Yasmina Reza, Bella Figura. Akademietheater

Gelbes Cabrio, blaues Meer, Strand – ein Bild wie aus einer Tourismuswerbung. Dazu ein Paar wie aus einem schlechten Film: Boris (wie immer mit bei einer Rezapartie: Joachim Meyerhoff), der zwischen nervösem Macher und ängstlichem Looser hin- und herpendelt und sich mit seiner langjährigen Geliebten Andrea (Caroline Peters) trifft, um „einen schönen Abend mit ihr zu verbringen“, der ihn den drohenden Konkurs seines Unternehmens vergessen lassen soll. Sie nervt ihn mit ihrer Raucherei, ihrem Oberflächengequatsche, aber auch mit ihren ziemlich bohrenden Fragen nach seiner Frau. Die Stimmung ist alles andere als „himmelblau“. Eigentlich haben beide keine Lust mehr, den Abend fortzusetzen, aber weil man eben „bella figura“ macht, tut man immer weiter. Als Boris im Retourgang die Mutter eines Bekannten (Kirsten Dene) anfährt, wird die Situation peinlich und absurd: Besagte Mutter wurde für ihren Geburtstag von ihrem Sohn (Roland Koch) aus dem Altersheim geholt, ist leicht dement, aber sonst von umwerfender Harmlosigkeit. Verletzt hat sie sich nicht – sie will essen, hat Hunger. Die Schwiegertochter (Sylvia Rohrer) ist pikiert, dass Boris,der Ehemann ihrer besten Freundin, fremdgeht, und droht mit Enthüllung. Deshalb will Boris so schnell wie möglich die Gesellschaft verlassen, was aber Andrea mit an die letzten Nerven kratzender Aufdringlichkeit und Freude an der peinlichen Situation zu verhindern weiß. Alle machen gute Miene zum bösen Spiel – sie wollen eben alle eine bella figura darstellen. Alle, bis auf die Mutter, die mit ihrer scheinbaren Unschuld des Alters in dem ganzen Spiel um die bella figura pfiffig und gelassen bleibt. Auch als sie Andrea und Boris beim Sex in der Toilette ertappt, ist sie nicht schockiert. Sie ist die einzige in dieser Farce, die ehrlich zu sich und ihrem Wünschen steht, die keine bella figura machen will.
Es ist sicher nicht Rezas stärkstes Stück. Denn ein Drama zu schreiben über Personen, die jede ehrliche Auseinandersetzung zwischen ihnen vermeiden, weil sie Angst vor Blamage haben und die Konvention, die bella figura eben, stärker ist als alles – das ist sicher schwierig. Auf dem schmalen Grat zwischen Klamauk und kritischer Gesellschaftskomödie bewegt sich Yasmina Reza dank ihres Talentes gekonnt hin und her. Bedient alle Klischees, die zu einer Gesellschaft dieser Art passen. Mit der hinterlistigen Ausrede: Ich darf das, denn das ist ja gerade mein Thema.
Dank der hervrragenden Schauspieler wird der Abend recht vergnüglich, aber mehr nicht
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Jona Oberski, Kinderjahre. Aus dem Niederländischen von M. Csollány. Diogenes Verlag

Jan Oberski schildert aus der Perspektive eines Kindes die Grauen des Konzentrationslagers von Bergen-Belsen. Dabei nimmt der Autor die Position des Kindes ein, das mit 4 Jahren deportiert und erst mit sieben befreit wird. „Meine Mutter hatte einen gelben Stern auf meinen Mantel genäht. Sie sagte: Sieh mal, jetzt hast du genau so einen schönen Stern wie Papa. Ich fand ihn zwar schön, aber ich hätte doch lieber keinen Stern gehabt.“ Die Eltern versuchen dem Knaben, das Grauen fernzuhalten, es auf eine kindliche, märchenhafte Welt herunterzubrechen. Das Kind durchschaut zwar die Grausamkeit,erklärt sich sie sich zunächst auf seine Weise: „Ich guckte und sah einen Soldaten in grünen Kleidern mit einem großen braunen Hund. Der Hund sah aus wie der Wolf vom Rotkäppchen.“ Doch als sein Vater im Lager stirbt, fällt diese kindliche Schutzperspektive brutal weg. Und als auch seine Mutter stirbt, fällt er in ein tiefes Koma, aus dem er erst nach vielen Tagen erwacht. Da waren bereits die Insassen aus dem Lager befreit und er mit seiner Tante auf dem Weg in seine Heimatstadt Amsterdam. Sie wird ihn adoptieren. Aber er bleibt lange ein traumatisiertes, schwieriges Kind,das seinen Pflegeeltern eine ganze Menge auszuhalten gab, wie er in einem Nachsatz schreibt.
Jan Oberski schildert das Grauen, das er selbst als Kind erlebte, mit den Worten und Gedanken des Kindes, das er einmal war. Durch diese einfache, kindliche Sprache wirkt das Buch direkt in das Herz des Lesers hinein.

