Ballettabend/Wiener Staatsoper: „Le pavillon d’Armide“ und „Sacre“/ Premiere

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Foto: Wiener Staatsopernballett, Ashley Taylor

Mit diesem hervorragenden Ballettabend feierte John Neumeier seine  vierzigjährige Zusammenarbeit mit der Wiener Staatsoper. Und es wurde ein gelungenes Fest! Wie immer, wenn John Neumaier für Choreographie, Bühnenbild, Kostüme und Lichtregie verantwortlich ist, entsteht ein Meisterwerk.Unter seiner Führung zeigte das  Staatsopernballett seine Fähigkeit zu extremen Leistungen, nicht nur tänzerisch, sondern auch darstellerisch. Denn Neumeier ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, wofür er Tänzer braucht, die mehr als nur Sprünge beherrschen.

Im „Pavillon d´Armide“ schlüpfte Mihail Sosnovschi in die Rolle des Tänzers Vaslaw Nijinsky – falsch – er war Nijinsky. Mit unwahrscheinlicher Intensität tanzte er den gebrochenen Tänzer, der nach seiner großen Karriere die letzten 30 Jahre seines Lebens im Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen in der Schweiz verbrachte. In wahnhaften Visionen sieht er sich im Ballett „Le Pavillon d`Armide“ mit Anna Pawlowa (Nina Polatkowa) tanzen. Großartig gelingt es Neumeier, die beiden Zeitebenen ineinander zu verweben. Sosnovschi tanzt den kranken Nijinsky mit irrem, starrem Blick. Dazwischen leuchtet der begnadete Tänzer von einst auf. Das war ganz große Tanzkunst! Sosnovschi lässt die Frage nach Technik und Können hinter sich – weil das ja bei einem wirklichen Künstler, der in der Rolle, egal ob Sänger, Tänzer oder Schausspieler, drin ist, überhaupt nicht relevant ist. Unterstützt wurde er von Michael Boder, der die Musik von Nikolai Tscherepnin genüsslich fließen ließ.

Mit einer langen Stille begann der Ausschnitt aus „Sacre du printemps“. Neumeier ließ Paare wie Scherenschnitte langsam über die Bühne schreiten. Im Vordergrund liegt bereits das Opfer, die Leiche. Neumeier geht es nicht um die Geschichte des Rituals rund um ein Frühlingsopfer, sondern um die Vision des totalen Zusammenbruchs. Die Welt steht vor dem Untergang. Menschen werden von einer unbekannten Macht verschlungen, suchen Zuflucht miteinander und ineinander – großartig getanzte Kopulationsszenen, in denen die ganze Verzweiflung und die Suche nach Rettung im anderen herauszuspüren sind. Bilder, wie aus Kriegsfilmen, Menschenskulpturen, die an Rodins „Bürger von Calais“ erinnern. Am Schluss tanzt Rebecca Horner einen Untergangstanz, in dem Selbstzerstörung, Aggression und tiefe Verzweiflung förmlich stumm herausgeschrien werden. Ihr wurde übrigens nach der Aufführung der Titel „Solotänzerin“ verliehen.

Michael Boder dirigiert Strawinsky hart, fast ohne Erbarmen. Das Orchester der Wiener Staatsoper kann beides: Die sanfte Romantik von Tscherepnin und die Härte Strawinskys.

 

Ein Abend, der Geschichte schreiben wird.

 

Daniela Strigl: Berühmt sein ist nichts. Marie von Ebner-Eschenbach. Eine Biographie. Residenz Verlag

Nun habe ich mich durch Wochen in das Leben von Marie Ebner-Eschenbach hineingelesen.  Je näher das Buch und ihr Leben sich dem Ende zuneigte, desto weniger Seiten las ich pro Tag. Denn ich wollte mich nicht verabschieden – wollte nicht, dass ihr Leben endet, wollte nicht, dass das Buch endet. Ich zögerte den Tod hinaus, wollte die Dichterin nicht loslassen.

Daniela Strigl ist eine bekannte Literaturwissenschaftlerin. Mit dieser Biographie hat sie sich in die Herzen aller hineingeschrieben, die  Marie Ebner-Eschenbach schon immer als Autorin schätzten. Sie beschreibt das Leben einer Frau, die von Kindheit an wusste, sie will Dichterin werden. Ebner-Eschenbach hatte als Frau sich ihren Platz in der Literatur mühsam erkämpfen müssen. Die Familie, ihr Ehemann – sie alle hielten nichts von ihrer „Schreiberei“. Sie sollte sich – wie alle adelige Frauen – um Haushalt und Familie, um Arme und Kranke kümmern und nur eines nicht tun: Dichten. Aber Marie Ebner-Eschenbach ließ nicht nach, schrieb gegen alle Widerstände an, versandte immer wieder ihre Novellen und Dramen – jahrelang mit wenig Erfolg. Zwar wurde hin und wieder eines ihrer Dramen am Burgtheater gespielt, aber der große Durchbruch blieb lange aus. Erst als sie sich entschloss, vom Drama zu lassen, und sich dem Roman zuwandte, stellten sich die Erfolge ein. Mit „Bozena“, „Lotti die Uhrmacherin“ und vielen anderen Romanen  erschrieb sie sich einen Ehrenplatz in der damaligen Literaturszene. Je älter sie wurde, desto mehr Ehrungen erhielt sie, unter anderem auch das Ehrendoktorrat der Akademie der Wissenschaften.

Marie Ebner-Eschenbach war eine Kämpferin für Frauenrechte, gegen den Krieg und gegen jede Gewalt. In ihren Werken kritisert sie den Standesdünkel und die Kälte des Adels im Umgang mit ihren Dienstboten, kritisiert die unterwürfige Rolle der Frau in der Ehe. Sie hilft Armen, wo sie kann. Mit Geldspenden, Briefen und persönlichen Gesprächen. Oft bleibt ihr nur wenig Zeit für ihre eigentliche Arbeit, das Schreiben.

Daniela Strigl gelingt es, die wissenschaftlichen Aspekte gut in eine lebhafte Schilderung zu integrieren. Präzision und Ausführlichkeit gepaart mit einer farbigen Charakterisierung der Personen machen die Biographie zu einem leicht lesbaren und wertvollen Zeitdokument des 19. Jahrhudnerts. Man erlebt nicht nur die Entwicklung der Dichterin, sondern auch die politischen Probleme. Marie Ebner-Eschenbach weiß um den fragilen Bestand der Monarchie und fürchtet, dass nach dem Krieg nichts mehr so sein wird, wie es einmal war. Sie stirbt wenige Monate vor ihrem so verehrten Kaiser Franz Joseph.

Silvia Matras empfiehlt diese Biographie allen, die sich für österreichische Literatur interessiern.

Marie Luise Lehner: Fliegenpilze aus Kork. Kremayr&Scheriau

Ein Lesevergnügen der besonderen Art! Die 22 Jahre junge Autorin erzählt – nein, besser: sie protokolliert – in Stakkatosätzen über ihren recht ungewöhnlichen Vater. Sie erzählt in der Ichform, aus der Perspektive eines Kindes, das seinen Vater (fast) bedingungslos liebt. Die Eltern sind getrennt. Das Protokoll beginnt mit der Stunde Null, der Geburt, und setzt sich über die Jahre bis ins 20. Lebensjahr fort. Die Kapitel heißen: Eins werden, Zwei werden…und so fort. Schon diese Übertiteln lassen einen ungewöhnlichen Erzählstil vermuten, dessen Reiz in dem naiven, unbedingten Glauben an alles, was der Vater tut und sagt, liegt. Der Vater hat – wienerisch gesagt – eine ordentliche Makke. Aber dem Kind gefällt es, findet alles normal, ja genießt dieses Außenseitertum des Vaters, ohne es als solches zu erkennen. Er bringt dem Kind auch allerlei Schmähs bei, zum Beispiel, woran es Kontrollore in der Straßenbahn erkennen kann – denn Schwarzfahren ist Ehrensache. Er bringt ihm bei, wie sie Brötchen im Buffet der Oper klauen können. Aber auch Eislaufen oder Bilder malen. Mit dem Älterwerden entsteht eine gewisse Distanz, der Vater wird immer wirrer, seine Emails immer unverständlicher. Da beginnt sich der Charme des Stils und der Figuren ein wenig abzunützen, als wären dem Vater und der Autorin die Ideen ausgegangen. Insgesamt aber ein viel versprechender Debütroman.

Der schwarze Bär für die drei schlechtesten Filme des Monats

Den 1. Preis erhält: Die Hölle. Ein Machwerk der grauenhaftesten Art – Hautabziehen, verbrennen der Opfer  und andere Schmankerln. Warum Ruzowitzky so ein Kampfszenario der Sonderklasse machte, ist völlig unverständlich.

Den 2. Preis in der Kategorie der schlechtesten Filme des Monats Februar räumt der Film „Die Blumen von gestern“ ab. Regie Chris Kraus. Ein Holocaust-Kongress soll stattfinden. Aber darum geht es nur am Rande. Die meiste Zeit nerven ein hysterischer  Organistor und seine übergeschnappte Assistentin die Zuschauer.

Den 3. Preis vergebe ich an das hochgelobte Filmwerk „Toni Erdmann“. Genügt es denn, Simonischek mit schwarzer Perücke und einsetzbarem Vordergebiss auftreten zu lassen? – Nein, er nervt.

 

 

„Die Verdammten“ nach Luchino Visconti. Theater in der Josefstadt

Mit dem Regisseur Elmar Goerden hat die Josefstadt einen der interessantesten Theatermacher im deutschsprachigen Raum ins Haus geholt. Seine Inszenierungen von Ibsens „Borkman“ (2012) und „Kafka-Projekt“(2015) wurden mit Preisen für die beste Regie ausgezeichnet. Mit den „Verdammten“ liefern Goerden und das ganze Ensemble einen der intensivsten Theaterabende der laufenden Saison.

