller“ die innig gesungene Unterwerfung Don Josés unter Carmen: „La fleur que tu m´avais jetée“ und dem leisen Vorstellungslied Rodolfos aus der „Bohème“ „Che gelida manina“ beginnt das gemeinsame „Feiern“ – heißt: das Publikum tobt und erklatscht sich 5! – fünf!! – Zugaben. Eh klar, mit Gitarre: Zuerst das bekannte Lied von Carlos Gardel: El dia che mi chieras. Nicht ganz Gardel, ein wenig Tango, sehr viel Flórez-Charme. Dann auf Zuruf aus dem Publikum „Cucurrucucu -paloma“ – „Granada“ reißt das Publikum endgültig von den Sitzen. Zuletzt – welche Überraschung: „Nessun dorma“ – nein, da hat wirklich keiner geschlafen!! Eine Zugabe ist mir durchgerutscht. sorry!

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Nächstes Konzert im Rahmen von „Great Voices“: Anita Rachvelishwili am 19. Jänner 20120

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Ballett: Jewels. Wiener Staatsoper

Choreographie: George Balanchine

Kostüme: Barbara Karinska

Bühnenbild: Peter Harvey

Dirigent: Paul Connelly

George Balanchine, der amerikanische Russe georgischer Herkunft und französisiertem Namen, war der große Schweiger, wenn es darum ging, seine Ballettchoreographien zu erklären. Unter seinen 450 Choreographien nimmt „Jewels“ eine Sonderstellung ein, gilt es doch als erstes „abstraktes Ballett“. Mag schon sein, dass die Pracht der Smaragde, Rubine und Diamanten in der Auslage des Juweliers Van Cleef & Arpels in der Fifth Avenue in New York Ideengeber war. Die Titel der drei Teile untermauern die Vermutung.

Manuel Legris bringt dieses Meisterwerk nun gleichsam als Abschiedsgeschenk zum Abschluss seiner Ära als Ballettdirektor zur Gänze auf die Bühne.

EMERALDS – MUSIK: GABRIEL FAURÉ

Gabdullin, Mair in „Emeralds“

Vor einem giftgrünen Himmel, in dem man vielleicht eine Sonne vermuten kann, und zwischen herabregnenden „Smaragden“ tanzen die beiden Paare Natascha Mair mit Robert Gabdullin und Madison Young mit Roman Lazik, eingerahmt vom Corps de Ballet und Ioanna Avraam, Alice Firenze, Dumitru Taran. Noch bleibt die erwartete Faszination aus, zu klassisch und zu oft gesehen ist die Tanzsprache. „Sehnsucht“ könnte man hinter der Musik und dem Gestus vermuten. Schön, aber langweilig.

RUBIES – MUSIK: IGOR STRAWINSKI

Papava und Ensemble

Mit der Musik von Strawinskis „Capriccio“, dem spritzigen Bühnenbild und den Kostümen in flammendem Rot ändert sich sofort die Temperatur des Tanzes: Ketevan Papava hat an ihrem aufmüpfigen Hüftdrehungen sichtlich Spaß. Ganz in der Rolle zwischen Clown und Commedia dell‘ Arte -Figuren gehen Nikisha Fogo und Davide Dato auf. Das Ensemble hüpft und dreht sich, als ob es im „Triadischen Ballett von Oskar Schlemmer agiere. Begeisterter Applaus, Blumenbouquets fliegen auf die Bühne.

DIAMONDS – MUSIK: TSCHAIKOWSKI. SYMPHONIE NR. 3

Feyferlik und Esina

Prima la Primaballerina, dopo il Ballerino! Das gilt besonders für den letzten Teil der „Jewels“, in dem Olga Esina mit ihrer strahlende Tanzkunst das Publikum betört. Von Jakob Feyferlik mit sichtlichem Respekt und Begeisterung unterstützt tanzt sie mit der ihr innewohnenden Ruhe. Jede Figur wird von innen her gelebt und fließend mit der nächsten verbunden. Beider Soli sind Glanzleistungen, die vom Publikum mit langem Applaus bedacht werden. Nicht unerwähnt sollte die Leistung des Corps de Ballet bleiben, die exakt und scheinbar mühelos die klassische Schule tanzen.

Insgesamt ein eindrucksvoller Abend. Das Publikum dankte mit viel Applaus.

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