Silvia Matras empfiehlt: Jan Oberski, Kinderjahre

Benedict Wells, Fast genial. Diogenes Verlag

In der in Literatur und Film immer wieder gern verwendeten Form eines Roadmovies schildert Wells die wahre Geschichte eines Jungen aus einem Containerviertel, der auf der Suche nach seinem Vater quer durch die USA tourt. Der Haken ist dabei, dass sein Vater ein unbekanntes Genie gewesen sein soll, der seinen Samen einem Forschungsprojekt zur Verfügung stellte. Das eine Zentralthema des Romans ist also die Frage nach Eugenik und ob ein „futurebaby“ ethisch und moralisch zu rechtfertigen ist. Dabei erinnert sich der Leser unwillkürlich an Dürrenmatts Drama „Die Physiker“, wo das Thema der Umsetzbarkeit von wissenschaftlichen ERkenntnissen behandelt wird. Was einmal von findigen Köpfen gedacht und erfunden ist, lässt sich ja nicht mehr tilgen. Es bleibt virulent und gefährlich, wie schon die Frage nach der Atombombe zeigt. Segen oder Fluch der Wissenschaft? – Wells formuliert das so: „Die Leute vergessen nur, dass jede Tür, die einmal geöffnet wurde, nie mehr geschlossen werden kann. Was machbar ist, wird auch getan, egal, wie gefährlich es ist.“(S 178)
Inhaltsmotor des Romans ist die 2. wichtige Frage: Wie geht es einem „Designerbaby“, das nach langer Suche seinen Vater als versoffenen Looser findet. Von Genie keine Spur.Damit muss der Sohn Francis fertig werden.
Wells behandelt die Elternfrage ja auch in dem Roman „Ende der Einsamkeit“. Was passiert, wenn Eltern fehlen, versagen?
Ein Roman, den die junge Generation sicher interessieren kann.

Lillian Hellman, Die kleinen Füchse. Theater in der Josefstadt

Es war ein berührender und verstörender Abend. Das Spiel zwischen Regina (Sandra Cervik) und ihrem Ehemann Horace (Herbert Föttinger) war so beklemmend, so nahe an einer geglaubten oder echten Realität,dass dem Publikum der Atem stockte. Da sitzt der todkranke Mann im Rollstuhl und weiß um den Betrug der Familie und um die Machtgier seiner Frau. Niemand sonst ist auf der Bühne. Nur er im Rollstuhl. Unbeweglich. Ein leiser sirrender Ton. Sonst nichts.Das dauert etwa zwei Minuten, in denen nichts geschieht. Aber im Gesicht des Ehemannes ist alles abzulesen: Einsamkeit, Trauer über sein Leben ohne Liebe, Wissen um seinen nahen Tod. Eine ganz starke Szene. Und dann die Szene zwischen den beiden: „Ich weiß, dass du bald sterben wirst. Und ich habe meist Glück…daher wirst du sehr bald sterben“ sagt sie zu ihrem Ehemann, den sie nur aus Berechnung heiratete.Horace erleidet einen Herzanfall, bittet seine Frau, ihm die Medizin zu bringen. Doch sie bleibt unbeweglich stehen, sieht zu, wie er langsam stirbt. Eine der stärksten Szenen, die man je auf der Josefstädter Bühne sah. Zwei Schauspieler von höchster Intensität!
Worum ging es der Autorin in diesem Drama? Sie wollte eine Frau aufzeigen, die mächtiger und schlauer ist als ihre Brüder, die vom wirtschaftlichen Erfolg auf Kosten anderer nicht nur träumt, sondern die Träume auch umsetzt. Die dafür ihre Tochter an deren unfähigen
Cousin verheiraten will, ihren Brüdern vom erhofften Gewinn 80% abluchst und schließlich kalt zusieht, wie ihr Mann stirbt. Denn durch seinen Tod wird sie ihr Ziel, die Macht in der Firma zu festigen, erreichen. Eine negative Heldin, eine Antifrau.
Ort und Zeit der Handlung: 1929 in den Südstaaten. Schwarze werden noch als Nigger bezeichnet und ausgebeutet. Ein Deal mit einem Investor aus New York (Roman Schmelzer) steht bevor. Und Regina wird ihn durchziehen. Und geht als Siegerin aus dieser Schlacht hervor. Doch die Tochter (Alma Hasun) flieht vor dieser Mutter, will mit ihrem Geld nichts zu tun haben. Schade nur, dass ihr Schlusssatz so typisch amerikanisch ist. Alma: „Ich verlasse dich, ich will mit deinen übelen Machenschaften nichts zu tun haben..und werde für eine bessere Welt kämpfen.“ So oder so ähnlich spricht sie und rennt weg.Dieses Pathos ist aufgesetzt. Der Autorin war es offensichtlich um einen positiven, das Image Amerikas rettenden Schluss zu tun.
Ein Wort zum Titel: Horace zitiert aus dem Hohelied: „Fangt uns die Füchse, die kleinen Füchse, die uns die Weinberge verderben.“ Und meint damit die überehrgeizigen, über Leichen gehenden Kleinunternehmer, wie eben seine Frau und deren Brüder. Aber niemand außer REgina wird sie fangen. Doch sie ist selbst der gefährlichste Fuchs.