Es geht um die Kruppfamilie. Man kennt die Geschichte, hat vielleicht den Film von Ponti „Die Eingeschlossenen von Altona“ nach Jean-Paul Sartre oder die „Götterdämmerung“ („La caduta degli dei“ 1970) von Visconti in Erinnerung. Viscontis Film war für Elmar Goerden gleichsam „das Schlüsselloch“ (Interview im Standard vom 4.11.2016), das ihm einen Blick auf die Familiengeschichte werfen ließ. Unübersehbar in der Inszenierung auch die Anspielungen auf Figuren aus den „Buddenbrooks“ und auf Mitglieder der Thomas- Mannfamilie – besonders die Figuren der beiden Jungerben Martin und Günther, gespielt von den Alexander Absenger und Meo Wulf. Es geht um mächtige Familien, egal ob sie Krupp, Thyssen, Buddenbrook oder Mann oder wie hier im Drama Essenbeck heißen. Um Machtstrukturen innerhalb des Clans, um Verflechtung von Industrie und Politik – aktueller denn je -, um Widerstand gegen das Patriarchat, letztendlich auch um die „Moral und Verantwortung“, Worte, die von jedem im Munde geführt werden, aber immer nur als Deckmantel für irgendwelche Abgefeimtheiten dienen. Jedoch ist das Stück keine plumpe Abmahnung der Reichen – das wäre dem Regisseur sicherlich zu vordergründig gewesen. Denn wir als Zuseher haben durchaus auch Sympathie für die intrigante Sophie von Essenbeck – großartig gespielt von Andrea Jonasson – , lächeln über ihre zynisch-erotischen Verführungskünste, verachten mit ihr den unterwürfigen Hampelmann und Geliebten Friedrich Bruckmann – André Pohl brilliert in dieser schwierigen Rolle. Fast alle Mitglieder der Familie haben ihre Doppelseite des Charakters, nur der Hauptsurmführer Wolf von Aschenbach ist von Beginn an eingleisig und ohne Wenn und Aber für das Naziregime. Amüsant ist auch, wie Goerden die Machtgier mit ganz einfachen Tricks auf die Bühne bringt: Da geht es um Sessel, die zu besetzen und besitzen wichtig sind, die dem einen unter dem Hinterteil weggeschoben, dem anderen unterschoben werden, um Tische, die Herrschaft und Autorität symbolisieren. Goerden lässt ganze Tisch- und Sesseltänze aufführen und liefert so die einzelnen Familienmitglieder der Lächerlichkeit aus. Grausam aktuell der Schluss: alle bis auf Baron Martin und Wolf von Aschenbach sind tot. Beide stehen in Naziuniformen da, triumphieren und Wolf von Aschenbach hält eine flammende Schlussrede: „Ihr werdet euch noch wundern, was alles möglich ist.“ Lang anhaltender Applaus für das ganze Ensemble.

Sehr zu empfehlen ist das Programmheft, das gute Hintergrundinformationen liefert.

Die nächsten Termine: 10., 11., 12., 18., 19. März 2017. Karten und Infos: www.josefstadt.org

 

 

Verdi, Il Trovatore. Staatsoper – 5.2.2017/ Première

Hinreißende Musik, Ohrwürmer, die man mitsingen möchte. Leider keine Sehwürmer – Sabine Gruber wird mir den Wortdiebstahl verzeihen, den ich aus ihrem Roman „Daldossi“ geliehen habe, Ich gebe ihn bald wieder zurück.

Die wirre Handlung ist ganz unwichtig. Wer jetzt wessen Sohn ist und wen die Zigeunerin Azucena ins Feuer geworfen hat, auch. Im Trovatore geht es um Stimmen, um Folklore, um heftige Musik, die manchmal so heftig laut  wird, dass Herz und Körper sich dagegen auflehenen. Aber durchstehen ist alles. Denn Anna Netrebko ist die Leonora. Und sie zieht die stimmlich guten, aber darstellerisch glanzlosen Kollegen und Kolleginnen wie eine nimmermüde Lokomotive durch das Geschehen. Ihr ist es zu verdanken, dass die Buhrufe für das Team um Daniele Abbado (Regie) nicht noch stärker ausfielen. Denn man fragt sich, wann und wie hat er Regie geführt. Per Skype aus Mailand? Vielleicht kam die Anweisung: Es genügt, schön zu singen, sonst braucht ihr gar nichts zu tun. Nun, das Singen allein ist wahrlich anstrengend, und man merkt es allen an – auch Netrebko. Aber heutzutage gehört zu einem Opernerfolg auch eine gelungene Inszenierung dazu. Und das ist diese wahrlich nicht. Ein langweiliges Bühnenbild (Graziano Gregori), schlechte Lichtführung (Alessando Carletti)  und absolut hässliche Kostüme (Carla Teti). Wenn wiederum die faschistischen Militärs in typischen Uniformen und Stiefeln, Gewehre und Kanonen und eine Marienstatue schleppend über die Bühne ziehen, dann fragt man sich: Wie oft habe ich diese Szenerie schon gesehen?

Fazit: Gute Stimmen, keine Personenführung, einfallsloses Bühnenbild.

Sabine Gruber, Daldossi oder Das Leben des Augenblicks. C.H. Beck

Ein Roadmovie der besonderen Art: Bruno Daldossi ist Kriegsfotograf, von sich und seinem Beruf angeekelt, Trinker und überhaupt kaputt. Marlis, sein Beziehungsanker durch Jahre, hat ihn verlassen. Sie kann und will nicht mehr mit seinen schrecklichen Geschichten leben, nicht in all ihrem Tun und Handeln relativiert und in Beziehung zum Leben in den Kriegsgebieten gesetzt werden. Sie zieht zu einem italienischen Gymnasiallehrer nach Venedig. Und Bruno fährt ihr nach, versucht verzweifelt, sie zurückzugewinnen. Doch sie ist von dem betrunkenen und lallenden Kerl nur angewidert. Aus dieser plötzlichen Lebens- Leere heraus beschließt Bruno, Johanna nach Lampedusa nachzufahren.   Johanna ist Journalistin und erhält den Auftrag, in Lampedusa über die Lage der Flüchtlinge zu recherchieren. Doch als Bruno sie findet, ist sie bereits krank, hat hohes Fieber. Er kümmert sich um sie, versucht auch so etwas wie eine sexuelle Beziehung aufzubauen, was aber nicht gelingt. Schließlich organisiert er für sie den Rückflug nach Österreich. Er selbst kauft ein Boot und macht sich auf die Suche nach einem Jungen irgendwo in Afrika. Der Roman endet mit einem Foto, das Brunos Mutter mit diesem Jungen auf einer Parkbank in Meran zeigt.

Ein hartes Lesebrot, dieser Roman. Die Autorin zeigt zwei Realitäten auf: Die von Marlis, die Zoologin ist und sich um Bären kümmert, die von Bruno, der dem ultimativen Foto nachjagt, im Dreck und Elend lebt, um Dreck, Elend und Schrecken im Bild festzuhalten. Nicht aus moralischen Gründen. Er will nichts verbessern, nicht anklagen, er will nur seine Bilder gedruckt und prämiert sehen. Dass ihn dieses Leben kaputt macht, machen muss, ist klar. Aber so lange er Marlis als Anker in der normalen, bürgerlichen Welt hat, zu der er immer wieder zurückkehren kann, hält er den Druck aus und jagt weiter von einem Kriegsschauplatz zum anderen.  Dann aber, nach der Trennung, verliert er den Boden unter den Füßen. Besäuft sich, kotzt sich an – wird widerlich, unerträglich- unerträglich schildert Sabine Gruber diesen Mann und  seine Fotos, die sie als Bildtext in das Geschehen hineinsetzt.

Brauchen wir so einen Roman? Im Feuilleton wurde er hoch gelobt. Leserinnen – ja, vor allem Frauen  – reagieren unterschiedlich. – Reaktionen aus dem Lesekreis: „Auf S 50 aufgegeben, auf S 126 aufgegeben. Nur mehr quergelesen. Doch auch einige positive Stimmen: Gruber führt uns vor, wie voyeuristisch unsere Gesellschaft ist. Sie braucht solche Bilder, um sich nach dem Betrachten/Lesen dann um so wohliger wegzudrehen und sich dem bürgerlich gesicherten Alltag genüsslich zuzuwenden. Das hat übrigens schon Goethe im Faust I gewusst. Das wissen wir alle. Das ist nicht neu. Warum dann der Roman? Vielleicht um ihren 1999 im Kosovo gefallenen Freund, der Kriegsfotograf war, ein Denkmal zu setzen? Oder vielleicht, um allen zu sagen: Seht her, wie kaputt dieser Beruf macht – auch das wissen wir.Am überzeugendsten wirkt der Roman gegen Schluss, wenn Sabine Gruber die Zustände auf der Insel Lampedusa beschreibt – die Überforderung der Bewohner, die sich gegen das Elend durch Gleichgültigkeit abschotten oder daran verdienen.

Sabine Grubers Sprache ist hart, dicht. Sie findet neue Wendungen, wie“ Sehwürmer“ oder „Traumvernichter“ für Fotos, die man nicht aus dem Hiirn raus bekommt. Ohne Beschönigung analysiert sie den Charakter Bruno Daldossis. Wahrhaft ein gnadenloser Roman.

Joseph Lorenz liest „Der unbekannte S“ (Schnitzler) Theater Akzent. Wiederholung

Wiederholungen von Abenden, die mich einmal begeisterten, sind eine gefährliche Sache. Oft stellt sich eine gewisse Enttäuschung ein. Nicht so, wenn Joseph Lorenz liest – fast muss man sagen – spielt. Alles wirkt wie das erste Mal gehört, seine Gesten, seine Mimik und vor allem der Stil seines Vortrages reißen mit. Wie eine Zuhörerin nachher sagte: Man ist so intensiv im Geschehen, dass man nicht eine Sekunde abdriftet, an andere Dinge denkt. Es begann mit der starken ERzählung „Der Mörder“ – das Psychogramm eines jungen, verwöhnten Schnösels, der sich mit einer reichen Fabrikantentochter verlobt, obwohl er eine Geliebte hat. Die aber ist aus armen Verhältnissen. Er nützt aus, dass sie schwer herzkrank ist und bringt sie kaltblütig mit einer Überdosis Morphium um. Doch auch er wird nicht davonkommen – er verliert die Verlobte und sein Leben. Wie Lorenz diese fiese Figur charakterisiert, ist einfach großartig. Ebenso intensiv die Erzählung „Der Andere“: Ein Witwer trauert um seine innig geliebte Ehefrau, steigert sich in immense Wut und Eifersucht auf eine nicht nachweisbare Liason seiner toten Frau und verliert seine Ruhe. In „Die Braut“ öffnen Schnitzler und Lorenz das innerste Triebleben einer jungen Frau. Wahrscheinlich sind einige der Zuhörer und -innen heute noch genau so geschockt über die Offenherzigkeit des Geständisses der jungen Frau,  wie sie es zu Schnitzlers Zeiten waren. Damit der Abend heiter ausklingt, las er „Park“ – ein heiter, hintergründiges Seelnpanorama eines braven Bürgers, der plötzlich den Boden unter seinen Füßen verliert.