Silvia Matras empfiehlt dieses Stück!!

Marie Antoinette. Ballett an der Volksoper.

Aufführung am 23. Mai 2016

In der Neufassung von Patrick de Bana. Diesmal Natascha Mair als Marie Antoinette. Sie tanzt die Rolle als die Jugendliche, das Mädchen, das in diese Ehe von Maria Theresia hineinpolitisiert wird und sich am französischen Hof recht munter zurecht findet, da und dort flirtet und erst im Gefängnis und knapp vor dem Tod durch die Guillotine die Tragik ihres Lebens erfasst. Ein interessanter Vergleich zur Rollenauffassung von Olga Esina, die Marie Antoinette von Beginn an mit einem Hauch von Tragik tanzt.
Interessant übrigens, dass Marie Antoinette und Elisabeth, die Schwester von Ludwig XVI., als einzige in Spitzenschuhen tanzen, was ihre besondere gesellschaftliche Rolle hervorheben soll.
In einem wunderbaren Rahmen aus reflektierenden dunklen Glaswänden (Bühnenbild Alberto Esteban und Area Efimeros) tanzt die Wiener Hofgesellschaft. Marie Antoinette wird von ihrer Mutter -großartig Laura Nistor, die in dieser Rolle debütiert und ihrer Kollegin Rebecca Horner, die diese Rolle ebenfalls tanzt, in Nichts nachsteht – an den jungen Ludwig verheiratet. Mit immer dabei – mit Argusaugen wachend: Maria Theresia. Wie de Bana Maria Theresia als spinnenartige Beobachterin und Sittenwächterin ihrer Tochter sieht, ist neu, verstörend und sehr spannend.
Zunächst ist das Leben für Marie Antoinette am Hof von Ludwig XVI. heiter und unbeschwert- die Kostüme von Agnes Letestu drücken das gut aus – bis die ersten Revolutionsanzeichen in die Hofgesellschaft flattern. Im 2. Akt bricht die ganze Wucht der Revolution über das Paar und den Hof herein – hervorragend choreographiert – und Ludwig wird zur Guillotine geführt. Zurück bleibt Marie Antoinette in Isolation und Verzweiflung. Knapp vor ihrem Tod glaubt sie sich mit Ludwig und Elisabeth vereint, doch das Schicksal führt auch sie zur Guillotine.
Als packende Figuren führt de Bana „das Schicksal“ und den „Schatten der Marie Antoinette“ ein. Sie tanzen zur rasenden Musik von Carlos Pino-Quintana (Auftragskomposition) den Tod, der Marie Antoinette vom Anfang an bedroht. Francesco Costa und Nikisha Fogo brillieren in diesen schweren Rollen.
Noch ein Wort zur Musik: Sie kommt aus der Konserve und ist ein gut zusammengestellter Mix von Rameau bis Mozart und anderen Komponisten, die zu dieser Epoche passen.

John Hopkins, Diese Geschichte von Ihnen. Akademietheater

Nikolaus Ofczarek in seiner Lieblingsrolle als Berserker! ER darf sich Austoben. Drei Stunden schlägt, quält er sich selbst, seine Ehefrau, seinen Vorgesetzten und das Opfer, schleudert sich und andere quer über die Bühne, dass man um die Knochen der Schauspieler bangt. Nicht alle haben diese heftige Schlagorgie ausgehalten und gingen in der Pause. Die blieben, dankten den Schauspielern für ihre Leistung, vor allem für den körperlichen Einsatz.
Als Polizist mit 20 Dienstjahren am Buckel hat Johnson (Ofczarek) schon viel Grausames gesehen. Dass jetzt aber ein Mädchenschänder sein bestialisches Unwesen treibt, führt ihn an den Rand des Wahnsinns. Er meint, in Baxter (August Diehl) den Täter gefunden zu haben und quält ihn zu Tode, ohne wirklich zu wissen, ob er der Täter war.
Zu Beginn taumelt Johnson betrunken durch seine Wohnung, schlägt Möbel und Ehefrau (Andrea Clausen) kurz und klein.
Dazwischen wimmert er um Verständnis und Hilfe, die Bilder in seinem Kopf quälen ihn so. Man ahnt schon: Hier agiert der eigentliche Täter, der sich aber als Opfer sieht. Recht unglaubwürdig die Szene, in der die Ehefrau Maureen ihm immer wieder ihre Hilfe anbietet, just nachdem er sie grausam durch das Zimmer geschleudert hatte.
Im 2. Akt muss Johnson seinem Vorgesetzten (Roland Koch) Rede und Antwort über den Vorfall stehen. Wie kam es dazu, dass er Baxter zu Tode geprügelt hat? Hier wirkt das Stück langatmig, denn wie im 1. Akt fleht Johnson um Hilfe, kann nicht reden. Der Akt endet – wie man schon ahnt – gewalttätig.
Im 3. Akt findet der eigentlich spannendste Teil des Dramas als Rückblende statt: Der Zweikampf zwischen Johnson und Baxter – ganz großartig gespielt von August Diehl. Der gibt sich zuerst arrogant, droht mit seinem Anwalt. Johnson spielt „lieben Polizisten“, will ihn auf die sanfte Tour zum Geständnis bringen. Doch Baxter ist nicht so leicht weich zu bekommen. Auch nicht, als die ersten Schläge fallen. Mitten in diesem Kampf dreht sich das Geschehen um 180 Grad: Aus dem Verhörer wird ein Verhörter. Geschickt gelingt es Baxter, all die wüsten Vorstellungen von Gewalt und Sexualität, die in Johnson stecken, herauszuholen. Bis Johnson all die Gewalt, die in ihm lauert, frei lässt und Baxter erschlägt.
Ofczarek gelingt es mit dieser Rolle, Parallelen zu den Schergen der KZs wach zu rufen. Nicht umsonst trägt er ein entsetzlich braun-orangfarbenes Hemd, und seine an die Schläfen angeklatschten Haare erinnern ebenfalls an Köpfe der Nazizeit.
Was Hopkins mit diesem Drama bezwecken wollte, ist ambivalent: Einerseits plädiert er um Verständnis für Johnson. So gewalttätig, wie er ist, ist er durch den Beruf geworden, in dem er nur mit Mord, Grausamkeit konfrontiert war. Er hat für die Gesellschaft die Drecksarbeit machen müssen, Leichen aus dem Wasser fischen, vergewaltigte Mädchen im Park finden..All diese Bilder blieben in seiner Seele und haben Schaden angerichtet.
Andrerseits ist dieser Johnson aber an sich ein gewaltbereiter Mensch, der sich aus diesem Hang heraus zur Polizei gemeldet hat.Hopkins rührt mit dem Drama an einem der gravierendsten Probleme in den Staaten und nicht nur dort: Wie gewaltbereit ist oder wird ein Mensch, der um sich nur Gewalt erlebt?

Schlussbemerkung: Alle Schauspieler müssen rauchen, und zwar ziemlich heftig! Das scheint an vielen Bühnen Mode zu sein. Die Schauspieler rauchen, die Zuschauer husten! Gar nicht angenehm!