Weitere Termine: am 23.3. wiederholt Joseph Lorenz wieder im Akzent „O du mein Österreich“ Karten und Infos: www.akzent.at

Und natürlich bei den Festspielen Reichenau: Er führt Regie und spielt selbst die Hauptrolle in Ibsens „Baumeister Solness“. Weiters wird man ihn als Amokläufer in Stefan Zweigs Novelle „Amok“ erleben. Karten und Infos: www.festspiele-reichenau.com

Frankl&Niavarani: Reset. Theater Akzent

Wenn es draußen so richtig grau ist und die Seele vor sich hin muffelt, dann hilft Lachen. Und das kann man ausgiebig in dieser Komödie. Roman Frankl und Michael Niavarani schrieben ein Stück, in dem die Pointen nur so durch die Bühne fliegen und im Publikum Dauerlachsalven provozieren. Des öfteren passiert es auch, dass die Schauspieler vor Lachen fast aus der Rolle fallen. Wie in einer Oper hat jede Figur ihre Paradeszene: Bernhard Murg als Herbert Gruber, der vorgibt sein Gedächtnis verloren zu haben, liefert eine Paradenummer nach der anderen. Wenn er mit einer Kabelhaube, die seine Hirnströme kontrollieren soll, herumrennt und  Ehefrau, Geliebte, Freund und Halbbruder mit seinem immer gleichen Spruch: Ich weiß nicht, ich erinnere mich nicht, zur Verzweiflung treibt. Wenn Stefano Bernardin als schwuler Halbbruder abwechselnd in die Rolle des heterosexuellen Bruders schlüpft, wenn Hemma Clementi als verzweifelte Ehefrau die komischesten Yogastellungen einnimmt, um sich zu beruhigen, Julian Loidl als Martin Feldmann auf Drogentripp ist, dann bleibt kein Auge trocken. Die Schraube der Komik wird noch um eine Umdrehung bis ins Absurde gedreht. Wenn man schon glaubt, absurder, unsinniger geht es nicht mehr, dann setzen die Autoren und die Schauspieler noch eines drauf. Während übliche Boulevardkomödien szenisch und textlich im so genannten Rahmen des Komischen bleiben, setzt „Reset“ auf die Übertreibung ins Maßlose. Mich erinnerte der Abend an Dario Fos Komödie „Bezahlt wird nicht“: Kluger Klamauk bis hin zur totalen Sinnlosigkeit.

Das kommende Programm des Theaters Akzent: www.akzent.at

„Reset“ – alle Termine unter: www.resetdiekomoedie.at

Bellini, La Sonnambula. Wiener Staatsoper

Stimmt gar nicht, dass Freitag der Dreizehnte ein Unglückstag ist. Für die Staatsoper jedenfalls nicht. Denn Juan Diego Florez hatte Geburtstag und sang den Elvio – ja wie? er singt ja immer toll – also sagen wir exzellent, schmetterte das hohe C so leicht heraus, als wäre er im Badezimmer. Dazu die Musik Bellinis – gut dirigiert von Guillermo Calvo – und das einnehmende Bühnenbild von Marco Arturo Marelli (Regie,, Bühne und Licht) – also was will man mehr!!! Die liebende Schlafwandlerin war Daniela Fally. Sie ist stimmlich bis auf ein paar scharfe Töne ganz gut, aber in den Schlafwandlerszenen zu real. Ihr fehlt in der Stimme, im Spiel das Magische, Verträumte, wie es die Callas oder die Netrebko in der Arie Ah non credea mirarti hatten.. Fally war einfach ein braves Mädchen, sehr verliebt, träumt von der Hochzeit mit Elvio. Florez als Elvio war stimmlich wie schon gesagt auf der vollen Höhe – ist er eigentlich immer. Aber den schwierigen Charakter dieses Elvio – krankhaft eifersüchtig, Macho, Muttersöhnchen – all das lag ihm nicht besonders. Vielleicht auch deswegen, weil er mit dummen Menschen nichts am Hut haben will. Gut auch Luca Pisaroni als Conte Rodolfo und Maria Nazarova als Lisa.

25 Minuten Applaus, standing ovations und: Wir alle im Publikum sangen aus voller Kehle: Happy Birthday, dear Diego!

 

Der Sturm -Akademietheater, zweiter Besuch

Es passiert nicht oft, dass ich ein Theaterstück mehr als einmal sehen will – der „Sturm“ war es wert! Beim zweiten Besuch konnte ich die Feinheiten des Textgewebes intensiver nachspüren. Was ich diesmal besonders genossen habe, war die Rolle von Oest, der zwischen Prospero und Erzähler, bzw. Shakespeare hin- und herwechselt, und das passiert ohne große Tricks. Man versteht einfach und ist gebannt! Dass  Maria Happel und Joachim Meyerhoff brillant in ihren Doppel- bzw. Dreifachrollen sind, ist selbstverständlich!

Wer den „Sturm“ noch nicht gesehen hat, sollte ihn nicht versäumen! Nächste Vorstellung: 2. Februar 2017. www.burgtheater.at

Arthur Miller: Hexenjagd. Burgtheater

Dass Arthur Miller ein exzellenter Dramatiker ist, wissen wir. Dass er ein Gespür für die Gefahren in der Gesellschaft hat, wissen wir auch. Sein Drama „Hexenjagd“ schrieb er Anfang der  1950er Jahre vor dem Hintergrund der Kommunistenverfolgung durch den Ausschuss des Senators McCarthy in den USA.  1956 wurde er selbst vor den Ausschuss zitiert. Weil er sich weigerte, Namen ihm bekannter Kommunisten zu nennen, wurde er zu einer Gefängnis- und Geldstrafe verurteilt. Der Pass wurde ihm entzogen. 1958 wurde dieses Urteil aufgehoben. Die schreckliche Mahnung dieses Stückes verstärkt sich noch, wenn man erfährt, dass Arthur Millers Drama auf einem historisches Geschehen basiert. Nämlich auf der Hexenjagd in Massachusetts im Jahre 1692, in einer Zeit “ als die Menschen eine Theokratie entwickelten, eine Verbindung von staatlicher und religiöser Macht“ (Arthur Miller, Anmerkungen zur Hexenjagd, zitiert aus dem Programmheft). Im Christentum erlebten die Menschen Verfolgung durch die Allmacht der Inquisition, und heute erleben die Menschen die Grausamkeit des IS. Und die Gefahr der Verleumdung lauert immer und überall, verstärkt durch die Anonymität der sozialen Medien. WEil die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wird, wächsen Neid und Hass. – Der Boden, auf dem die Figuren Millers agieren.

Dieses Drama gerade jetzt auf die Bühne zu bringen ist klug und mutig. Martin Kusej die Regie zu übertragen, ist vielleicht eher auf die Spekulation zurückzuführen, dass sein Name einen Skandal verspricht. Was er prompt auch zu liefern im Sinne hatte. Doch der Skandal blieb aus. Vielleicht deshalb, weil das Publikum Masturbation, Vergewaltigung und Aufhängen auf der Bühne schon als „normal“ empfindet? Als zu oft schon gesehen? Manche im Publikum reagierten mit Gelächter.

Martin Zehetgruber stellt einen Wald von bedrohlich hohen Kreuzen auf die Bühne. Bis auf die letzte Szene im Gefängnis bleiben sie stehen, als Mahnmale, als Bedrohung. Zu Beginn schwirren Mädchen durch den Wald, ziehen sich aus und masturbieren. Gestöhne auf der Bühne, Gelächter im Publikum. Dann beginnt der Wahn: zuerst ist von Exorzismus die Rede, dann von Hexenzauber. Die Menschen bezichtigen ihre eigenen Verwandten, Kinder die Eltern, Nachbarn die Nachbarn. So lange, bis der Stellvertreter des Gouverneurs (großartig gespielt von Michael Maertens) gerufen wird, „um diesen Sumpf trocken zu legen“. Was er kalten Herzens ausführt und reihenweise Todesurteile verhängt. Das Massenschicksal wird an dem Ehepaar Procter vereinzelt und drastisch spürbar. Elisabeth (berührend schlicht: Dörte Lyssewski) wird ebenfalls der Hexerei beschuldigt, ihr Todesurteil aber bis zur Geburt ihres Kindes aufgeschoben. Sie könnte sich „retten“, wenn sie gesteht. Ihr Ehemann John – schlicht und stark: Steven Scharf – versucht seine Frau zu retten, wird aber ebenso zum Tode verurteilt. Durch Hängen – vor den Augen eines schon ermüdeten Publikums.

Ein starkes Stück.Leider verordnet Kusej den Schauspielern eine schleppende Sprechweise mit vielen Pausen zwischen jedem Satz. Das Publikum hustet, gähnt, schlummert oder lacht. Vielleicht lacht es sich auch über den Schrecken hinweg.

Im Programmheft findet man gute Texte zu dem Thema!

www.burgtheater.at

Denton Welch, Freuden der Jugend. Wagenbach Verlag

Den fünfzehnjährigen Orvil muss man einfach mögen. Mit welcher Intensität er die Ferien erlebt! Das Internat hasst er ganz gewaltig. Deshalb kann er es kaum erwarten, von seinem Vater in einem großen, eleganten Auto abgeholt zu werden. Er wird mit ihm und seinen beiden älteren Brüder die Ferien in einem Nobelhotel nahe der Themse in Surrey verbringen. Zu seinem Vater hat er keine besondere Verbindung. Er sieht ihn nur alle drei Jahre. Dass er von ihm Microbe oder Made genannt wird, stört ihn nicht weiter. Orvil durchstreift tagsüber die Umgebung des Hotels, meidet den Kontakt zu seinem ältesten Bruder, vor dem er sich fürchtet. Es sind die kleinen Erlebnisse, das Durchstöbern der Welt um ihn herum, die das Buch so liebenswert machen. Denn Orvil ist trotz seiner fünfzehn Jahre noch immer ein Kind, das sich freut, wenn er sich vom Taschengeld ein kleines Parfumfläschen kauft, wenn er in der Kirche herumstöbert und heimlich still und leise die Madonnenstatue küsst. Als er in ein Gewitter kommt und in einer Hütte bei einem  Mann Unterschlupf findet, zählt das für Orvil zu den unvergesslichen Abenteuern in seinem bisherigen Leben. So reiht sich Abenteuer an Abenteuer, in denen Orvil die Welt entdeckt, die ihm im Internat ja verboten ist. Als er am Ende der Ferien ins Internat zurückkehren muss, ist er um viele Erfahrungen reicher. Die Rückkehr in die verhasste Schule erträgt er mit einem stoischen Lächeln.

Eine fein gesponnene Erzählung über eine Jungend in England noch vor dem WEltkrieg.

Ludwig II. nach dem Film von Luchino Visconti. Akademietheater

Was für ein Abend! Man geht berauscht, verwirrt und seltsam gefesselt von so einer überwältigenden Bilderflut aus dem Theater. Und versucht sich an verschiedenen Interpretationen. Mein Rat: Gehen Sie nicht allein zu diesem Theaterabend, denn dann haben Sie nachher niemanden, mit dem sie darüber diskutieren können. Und Diskussion, Überlegung braucht es danach unbedingt. Am besten wäre, man geht mit jemandem, der den Film von Visconti noch  im Detail präsent hat. Denn das braucht es, sonst ist man bei manchen Szenen verloren.