Gioacchino Criaco, Schwarze Seelen. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Folio Verlag

Criaco schreibt so, wie er seine Protagonisten leben lässt: wild, sich um keine Klarheiten kümmernd. Der Roman – wenn es denn einer ist – spielt überall dort in Italien, wo Entführung, ERpressung, Mord und Bestechung zum täglichen Ritual wie Zähne putzen oder essen und trinken gehört. Die männliche Jugend des Dorfes Africo in Kalabrien geht vormittag in die Schule, nachmittag bewachen sie „Schweine“ – so werden die Entführungsoper genannt. Manchmal kommt so was wie Zweifel an dem Tun auf. Aber immer siegt der Wunsch nach Geld. Ein Postraub bringt ziemlich viel, hält aber die Burschen nicht ab, weiter zu morden und zu entführen. Die Freunde enden in einem bombastischen Showdown: Einige sterben bei dem Versuch, der Verhaftung zu entkommen, einige landen im Gefängnis.
Ermüdender Stil.

„Bella Ciao“. Italienisches Folk Revival im Wiener Konzerthaus

Che serata meravigliosa, splendida! Erinnerungen steigen auf an Feste auf der Piazza des Dorfes, wo gesungen und getanzt wurde. Eben genau diese Volkslieder, die teilweise uralte Lieder des Widerstandes gegen die „padroni“, die „preti“, die „capi“ (Aufseher) und die „gromiri“ (Streikbrecher) waren, Lieder der Sehnsucht der nach Amerika Ausgewanderten nach ihrer Heimat, aber auch heitere Lieder an die Angebetete, freche Lieder an diverse künstliche Schönheiten, die falsche Brüste, Haare, Zähne etc. in der Hochzeitsnacht ablegen. Auf dieses Lied habe ich gewartet, kam aber leider nicht. Vielleicht, weil die Gruppe fürchtete, so manche Lady im Publikum zu erbosen!
Also die Gruppe: drei fantastische Sängerinnen, mit dem richtigen Timbre für diese Art von Musik- heiser, gebrochen, nur manchmal einer heller Glockengesang: Lucilla Galeazzi, Elena Ledda, Ginevra di Marco – und Allesio Lega als männliche Stimmme. Riccardo Tesi gab mit seinem Knopfakkordeon den notwendigen nostalgischen Ton an, Gigi Biolcati legte mit seiner Percussion einen Hauch von Moderne über die Lieder.
Den Auftakt machten sie mit der langsamen Version von Bella Ciao. Frauen ziehen zur Reisernte. Danach die Partisanenversion. Dass dieses Lied 1964 einen handfesten Skandal beim Festival „Dua Mindi“ in Spoleto entfachte, ist verständlich. Denn bis heute hat es seine rebellische Gültigkeit nicht verloren. Tief melancholisch das Lied über das harte, bittere Leben in der Maremma (westlicher Teil der Toscana), wo die Hirten den Großteil des Jahres fern von der Familie bei den Tieren leben mussten. „Maledetta Maremma“, aber dennoch Heimat, die geliebt wird.
Maledetta ist auch die Stadt Gorizia, wo viele Italiener ihr Leben für einen unsinnigen Krieg lassen mussten. Eine deutliche Offensive an das Militär! Berührend auch der Gesang der Frauen, die beschließen, dem Papst ihr Elend zu klagen. Dass es nichts nützen wird, ahnen sie.
Gegen Ende des Abends wurden die Lieder heiterer, das Publikum klatschte begeistert mit. Drei Zugaben – und wir alle tobten vor Begeisterung!!!

Tosca an der Wiener Staatsoper

Wahrscheinlich geht der 9. April 2016 in die Annalen der Wiener Operngeschichte ein! Denn da stimmte bis auf das Bühnenbild aus uralten Zeiten (aber besser ein so verstaubt-konservatives als eine leere Bühne mit Sesseln) alles: Angela Gheorghiu als Tosca verwandelte sich von der kokettierenden, eifersüchtigen Schönen zur wütenden Frau, die sich nur durch einen Mord vor dem gefährlichen Tyrannen Scarpia retten kann. Bryn Terfel als gierig-grausamer Scarpia war von der Figur und der Stimme her ein idealer Teufel. Allerdings für meinen Geschmack zu wenig bedrohlich in der Darstellung. Glanzpunkt des Abends war jedoch Jonas Kaufmann. Seinetwegen war ja die Oper brechend voll. Alle waren wir gespannt, wie er nach fast dreimonatiger Bühnenabsenz singen wird. Ergebnis: Er ist im Spiel sicherer, steigt tief in die Tiefen dieser Rolle hinein, spielt nicht aufgesetzt und einstudiert, sondern ist in der Rolle drinnen. Seine Stimme ist durch die Pause wärmer, sicherer geworden. Und als er ganz leise, in sich und in seinen Erinnerungen versunken „E luvevan le stelle“ begann, da schuf er ein inneres Bühnenbild, eine innere Rückschau auf seine Liebe zu Tosca. Ich vergaß, dass es Oper war, ich sah nicht mehr das öde Bühnenbild, ich war verzaubert. Leider brauste ein tosender Applaus auf, noch bevor der letzte Ton ganz verklungen war, und riss mich brutal in die Wirklichkeit zurück. Eigentlich hätten ein paar Sekunden totale Stille auf diese Arie besser gepasst. Doch das Publikum tobte so lange, bis Kaufmann staunend und leise lächelnd zum Dacapo ansetzte.
Ein über 20 Minuten anhaltender Schlussapplaus schloss alle Beteiligten ein, auch den Dirigenten Mikko Franck, der nach dem ersten Akt noch einige Buhrufe einstecken musste.