Zuerst einmal zu dem faszinierenden Bühnenbild (Peter Baur), das zwischen „Kitsch und Kühle“ (Zitat aus dem Dialog zwischen Ludwig und Elisabeth) oszilliert, mit Zitaten aus dem Film selbst,  Anspielungen aus dem Manierismus und den Präraffaeliten und der Postmoderne spielt und arbeitet: Die drei Hauptfiguren – Markus Meyer als Ludwig II, Regina Fritsch als Kaiserin Elisabeth und Johann Adam Oest als Wagner – sind alle in ätherisch-unwirkliches Weiß gekleidet, Ludwig und Elisabeth ziehen  als Zeichen ihrer imperialen Würde eine lange Schleppe hinterher. In einem riesigen Spiegel über ihnen spiegeln sich die Figuren zu einem TAbleau aus den eben genannten Perioden der Kunstgeschichte. Das wäre die erste und klarste Spielebene. Gemeisnam mit Peter Baur  und Jonas Link (Video) geht der Regisseur Bastian Kraft noch eine Stufe weiter in eine Art Metaebene, in der auf dem Videoschirm die realen Personen des Bühnengeschehens mit Ludwig verschmelzen. Diese multiperspektivische Regietechnik hat Bastian Kraft schon bei seiner „Dorian Grey“- Fassung – ebenfalls mit Markus Meyer mit ERfolg angewendet. Ludwig sieht sich gleichsam selbst in diesen Figuren zu, sieht seine eigenen Fantasien auf der Videowall. Und sieht, wie sich sein Bild in das Bild im Film verwandelt. Diesem Verwirrspiel ist der Zuschauer ausgesetzt und verfolgt mit Spannung, was mit Ludwig in den verschiedenen Spielebenen passiert und was gleichzeitig mit ihm selbst als Zuschauer passiert. Er spürt sich einer medialen Reizüberflutung ausgesetzt, die vom Regisseur so beabsichtigt ist. Verwirrung allseits – in Luswig, in den Figuren, bei den Zusehern. Das Bild entfaltet seine Macht. Und wir entkommen ihm nicht. Einige Ideen in der Inszenierung erweisen sich als Mätzchen, etwa die tintenschwarzen Flecken auf den Kleidern Ludwigs und Elisabeths. Oder die Blendung der Zuseher durch Spiegel. Dahinter sehe ich keinen Sinn.

Wer sich dem Geschehen voll aussetzen will und kann, der wird einen faszinierenden Theaterabend erleben! Fast vergaß ich die überragende Leistung von Markus Meyer hervorzuheben. Er ist Ludwig auf der Bühne, ist Ludwig im Film, ist Sophie, Bülow, Frau von Bülow, Wagner und all die anderen Figuren im Film Viscontis. Wenn am Schluss diese Figuren ihre Schminke abziehen, kommt darunter das nackte Gesicht Meyers hervor. Und nackt ist er auch als Ludwig. Als er als Herrscher und Mesnch am Ende ist, sich seiner Kleider entledigt und hofft, noch Halt auf seiner eigenen Statue zu finden. Wie ein armer Ertrinkender klammert er sich an sie, sieht ein, es gibt für ihn kein Leben mehr und verschwindet im dunklen Loch des Sees. Auf dem Flatscreen spiegeln sich der nackte Ludwig und die ersten zehn Reihen der Zuseher. Wir  -die Zuseher – sehen gelassen dem Medienereignis zu: Ein König scheitert und ertränkt sich.

 

 

 

 

Kottan ermittelt – Bühne im Hof. St. Pölten

Ich folge ja Nikolaus Habjan mit Begeisterung überall hin – diesmal nach St. Pölten in die sympathische „Bühne im Hof“. Dort ist freie Platzwahl und man hat sich etwas Witziges einfallen lassen: Im Programmheft gibt es eine Reservierungskarte zum Abtrennen. Darauf ist mit schwarzer Tinte zu lesen: „Hier sitzt“ – im freien Raum darunter schreibt man seinen Namen hin, legt die Karte auf einen Platz seiner Wahl und – genießt in Ruhe den Wein und die Brötchen im Pausenraum.

So, nun aber zur Aufführung:

Ich wundere und bewundere immer wieder, mit welch enormer Fantasie und hohem,künstlerischem Anspruch Nikolaus Habjan an seine Arbeiten herangeht. Für diese Neuauflage von „Kottan ermittelt“ – angelehnt an „Mein Hobby: Mord“ – baute er acht Puppen, die er mit seiner congenialen Partnerin Manuela Linshalm abwechselnd bespielt. Da gibt es natürlich den verschlagen- dümmlichen Schrammel, den Poizepräsident Pilch, Mamma und Ilse Kottan. Neu sind: der Frauenmörder Edgar, die Bardame Ludmilla, der drogenabhängige und homosexuelle Kelvin und der namenlose Vizebürgermeister. Die Story ist zum Schreien komisch – den korrupten Vizebürgermeister und den Mörder entlarvt nicht Kottan, sondern seine Mamma mit Hilfe modernster Technik, wie GPS und Internet. Was ich an der Puppenspielkunst Habjans und Linshalms am meisten bewundere, sind die seiltänzerische Fähigkeit und Geschwindigkeit, von einer Rolle in die andere zu schlüpfen. Die Bewegungen der einzelnen Figuren sind bis in die kleinste Handbewegung durchstudiert – etwa die Drehungen und Wendungen des homosexuellen Kelvin. Die Stimmen sind genau auf den Charakter abgestimmt. Habjan und Linshalm beherrschen aus dem Stand verschiedene Dialekte, die sie im schnellen Szenenwechsel einsetzen können.

Was den Abend ganz besonders auszeichnet, ist der unbekümmerte Umgang mit himmelschreiendem Unsinn. Der wird bis zu höchsten Spitzen angetrieben, etwa in der Szene, in der Kottan entlassen wird und Schrammel einen Größenwahnsinnstanz ansetzt. Weil es Puppen und keine menschlichen Darsteller – bis auf Kottan selbst – sind, kippt das Stück nie ins Peinliche.  Um alle witzigen Details zu inhalieren, müsste man das Stück mehrmals sehen. Aber … ausverkauft heißt es leider im Rabenhoftheater. Und nach St. Pölten kommt Kottan in nächster Zeit leider nicht mehr.

Kottan ermittelt:

Idee: Jan und Tibor Zenker, angelehnt an die Idee von Helmut Zenker

Mitwirkende: Christian Dolezal als Kottan, Nikolaus Habjan und Manuela Linshalm als Puppenspieler. Musik: Kyrre Kvam.

Im Rabenhoftheater (www.rabenhoftheater.com) vielleicht noch Restplätze für 31.1. und 2. und 3. 2. 2017.

Programm der „Bühne im Hof“: www.buehneimhof.at

 

Cendrillon (Aschenputtel), Ballett in der Wiener Volksoper

Musik: Sergej Prokofjew. Choreographie: Thierry Malandin.

In einer Art riesigen Schuhschachtel – an den Wänden sind sicher mehr als zweihundert Schuhe aufgespießt – tanzt das Aschenputtel( Cendrillon) aus der Asche in den Himmel ihres Prinzen. So könnte man kurz diesen Ballettabend zusammenfassen. Aber das würde der intelligenten und witzigen Choreographie von Malandin nicht gerecht werden. Das Wichtigste an diesen Abend ist nicht das Aschenputtel – brav getanzt, aber ohne Ausstrahlung: Mila Schmidt –  auch nicht der Prinz -Andrés Garcia Torres. Der hat zwar schöne Sprünge und Pirouetten zu bieten, aber ihm fehlt das gewisse Etwas, das ihn begehrenswert macht. Der eigentliche Motor des Abends sind das Trio Infernal, die Stiefmutter und ihre beiden Töchter. Genial getanzt von drei Männern: Die Mutter – herrlich böse, oft auf Krücken drohend sich auf der Bühne umherschwingend: László Benedek. Urkomisch und immer daneben in den devoten Bemühungen um den Prinzen: Samuel Colombet als Javotte und Keisuke Nejime als Anastasie. Die drei mischen den Abend zu einer humorvollen Show auf. Immer, wenn sie antanzen, darf gelacht werden – wenn etwa die beiden Töchter bei einem Tanzlehrer – sehr gut in dieser Rolle: Gleb Shilov – für den Ball Tanzunterricht an der Stange nehmen.  Oder die Ballszenen, wo sie  um die Aufmerksamkeit des Prinzen buhlen. Was wäre das Gute (Prinz und Aschenputtel) ohne das Böse! Nicht nur auf der Bühne!Malandin inszeniert das Böse in den Mittelpunkt des Geschenes hinein, wissend, dass die Szenen mit den Elfen, der Fee, dem Aschenputtel und dem Prinzen allein nicht unbedingt faszinieren, obwohl die Musik unter dem Dirigenten Guillermo Garcia Calvo auch da bezaubert. Alles in allem eine gelungene Aufführung, gerade deswegen, weil dieses Märchenballett ohne Kitschszenen auskommt.

Die nächsten Termine: 16. 22. 26 und 29. Jänner 2017. www.volksoper.at

Shakespeare. Sturm. Akademietheater

GENIAL!

Mehr Worte zu dieser Aufführung braucht es nicht! Einfach genial!  Aber leider gibt es die Einwortkritik nicht. Was ein ordentlicher Berichterstatter oder Kritiker sein will, der muss fleißig palavern, gescheite Worte machen. Und eine ordentliche Kritikerin will ich ja sein. Also deshalb – Worte zu diesem Sturm, zur besten Aufführung dieser Saison :

Die Regisseuse Barbara Frey hatte die geniale (schon wieder!) Idee, das Drama zu entkernen, es auf drei Hauptfiguren zu konzentrieren, Prospero, Ariel und Caliban. Mit Maria Happel als Caliban und Miranda, Joachim Meyerhoff als Ariel, Ferdinand und besoffener Trinculo, Johann Adam Oest als Prospero und besoffener Stefano gelingt diese Verknappung ganz wunderbar. Mit einer intelligenten Bearbeitung und dem Trick, Prospero auch als Erzähler der Handlung, die man auf der Bühne nicht sieht, einzusetzen, wird diese Fassung in sich stimmig. Das funktioniert auch deshalb so gut, weil die drei einfach fantastische Schauspieler sind. Oest ist ein menschlich zu tiefst berührender Prospero, der Macht ausübt, sie zugleich aber hinterfragt. Meyerhoff gibt einen Ariel, der mit subtilen Bewegungen  an einen Vogel und an einen Hund  erinnert und so den Charakter eines Luftgeistes zeichnet, der Prospero hündisch ergeben ist, aber doch sich seiner Zauberkraft bewusst ist. Flugs verwandelt er sich in einen dümmlichen Prinzen, der sich in die zum Schreien komische Miranda – Happel mit Blumenkranz auf dem Glatzkopf – verliebt. Gerade noch war Happel der böse Caliban, ein widerlicher Fleischbrocken, und drei Sekunden später eine in ihrer Einfalt berührende Miranda! Ein Shakespeare, wie man ihn noch nie so gut gesehen hat!

Unbedingt hingehen und nicht vergessen, das Programmheft zu kaufen! Denn da liest man eine gescheite Diskussion zwischen Barbara Frey und dem Enssemble.

Nächste Aufführung: 4. Jänner 2017. www.burgtheater.at

Robert Seethaler, Die weiteren Aussichten. Kein&Aber Pocket

Also gleich noch einmal Seethaler! Auch diesmal nicht mit derselben Begeisterung wie bei den Romanen „Der Trafikant“ und „Ein ganzes Leben“. Obwohl Thematik und Struktur dieses Romans sich in vielen Punkten ähneln, gibt es einiges, das ganz einfach „nervt“.

Schauplatz: Irgendwo in irgendeiner Provinz – „Provinz“ im pejorativen Kontext zu verstehen. Dort gibt es nichts als eine Tankstelle und eine Landstraße, auf der kaum Autos vorbeifahren und daher auch kaum wer zum Tanken stehen bleibt. Herbert Szevko lebt dort mit seiner Mutter und dem Fisch Georg. Er ist  Epileptiker und wird von allen als nicht ganz gesund im Kopf belächelt oder auch gemobbt. Seine Mutter liebt ihn, zwar mit herber Strenge, aber dennoch…

In dieses öde Leben bricht Hilde ein.  Auf einem blauen Klapprad fährt sie vorbei. Hilde ist klein, rund, robust und in Herberts Augen das schönste Mädchen weit und breit. Herbert folgt ihr in das Hallenbad, wo sie als Putzfrau arbeitet, springt für sie sogar vom Fünfmeterbrett und verliebt sich in sie. Und sie in ihn. Ohne große Umstände zieht sie zu ihm. Das mit der körperlichen Liebe klappt noch nicht so recht., Die Mutter ist unzufrieden mit Hilde, schikaniert sie, wo sie nur kann, trotzdem bleibt Hilde. Als die Mutter wegen Krebs ins Krankenhaus eingeliefert wird, beginnt der Teil des Romans, der „nervt“. In einem schier endlosen, absurden, manchmal witzig – eher aberwitzigen Roadmovie entführen Herbert und Hilde die Sterbende aus dem Krankenhaus und rattern mit ihr, die sie auf der Krankenliege festgezurrt haben, durch die Gegend, durch Schlamm, durch Wälder und Wiesen, immer auf der Suche nach Freiheit, nach Freisein von vermeintlichen Verfolgern. Da hat der Autor sichtlich vergessen, die Reißleine zu ziehen. Er begibt sich in ein für ihn ungewöhnliches Fahrwasser – ins abstrus Unwahrscheinliche. Als die Todkranke diesen Horrortrip nicht übersteht und stirbt, graben die beiden unter größten Mühen sie in einem Feld ein. Immer ist der Fisch Geog mit dabei, wird in seinem Aquarium hin und hergeschüttelt. Das wäre recht witzig, wenn Seethaler den Fisch nicht so oft mitspielen ließe …das Motiv wird bis zur Ermüdung ausgequetscht.

Erheiternd ist der Showdown: Hilde und Herbert zünden die Tankstelle an und unter einem heftigen Gewitter mit Blitz und Donner birst diese in tausend Teile. Danach sollen, so berichtet ein Dorfbewohner, die beiden Hand in Hand glücklich die Dorfstraße hinunter gewandert sein, bis sie der Horizont verschluckte. Natürlich Fisch Georg mit dabei. Wie immer gelingt es Seethaler, für die beiden Außenseiter Hilde und Herbert Mit-Leiden und Sympathie beim Leser zu wecken. Und auch Verstehen, das allerdings dann aussetzt, als das Geschehen ins Irrwitzige abtriftet.

Hilary Hahn und das Orchestre Philharmonique de Radio France unter Mikko Franck im Wiener Konzerthaus

Natürlich waren alle, wirklich alle gekommen, um Hilary Hahn zu hören. Sie tourt gerade mit Max Bruchs Violinkonzert durch Europa. Eine Musik, von der sie selbst sagt,“ dass sie einem fast das Herz brechen kann und zugleich wie Rock’n Roll klingt, wenn es schneller wird.“ Und so klang es denn wirklich.

Aber zuerst war Maurice Ravels Ballettmusik „Ma mère l´’oye“ (Meine Mutter Gans) zu hören, fünf Kinderstücke, die Ravel für die Kinder des befreundeten Ehepaares Godebski komponierte. Unter dem superben Dirigat von Mikko Franck wurde es ein leichter, märchenhafter Anfang. Da trippelten lautmalend chinesische Hofdamen, flatterten Vögel durch die Konzertluft und flogen Feen an uns vorbei.

Dann trat Hilary Hahn auf. -Obwohl: Sie „tritt nicht auf“. So sagt man zu jemandem, der Starallüren hat. Davon ist die beschiedene, unaufgeregte Hilary Hahn weit entfernt. Schon die ersten Noten, die wir alle gut kennen, schwebten zart durch den Raum, so als wären sie gerade aus ihr geboren. Und plötzlich dann wird Bruch zum „Rock’n Roll Composer“. Dieser schnelle Wechsel, zwischen kraftvoll fordernd und zärtlich romantisch, ist Hilarys Stärke. Sie entstaubte das allzu oft gehörte und bis zum Abwinken ins romantische Gedusel abtriftende Konzert Max Bruchs und ließ es uns neu hören. Von dem Orchester und dem Dirigenten Mikko Franck wurde sie perfekt unterstützt. Lang anhaltender Applaus und begeisterte Bravorufe!

Nach der Pause hörten wir Jean Sibelius, Sympjonie  Nr.2. Da war der geborene Finne Mikko Franck in seinem Element. Sibelius schrieb die Symphonie während eines friedvollen Aufenthaltes an der ligurischen Küste 1901. Der Beginn klingt fast bukolisch. Alles ist hell,nur ein leises Grollen der Trommeln, doch im ersten SAtz siegen die Streicher. Im 2. Satz droht Unheil, bis die Streicher triumphal wieder Frieden bringen. Alles strebt dem emphatischen Schlusssatz zu. Da fordert Mikko Franck vom Orchester alles ab. Aus dem anfänglichen Aufruhr steigen die Bläser siegend empor und bringen kurz pastoralen Frieden. Am Ende steigert Franck die Musik zu einem prunkvollen Sieg, zu einer Apotheose. Wegen dieser siegreichen Coda feierte die Symphonie in der Heimat Triumphe und wurde fast wie eine Nationalhymne aufgenommen.

Das Publikum feierte Orchester und Dirigent mit anhaltendem Applaus.

Wiener Staatsopernballett: Balanchine, Liang, Proietto. 2.11. 2016

Georges Bizet: Symphonie in C

Die  Choreografie von Balanchine ist eine Hommage an das klassische Ballett. Vor einem klaren blauen Hintergrund tanzen die Tänzerinnen in weißem Tüllröckchen und die Männer in Schwarz. Jeder der 4 Sätze wird von einem anderen Solistenpaar,  anderen Solopaaren und dem Ensemble  getanzt. Im ersten Satz „Allegro vivo“ tanzen Natascha Mair und Jakob Feyferlik einen harmonischen Pas de deux. Auffallend ist die Sprungkraft des jungen Feyferlik!

Im 2. Satz „Adagio“ konnten wir endlich nach langer Absenz (wegen Knöchelverletzung) Vladimir Shishov erleben. Seine Bühnenpräsenz ist in diesem Part mit Nina Polakova so stark, dass man wie gebannt der Eleganz seiner Bewegungen zusieht, obwohl er keine atemberaubende Sprünge – wie sonst – vorzeigt. Aber wie er Polakova mit der Sinnlichkeit eines wissenden und in der Rolle sicheren Tänzers durchträgt, das zeugt von ganz großer Klasse.

3. Satz „Allegro vivace“: Hier wird Freude am Tanz geboten, die sich im 4. Satz zu einem zu einem furiosen Abschluss steigert.

 

„Murmuration“ in der Choreografie von Edwaard Liang zu Ezio Bossos Violinkonzert.(Violine: Albena Danailova)

Murmuration bezeichnet die verschiedenen Fromationen der Stare, wenn sie im Winter in den Süden ziehen. Doch man kann auch, wenn man will, darin die Formationen der Menschen in einer Großstadt sehen, die einander begegnen und wieder auseinander triften. Wie auch immer – Musik, Tänzer und die Choreografie führen in eine Art Trance, aus der man nur schwer in die Realität zurückkehren will. Was Roman Lazik in seinen Soloparts und mit Nina Polakova im pas de deux an Traumsentenzen auf die Bühne zaubert,  ist wohl unvergesslich.

Am Schluss die in den Medien mit großen Vorschusslorbeeren überschüttete Uraufführung: „Blanc“ nach der Musik von Mikael Karlsson und Chopin, Prélude und Klavierkonzert Nr.1.

Der Choreograf Daniel Proietto beauftragte den jungen norwegischen Tänzer, Autor und Choreograf Alan Lucien Oyen zu diesem Ballett einen Text zu schreiben. Der Schauspieler Laurence Rupp spricht diesen Text und mischt sich auch unter die Tänzer. Die große Crux ist nun gerade der Text – ein Lamento eines Dichters, der Schreibhemmungen hat – das weiße Blatt Papier (Titel) füllt sich nicht und nicht mit Worten. Im wehleidigen bis pathetischen Ton vorgetragen wirkt der Text eher peinlich, am Rande des Kitsches. Vor allem gelingt Proietto keine wirklich einsichtige Verknüpfung mit dem tänzerischen Geschehen. Ja, man versteht schon, der arme Poet sucht unter den Grazien seine Muse, was aber für eine innige Anbindung an das eigntliche Ballettgeschehen nicht genügt. Und etwas verärgert denkt man: Wenn der einfallslose Poet nichts zu sagen hat, dann soll er doch schweigen.  Doch die Bilder, die Daniel Proietto durch seine romantisch-zärtliche Choregrafie entwirft, machen alles wieder gut.

Während die beiden ersten Teile des Ballettabends vom Publikum begeistert aufgenommen wurden, war der Applaus nach „Blanc“ ziemlich kühl. Nicht unerwähnt soll das kluge und einfühlsame Dirigat von Faycal Karoui bleiben.

Weitere Aufführungstermine: 5. und 18. November. Eine Aufführung, die man nicht verpassen sollte!

 

Don Pasquale, Wiener Staatsoper, 31.11.2016

Freude am Spielen, am Ulk ohne Peinlichkeit, flotte Musik – so kann man den Abend zusammenfassen. Unter dem facettenreichen Dirigat von Frédéric Chaslin, in der bekannten Inszenierung von Irina Brook und auf  der bewusst kitschigen Bühne scherzten Michele Pertusi als Don Pasquale – ein schauspielender Sänger durch und durch – und Alessio Arduini als Malatesta, der Pertusis ebenbürtiger Gegenspieler war. Valentina Nafornita war eine entzückende freche Norina. Einzig Dimitry Korchak als Ernesto stimmte mich ein wenig traurig, da ich an die brillant-ironische Darstellung von Juan Diego Florez dachte. Aber trotz allem legte Korchak eine brave Leistung hin. Ihm fehlen halt das spielerische Talent und die starke Bühnenpräsenz eines Florez.

Joseph Lorenz liest: „Unbekannter Arthur S.“ im Theater Akzent/Studio

Es war eine “ Joseph Lorenz-Woche“.

Zum 85. Todestag Arthur Schnitzlers las Joseph Lorenz am 17.10. in der MedUni Wien die „Traumnovelle“ (s. dazu den Beitrag) und am 20. 10. in der Studiobühne im Theater Akzent „unbekannte Texte“.

Ich weiß, ich wiederhole mich, aber ich kann es nicht oft genug schreiben, sagen: Seine Stimme, seine Gestaltungskraft schafft ein Universum, ist ein Universum. Deshalb passen Schnitzler und er so genial zusammen. Denn worüber schrieb Schnitzler? Über Liebe, Erotik, Sex, verbotene Träume, Lüste, Hass .. das alles macht ja unser gesamtes Gefühlsuniversum aus. Und das alles lässt Lorenz an so einem Abend wie diesen in uns wach werden – mit den Worten Schnitzlers – natürlich.

Wie der Titel versprach, las er unbekannte Texte. Zu Beginn „Der Andere. Aus dem Tagebuch eines Hinterbliebenen“. Ein Mann trauert um seine geliebte Ehefrau. Besucht täglich ihr Grab. Bis er den „Anderen“ eines Tages an ihrem Grab entdeckt. Der Andere ist „jung und schön“ – unbändiger  Hass auf ihn lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. Eifersucht wühlt in ihm.  ( Das Thema kehrt wieder m „Weiten Land“ -Hofreiter tötet im Duell den Fähnrich, nicht weil er vielleicht mit seiner Frau eine Liebesbezehung eingegangen sein könnte, sondern weil er jung ist.)  War seine Frau eine Heilige, war sie eine Verworfene? Er starrt auf ihr Bildnis auf seinem Schreibtisch. Ohne Antwort.

Auch in der Erzählung „Die Braut“ geht es um das Bild, das sich die Gesellschaft von der Frau macht, wie sie zu sein hat: rein, bräutlich. Anders darf sie nicht sein, oder sie wird an den Rand der Gesellschaft gestellt. Der Icherzähler begegnet auf einem Maskenball einer Frau, die sich ohne Scham als Prostituierte deklariert. Er will über diese Frau mehr erfahren – und sie erzählt ihm ihre Geschichte. Wie sie nicht die Braut ihres Verlobten sein wollte, sich lossagte, um ihren Trieben, ihrer Lust zu leben. „Es war wieder Trieb geworden, wütender, durstiger Trieb, der den Mann wollte, einfach den Mann-“ Was wissen wir Männer von den Frauen, auch  im Augenblick der höchsten Lust verschließt sich uns ihr Wesen, meint der Icherzähler.

Zur Auflockerung las Joseph Lorenz die skurrile Erzählung „Ich“. Von einem, der an der Wirklichkeit zu zweifeln beginnt und alles, Menschen und Objekte, beschriften muss. Als er auch seine Familie mit Namenszetteln versieht, holt diese den Arzt. Um sich seiner selbst sicher zu sein, hält er dem Arzt einen großen Zettel mit der Aufschrift :ICH“ entgegen.

Nach der Pause schleuderte Joseph Lorenz uns in das Seelenleben eines Mörders hinein. Alfred,ein junger Mann aus der „guten Gesellschaft“, geht eine Liaison mit einem Mädel aus der nicht-feinen Gesellschaft ein. (Beliebtes Thema bei Schnitzler). Alfred meint Elise zu lieben, schätzt ihre Gesellschaft, so lange, bis er Adele, die Tochter eines reichen Kaufmannes, kennen lernt. Er hält um ihre Hand an. Der Vater stellt eine einährige Probezeit, in der sich beide nicht sehen noch schreiben dürfen, als Bedingung. Nun will er Elise los werden. Ihr offen eingestehen, dass er sich mit einer anderen verloben will, wagt er nicht. Auf einer langen Reise erleidet sie Herzattacken. Er tötet sie mit einer Überdosis Morphium und redet sich den Mord als notwendige Tat ein. Zurück in Wien muss er erfahren, dass Adele sich mit einem anderen verlobt hat. Alfred stirbt im Duell. Eine grausame Erzählung. Joseph Lorenz führt uns mit unglaublicher Intensität in die Untiefen dieses Mannes, mit  einer Intensität, die fast nicht zu ertragen ist. Man möchte rufen: Halt, nicht alles preisgeben, ein Quentchen zurück! In diesem eher unsympathischen Ort – das Studio ist klein, eng die Sitze aneinander gekoppelt – ist sein Spiel, seine Sprache zu stark. Sprengt den Rahmen einer Lesung, wird Ereignis, findet statt. Und man ist aufgewühlt.

Stille danach – dann erst Applaus.

 

 

Joseph Lorenz liest die „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler.

Wenn Jospeh Lorenz Schnitzler liest, ersetzt er uns Zuhörern jeden Film oder auch jeden Theaterabend. So klar und von einander abgesetzt führt er uns die einzelnen Figuren vor Augen.

Es beginnt harmlos. Die übliche Eheszene: Fridolin und Albertine kommen von einem Ball zurück. Geplauder. Die ersten Geständnisse: Sie erzählt von dem schönen jungen Dänen, dem sie fast gefolgt wäre, er von dem jungen Mädchen am Strand. Langsam lässt Lorenz die Atmosphäre schwüler werden. Erotik – eingestandene und erträumte, erhoffte, schafft einen feinen Riss zwischen den beiden Eheleuten. Fridolin wird zu einem Krankenbesuch gerufen – und in dieser Nacht folgt er all seinen Lüsten und Vorstellungen. Alle Frauenfiguren, denen er in dieser Nacht begegnet, sind Verkörperungen des männlichen Begehrens oder der Ablehnung. Wie Jospeh Lorenz diese Frauen mit seiner feinen Gestaltungskraft körperlich vor den Zuhörern erstehen lässt, ist immer wieder erstaunlich. Er ist die blasse, schüchterne Marianne, die ihm verschämt ihre Liebe gesteht, dann die blutjunge Prostituierte Mizzi, die für den verstörten Fridolin viel Verständnis aufbringt und vor allem die unbekannte Schöne, die ihn während des Festes, das Schnitzler so zwischen einem Swingerclub und einem erotischen Geheimbund schildert. All diese Frauen lässt Lorenz als lebensvolle Charaktere erstehen, gibt ihnen durch seine Stimme und Gestaltungskraft Aussehen und Auftreten.

Vielleicht, so hörte ich, gibt es eine Wiederholung. Wir hoffen.

Hugo von Hofmannsthal: Der Schwierige. Theater in der Josefstadt

Es ist schon recht schwierig mit dem Schwierigen. Inszeniert ihn ein Regisseur in einem traditionellen Bühnenbild, also in einem Wiener Salon der Jahrhundertwende, wird ihm sicher Einfallskosigkeit und Altertümelei vorgeworfen. Der Regisseur Janusz Kica entschied sich für eine moderne Version und ließ Karin Fritz eine kahle Bühne in Schwarz-Weiß bauen. Einziges Inventar eine niedere Bank.
In diesem Ambiente müssen sich die Schauspieler um so mehr auf die Sprache konzentrieren – die aber wiederum im allzu starken Kontrast zur Umgebung steht. Deshalb hat auch Michael Dangl als Hans Karl Bühl zu Beginn einige Schwierigkeiten, den Überdruss an dem gesellschaftlichen Leben zu spielen. Erinnerungen an den Krieg quälen ihn. Trotzdem muss er sich mit den dümmlichen Wünschen seines Neffen Stani – gut Matthias Franz Stein – herumschlagen und seiner Schwester zuliebe auf die Soirée gehen. Das alles ist ihm zuwider,zu hohl. Nun ist es nicht leicht,dieses „taedium vitae“ im leeren Raum zu spielen. Die so fein gesponnene Sprache Hofmannsthals läuft Gefahr, sich zu verlieren und manchmal deplaziert zu wirken. Etwa wenn ihn seine Schwester Crescence – großartig Ulli Maier – in der 3. Person anredet: „Weiß er, was er da meint?“ – Nein, Kari, wie er von allen genannt wird, weiß es nicht. Denn so manche Sätze Hofmannsthals kommen wie Lehrsätze über das Leben daher. Ihre Sprödigkeit aufzulockern ist selbst für Michael Dangl nicht immer leicht.
In dem durchwegs gut besetzten Ensemble fällt nur Alma Hasun heraus. Ihre Helene ist allzu blass. Sie sollte ja in dieser Komödie die starke Frau im Hintergrund sein, die in sich ruht und dem Treiben der Gesellschaft gelassen zusieht. Aus dem sicheren Wissen, was richtig ist, wird sie Kari schließlich einen Heiratsantrag machen.Aber diese Stärke strahlt Alma Hansun nicht aus. Sie wirkt eher wie ein stilles Mauerblümchen. Dadurch verliert das Stück an Spannung.

So stellt man sich am Ende die Frage, ob Hofmannsthals Sprache nicht doch Tapeten, Samtsofas und das Flair eines Salons braucht, um zu wirken?

René Freund, Niemand weiß, wie spät es ist. Deuticke Verlag

Brillant, witzig, ironisch, spannend – also alle Epitheta ornantia, die eines Schriftstellers Herz erfreuen, passen auf diesen Roman. Unbestritten: Freund kann ungewöhnliche Stories bauen. Diese da erinnert ein wenig an das Froschkönig-Märchen: Der ganz und gar uncoole Typ Bernhard, Veganer und Ordnungsfanatiker, Alles- und Besserwisse entpuppt sich im Lauf der Handlung als wahrer Traummann. Nora allerdings ist nicht gerade die Prinzessin, die ihn wachküsst. Eher er sie. Aber einmal langsam: Nora soll die Asche ihres Vaters irgendwo in Österreich, westlich von Wien, verstreuen. Auf dieser Wanderung mit unbekanntem Ziel – so verfügt es ihr Vater im Testament – wird sie eben jener Bernhard, vom Beruf Notar, im Privatleben Langeweiler, Provinzler – wie Nora meint, begleiten. Nora, eine ziemlich verwöhnte Tussy, macht sich über ihren Begleiter lustig, kann den Tag nicht erwarten, bis sie sich von ihm verabschieden kann.
Im Laufe der Wanderung von Wien in den unbekannten Westen, ändert sich alles. Wie …das soll hier nicht verraten werden.
René Freund kennt seine Figuren ganz genau: die fesche Nora, Gesellschaftsnudel und Exjournalistin, gibt dem Autor genug Gelegenheit, sich über die Bobos lustig zu machen. In Bernhard lebt zunächst das Bild des faden, überkorrekten Gutmenschen auf, der immer Ordnung hält, gut vorbereitet ist und ganz sicher eine politisch korrekte Haltung immer und überall einnimmt. Wie in einem Kaleidoskop ändern sich die Konstellationen, Charaktere und die Perspektiven. Kaum glaubt der Leser, den richtigen Faden und die richtige Einstellung zu den Figuren gefunden zu haben, kippt auf der nächsten Seite wieder alles in die entgegengesetzte Richtung. Diese unerwarteten WEndungen und der flotte Schreibstil machen das Buch zu einem echten Leseknüller.
Silvia Matras empfiehlt dieses Buch!!!

Emanuel Bergmann, Der Trick, Diogenes Verlag

Das ist so ein Buch, von dem man hofft, es endet nie. Geht es dem Ende zu, verspürt man eine gewisse Traurigkeit – denn der Abschied naht. Der Abschied ist hoffentlich nicht so endgültig. Denn so ein grandioser Schriftsteller wie Emanuel Bergmann hat sicher schon seinen 2. Roman im Kopf, wenn nicht gar im Computer. Vielleicht ist der Verlag gerade dabei, ihn zu drucken. Hoffen darf man ja.
Geschickt verschränkt Bergman zwei Zeiten und zwei Kulturen: Da hofft der neunjährige Max Cohn, der mit seinen Eltern in Los Angeles des 21. Jahrhunderts lebt, dass sich seine Eltern nicht scheiden lassen. Er versucht alles, um die Scheidung zu verhindern. Als er von einem Zauberer namens Zabbatini hört, der mit einem Zaubertrick die Liebe zweier Menschen wieder heraufbeschwören kann, macht er sich auf die Suche nach diesem Magier. In Los Angeles keine leichte Sache. Aber Max ist zäh.
Der zweite Handlungsstrang spielt im Prag nach der Jahrhundertwende. Dem Rabbinersohn Mosche Goldenhirsch ist dieses Prag zu eng. Er zieht mit einem Zirkus mit, lernt die Zauberei, wird in Berlin reich und bekannt und nennt sich fortan „Zabbatini“. Selbst SS-Leute und auch Hitler nehmen seine Dienste als „Gedanken und Zukunftleser“ in Anspruch. Seine jüdische Herkunft bleibt lange unentdeckt, bis er eines Tages enttarnt und nach Ausschwitz abtransportiert wird. Jahrzehnte später treffen wir ihn als alten, gebrochenen Mann in Los Angeles wieder. Er hat das Konzentrationslager überlebt. Und Max findet ihn in einem Altersheim. Ohne rührselig zu werden oder in Hollywoodkitsch abzugleiten erzählt Bergmann die Begegnung der beiden.
Silvia Matras empfiehlt: Emanuel Bergmann, Der Trick.

Goran Vojnovic, Vaters Land. Aus dem Slowenischen von K.D. Olof. Folio Verlag

1991 endete abrupt die Kindheit des Icherzählers Vladans. Plötzlich muss er das sommerliche Pula verlassen und mit Mutter und Vater ins für ihn unbekannte und ungeliebte Belgrad aufbrechen. Dort verlässt der Vater die Familie mit den Worten: „Bald wird alles vorbei sein.“ Aber der Vater kommt nicht wieder. Vladan reist mit seiner Mutter zu Verwandten nach Novi Sad, wo sie auf die Rückkehr des Vaters warten. Doch er meldet sich nur hin und wieder telefonisch, alle tun sehr geheimnisvoll, vor allem fällt immer seltener der Name des Vaters, bis seine Mutter ihm eines Tages erklärt, dass er tot sei. Als Vladan schon erwachsen ist, erfährt er, dass sein Vater lebt und als Kriegsverbrecher gesucht wird. Er macht sich auf, um ihn zu finden. Den Vater oder den Kriegsverbrecher? Vladan weiß nicht mehr, was er denken soll. Immer wieder gehen seine Gedanken in die Vergangenheit zurück, er forscht nach, ob sein von ihm so geliebter Vater wirklich die Verbrechen begangen haben soll. Die Suche führt ihn nach Wien, wo er den Vater trifft und ihn vergebens ein Schuldbekenntnis abringen will. Er muss erkennen, dass sein Vater die Verbrechen begangen hat, aber alle Schuld von sich weist. Seine Enstschuldigung ist die allzeit bekannte: Glaubst du wirklich, dass ich eine Wahl hatte? Vladan ist entsetzt, fühlt sich aber auch schuldig, weil er im Grunde seines Herzens den Vater verstehen und ihm verzeihen will, aber nicht kann. Er schämt sich, dass er fast bereit gewesen wäre, die Ausrede des Vaters zu akzeptieren. Kurz nach dieser Begegnung begeht der Vater Selbstmord. Vladans Leben zerfällt ebenso.
Der Autor stellt die Frage nach Schuld und Sühne, zugleich auch die Frage, wer hier richten soll oder darf, wenn alle in diesem furchtbaren Krieg sich schuldig machten? Wie sieht ein Sohn seinen Vater? Als Vater oder als Verbrecher? Wie kann der Sohn dem Vater vergeben? – Zutiefst menschliche Fragen.

Stefanie Schröder: Gabriele Münter. Im Banne des Blauen Reiters. Romanbiografie. Herder Verlag

Einmal mehr beschäftigt sich Stefanie Schröder mit der Biografie einer Künstlerin, die fast ihr ganzes Leben lang um Anerkennung kämpfen muss. Gabriele Münter wächst behütet in einem gut bürgerlichen Haushalt in Bonn auf. Zeichnen war für sie so selbstverständlich wie Essen und Trinken. 1882 besucht sie eine „private Damenakademie“ in München -. Für Frauen war ja die staatliche Akademie für Kunst nicht zugänglich. Für die junge Gabriele, die erst vor kurzem von einem langen Aufenthalt in Amerika zurückgekehrt war und dort die Freiheit in vollen Zügen genossen hatte, ziemlich schwer zu verstehen. 1902 wird Wassily Kandinsky ihr Lehrer und beginnt sie stürmisch zu umwerben. Sie ist zunächst verunsichert, dann aber lässt sie sich auf ein Leben als Geliebte an der Seite des damals schon berühmten Malers ein. Er ist verheiratet, verspricht ihr aber, sich bald scheiden zu lassen. Das „Bald“ tritt erst viele Jahre später ein, Jahre, in denen Gabriele Münter sich ganz den Launen des schwierigen Mannes unterwirft. Sie drängt immer wieder auf Ehe, er weicht aus. Nach 16 Jahren verschwindet er auf Nimmerwiedersehen nach Russland, wo er eine um viele Jahre jüngere Frau ehelicht. Gabriele ist gebrochen. Das Haus in Murnau, das sie für beide als Heim gekauft und eingerichtet hat, wird ihr unerträglich. Ihr früheren Erfolge als Malerin gelten nichts mehr. Unter den Nationalsozialisten gilt ihre Kunst als entartet. Nach dem 2. Weltkrieg lernt sie den Kunsthistoriker Johannes Eichner kennen. Er hilft ihr, wieder zu sich selbst und zu ihrer Malerei zurückzufinden. Im hohen Alter erlebt sie noch einmal die Würdigung ihrer Werke. Viele Ausstellungen werden eröffnet. Mit ihrer Hilfe schreibt Eichner das viel beachtete Werk: Kandinsky und Gabriele Münter. Von Ursprüngen moderner Kunst. Sie stirbt 1962 -vier Jahre nach Eichner – mit sich und der Welt ausgesöhnt.
Der Autorin beschäftigt sich ausführlich mit der Kunstwelt rund um den „Blauen Reiter“ mit Münter, Kandinsky, Franz Marc und August Macke. Eine interessante Zeit, in der die „abstrakte Malerei“ ihre Anfänge hatte und heftig um den Kunstbegriff gestritten wurde. Etwas schwierig wird dem Leser die Lektüre durch eine Anhäufung von Namen gemacht, die heute nicht mehr oder nur mehr wenigen Kunstkennern bekannt sind. Dadurch wird der ERzählfluss dauernd unterbrochen. Man hat den Eindruck, die Autorin schrieb unter großem Zeitdruck. Die beiden Hauptfiguren -Münter und Kandinsky -verliert man dabei aus dem Fokus.

Bachtyar Ali, Der letzte Granatapfel. Unionsverlag

Aus dem Kurdischen übersetzt von Ute Cantera-Lang und Rawezh Salim.Der Autor gilt als der bedeutendste kurdische Schriftsteller. Dieser Roman ist der erste, der auf Deutsch übersetzt wurde.
Eine Art Sheherezade-Erzählung, in der ein Erzählkreis in den anderen übergeht, sich überschneidet, auseinandertrifft und irgendwie wieder zusammenfindet. Diese Art des Erzählens erinnert stark an orientalische Märchen. Ausufernd in den Beschriebungen, sich bewusst wiederholend. Die Wiederholung ist ein deutliches Erzählprinzip: Der Icherzähler Muzafari Subhdam erzählt seine Lebensgeschichte auf dem Boot, das ihn und die Flüchtlinge nach Europa bringen soll:
21 Jahre lang war er in der Wüste gefangen gehalten worden, dann von einem Mächtigen befreit und in ein Schloss im Wald gebracht. Von dort aber macht er sich auf, seinen Sohn Saryasi zu suchen. Ziemlich verwirrend stellt sich heraus, dass es drei Saryasi gibt. Ob alle drei seine Söhne sind oder keiner, wird nicht klar. Wie vieles sehr wirr ist und man als Leser bald die Geduld verliert und quer zu lesen beginnt. Am Ende steht fest: In all den Wirren des Krieges in einem Land unter einem Diktator, unter Bürgerkrieg und Revolutionen ist ein Saryasi tot, einer im Gefängnis und einer in England. Um ihn zu finden, macht sich der Icherzähler auf. Das Ende bleibt offen.

Barbara Krause: Camille Claudel. Ein Leben in Stein. Herder Verlag

Ein großartiges Buch über eine großartige Frau! Bestechend im Stil: Einmal hoch poetisch, dann wieder kühl aufzählend. Die Autorin führt die Leser bis tief in die Seele der jungen Claudel, die schon als Kind wusste, dass sie Bildhauerin werden wollte – und das in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, als man von Frauen nur erwartete, dass sie Klavier spielen, kochen und Kinder aufziehen können. Die Mutter ist dagegen, ihr Vater unterstützt sie und versteht ihren künstlerischen Drang. Als sie die „Schülerin“ Rodins wird, beginnt eine intensive Zeit des Lernens für Camille Claudel. Bald schon ist sie nicht mehr Schülerin, sondern seine Muse, Beraterin und später Geliebte. Doch sie leidet unter der Beziehung, auch daran, dass Rodin nicht eingesteht, dass viele Ideen für seine WErke von ihr kommen, zum Teil auch von ihr verwirklicht wurden. Das grausame Schicksal dieser Kämpferin nimmt seinen Lauf…

Silvia Matras empfiehlt dieses Buch!!!

Salzburger Festspiele: Charles Gounod: Faust

„Rien“ steht in großen Lettern über dem Bühnenbild. Und mehr ist zu dieser Musicalinszenerung von Renhard von der Thannen auch nicht zu sagen. Gute Sänger (Beczala als Faust, Agresta als Marguerite und Ildar Abdrazakov als etwas langweiliger Mephisto).

Salzburger Festspiele: Don Giovanni

Obwohl ich diese Inszenierung schon vor zwei Jahren sah, war ich auch dieses Mal begeistert, als sähe ich sie zum ersten Mal. Einen besseren Don Giovanni als Ildebrando D’Arcangelo gibt es zur Zeit nicht. Mit unglaublicher Bühnenpräsenz und einer Stimme, die wohl am Höhepunkt ist, singt, spielt und ist er ganz einfach Don Giovanni. Einer, der das Leben und die Frauen genießt, sich aus allen schwierigen Lagen herauswindet. Einmal zärtlich, berückend, dann wieder brutal. Luca Pisaroni ist der ideale Leporello: ängstlich, unterwürfig, schlau – eben wie ein Diener Don Giovannsís sein muss. Die beiden verwandeln die Tragödie in eine „Boulevardtragödie“ .Das liegt auch an der tollen Regie und Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf. Er führt die Figuren mit einem Augenzwinkern. Deshalb darf Don Giovanni auch nicht endgültig tot sein. Sondern springt aus der Totenstarre auf und hastet dem nächsten Frauenkittel nach.
Apropos Frauen: Reizend und stimmlich auf der Höhe ist Valentina Nafornitsa als Zerlina, über die anderen Frauenrollen darf geschwiegen werden.
Begeisterter Applaus!

Brigitte Glaser, Bühlerhöhe. Listverlag

Selten gibt es eine Sommerlektüre mit Niveau! – Brigitte Glaser erfüllt diesen Wunsch punktgenau! Sie ist eine äußerst begabte ERzählerin, zieht den Leser in das Geschehen hinein, und man kann so schnell nicht aufhören. Geschickt verflicht sie die Geschichte Israels nach dem 2. Weltkrieg mit der Geschichte Deutschlands. Bundekanzler Konrad Adenauer will unbedingt das Wiedergutmachungsgesetz durchbringen. Als er wie immer im Nobelhotel Bühlerhöhe Urlaub macht, fürchtet man ein Attentat auf den Kanzler. Manche Gruppierungen – sowohl israelische als auch deutsche – wollen dieses Gesetz verhindern. Aus Israel wird Rosa Silbermann in das Hotel geschickt, um eventuelle Attentate aufzudecken oder sogar zu verhindern. Ihr zur Seite soll Ari, ein gewiefter Geheimagent, der für Israel arbeitet, stehen. Nun ist Rosa Silbermann wider ihren Willen zur Agentin avanciert. Sie erregt bald den Argwohn der Hausdame des Hotels,Sophie Reisacher. Es kommt zu einem recht unterhaltsamen Katz- und Mausspiel, man erfährt einiges über die schwierige Führung eines Grand Hotels und die Gepflogenheiten des Kanzlers, der ja tatsächlich in diesem Hotel, das bis heute existiert, aber zur Zeit geschlossen ist, in den 50er Jahren Urlaub machte. Das im Roman versuchte und verhinderte Attentat im Hotel hat allerdings nicht stattgefunden.
In der politischen Realität dauerte die Debatte um das Wiedergutmachungsgesetz tatsächlich lange an und wurde heftig geführt. Im Vorfeld gab es auch zwei Attentatsversuche – allerdings nicht im Hotel. Der Kanzler wurde nicht verletzt.Im September 1952 unterzeichnete Deutschland ein Abkommen mit Israel und zahlte 3 Millionen DM als Wiedergutmachung an Israel.
Brigitte Glaser hat sorgfältig recherchiert und geschickt die politische Realität dieser Nachkriegszeit mit einem humorig- spannenden Romanplot gemischt.

Julya Rabinowich, Krötenliebe. Deuticke

Ein Buch, das jeden fesseln wird, der sich für Alma Mahler-Werfel und die Wiener Gesellschaft um 1900 interessiert. Noch dazu brillant geschrieben und gründlich recherchiert. Alma, die Männer vergiftet, Alma, die Männer anzieht, von sich stößt, wie es ihr gefällt. Alma ohne Glorienschein. Aber nie reißerisch, eher hoch poetisch. (Allerdings vermisst man manchmal das wachsame Korrektur- Auge eines Lektors!)Schon das Titelbild sagt alles aus: Vier Glasgefäße, in einem ein Lurch, dann Kokoschka, im mittleren Glas Alma, rechts der Naturwissenschaftler Paul Kammerer. Es beginnt mit Dresden 1918, Kokoschka hat sich nach der Trennung eine Almapuppe machen lassen. Doch der sexuelle Akt mit ihr befriedigt ihn keineswegs. Er tobt gegen Alma, verwünscht sie und begehrt sie. Dass wir, die Leser und Nachwelt, überhaupt erst einmal etwas über diesen genialen Naturwissenschaftler Paul Kammerer erfahren, ist das Verdienst der Autorin. Sie brachte diese tragische Figur ans Tageslicht, seine aussichtslose Liebe zu Alma, seinen verzweifelten Selbstmord. Ein faszinierendes Buch, man möchte es in einem Atemzug durchlesen. Aber dazu ist die Sprache zu kostbar. Die sollte man seitenweise genießen. Das Abstoßende, Abgründige ist selten noch in so schlicht-kostbare Sätze gegossen.
Silvia Matras empfieht: J. Rabinowich, Krötenliebe!!!!!

Margaret Mazzantini, Niemand rettet sich allein. Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Dumont

Delia und Gaetano treffen sich in einem Restaurant in Rom, um über ihre Trennung zu reden. Es geht um die Erziehung der Kinder, wie sich ihrer beider Zukunft gestalten wird. Jeder für sich alllein. Obwohl sie sich vor der zukünftigen Einsamkeit fürchten, gibt es kein Zurück in die Zweisamkeit. Ein sehr genaues Bild, wie eine Ehe langsam in die Brüche geht. Kein Buch für traurige Tage. Denn es gibt keinen Trost, kein Happyend.
Mazzantini beobachtet die kleinsten Regungen ihrer Protagonisten mit sehr viel Einfühlungsvermögen. Das kann manchmal etwas nerven und man ist geneigt, quer zu lesen. Doch dann ist man wieder mitten im seelischen Dilemma der beiden, erkennt eigene Probleme wieder. Ein Roman, dem man mit Geduld begegnen sollte.

Clementine Skopril: Guter Mohn, du schenkst mir Träume. Löcker Verlag

Die Autorin nennt ihr Buch „Kriminalroman“. Aber die Krimistory ist eher dünn und die Auflösung sehr unklar. Jedoch: Clementine Skopril kennt die Geschichte Chinas um 1927 und das Leben damals in Shanghai bestens, leider zu gut. Sie mutet uns unbedarften Lesern einfach zu viel zu. Obwohl sie ein Verzeichnis der erfundenen und historischen Personen voran stellt, tut sich der Leser schwer, mit all den chinesischen Gruppen, Untergruppen und Gegengruppen, den russischen Drahtziehern und letztlich auch den weißen Langnasen, wie die Chinesen die Westler nannten, zu Recht zu kommen. Der Verlauf der Handlung wird immer wirrer und unklarer, man beginnt quer zu lesen.
Die Story beginnt amüsant: Der Icherzähler Wen Pi ist ein armer Schlucker aus dem Elendsviertel Shanghais. Er schlägt sich so recht und schlecht durchs Leben, bis er bei dem Medizinstudenten Lou Mang unterkommt und lesen und schreiben lernt. Seine Informationsquelle über das Leben der weißen Langnasen wird „Anna Karenina“. Jedes Kapitel beginnt mit Gedanken über die Figuren dieses Romans, deren unnötige Sorgen er seinen Problemen in witziger Weise gegenüber stellt. Da kommt schon auch uns Lesern der Gedanke, um welch unwichtige Dinge wir uns sorgen..auf hohem NIveau. Amüsant ist auch, wie WEn Pi so langsam die Fortschritte der Technik kennenlernt und wie er sie benennt: Das Telefon -damals noch brandneu und nur für die Reichen -nennt er elektrischen Sprecher aus zwei Teebechern an der Schnur. WEgen dieser liebenswürdigen Details liest man den Roman gerne.
Dass die Revolution, die der Student Lou Mang mit seinen kommunistischen Kampfgefährten anzettelt, fehl schlägt, ist zwar traurig, aber da fehlt dem Leser die Empathie. Denn er muss sich durch ein Gewirr von Namen und Ereignissen durchkämpfen, bis er erschöpft am Ende angelangt ist.

Marget Greiner, Charlotte Berend-Corinth & Lovis Corinth

Sie hat’s schon wieder getan! Eine Romanbiografie über eine tolle Frau geschrieben! Und wieder ist es wie die Lebensgeschichte der Emilie Flöge ein Buch geworden, zu dem man nur sagen kann: SCHADE, dass es schon aus ist. Ich habe mir jeden Tag nur 10 Seiten verordnet von dem Suchtmittel. Und wünschte mir am Ende, dass das Buch noch 200 Seiten mehr hätte. Denn Margret Greiner kann, wie keine andere Autorin, die Protagonistin – in dem Fall die lebenstüchtige Charlotte Berend – so intensiv vor unser Auge und Herz rücken, dass man nur ungern von ihr Abschied nimmt. Charlotte Berend ist jung und keck. Sie dringt in das Atelier des brummigen Corinth ein, wird seine Schülerin, dann seine Geliebte und später seine Ehefrau. Corinth ist kein einfacher Mensch, ganz Künstler und daher auf sich selbst konzentriert. Charlotte hält all die Demütigungen, die er ihr bewusst und unbewusst zufügt, tapfer aus. Obwohl sie als Künstlerin und schöne Frau von anderen Männern begehrt wird, bleibt sie bei Corinth. Als er stirbt, verkriecht sie sich in ihrer Trauer, um nach 2 Jahren zu sich selbst, zu ihrer Malerei und zu ihrer Lenbensfreude zurückzufinden. Man erfährt viel über das verrückte Berlin der 20er Jahre, über Frauen, die alleine durch den Kontinent reisen, über den Künstler Corinth. Was fehlt, sind Fotos. Ich wäre schon neugierig auf Charlottes Porträtmalerei oder italienische Landschaften. Auch wollte ich gerne wissen, wie die beiden miteinander auftraten. Wie war Charlotte als viel gerühmte Schönheit? Auf dem Titelbild sieht sie eher pummelig und uninteressant aus.
Mein Tipp: Dieses Buch langsam genießen und dabei die hohe Sprachkultur der Autorin bewundern.