Joseph Lorenz las aus dem Roman „Verdi“ von Werfel

Den „Freunden der Wiener Staatsoper“ ein großes Dankeschön, dass sie den Vorschlag von Joseph Lorenz aufgegriffen haben, zweimal Verdi zu präsentieren: Einmal gelesen, einmal gesungen.
In dem wunderschönen, holzgetäfelten Saal im Haus der Ingenieure ging am Mittwoch, 6. April 2016 von 18-20h ein Engel durch den Raum. So sagt man, wenn etwas Außergewöhnliches passiert. Lorenz las und man war in Venedig. Werfel beschreibt eine historisch nicht belegte Begegnung zwischen Verdi und Wagner in dieser Stadt des Verfalls. Die Figur des 70jährigen Verdi, müde, einfallslos, eröffnete sich uns mit all seinen Selbstzweifeln, seiner Wut auf den ERfolg Wagners, seiner Mut- und Einfallslosigkeit beim Komponieren. Seine innersten Gedanken, seine Neid auf Wagner, seine Enttäuschung und zugleich Schadenfreude über seinen Tod – all das las Lorenz mit einer Verve, einer Kraft und einem Mut zum Pathos, das an Oskar Werner erinnerte. Wir, die wir dieses Ereignis miterleben durften, saßen gebannt von dieser Stimme und bekamen die Gänsehaut.
Etwas lautstark wurden wir in die Ralität zurückgeholt, wenn Monika Bohinec, Sorin Coliban, Paolo Rumetz und Jinxu Xiahou dazwischen Verdiarien sangen. Aber – um ehrlich zu sein – der Abend gehörte Lorenz und Werfel. Die Arien unterbrachen den Fluss der ERzählung. Nur ungern ließ man sich immer wieder herausreißen.
Die Fans vonJoseph Lorenz fragen immer wieder: Warum macht sich dieser begnadete Schauspieler so rar? Denn außer in Reichenau, wo er dieses Jahr gleich in zwei Produktionen (in Doderers Dämonen und als Erzähler in Stefan Zweigs Roman „Brennendes Geheimnis“) zu sehen sein wird, tritt er nirgend sonstwo auf.
Sollte jemand mehr Informationen haben, dann lassen Sie es mich bitte wissen!

Joachim Meyerhoff, Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke. Kiepenheuer&Witsch

Joachim Meyerhoff nennt es einen Roman. Im Grunde aber ist es eine Autobiografie. Eine berührende und erheiternde, detailreiche Schilderung seiner Jahre in München. Er wohnt bei seinen geliebten Großeltern und absolviert die ihm verhasste Schauspielschule. Sein Leben könnte nicht kontrastreicher verlaufen: Die Großeltern sind gebildete Großbürger, er ein Philosophieprofessor in Pension, sie eine einst berühmte Schauspielerin. Sie teilen den Tagesablauf nach den alkoholischen Getränken ein: Am Morgen ist Champagnerzeit, zu Mittag leichter Wein, ab 18h Whikytime. Für die Kapriolen und Schwierigkeiten ihres Enkels haben sie jedes Verständnis. Der leidet unter der unsinnigen Ausbildung enorm, hat das Gefühl, man wolle ihm jede Scham austreiben und ihn total brechen und verbiegen.Voller Witz und absurden Einfällen reiht sich dieser Band in die Erfolgsserie seiner beiden anderen Bücher – „Tote fliegen hoch“ und „Wann wird es endlich so, wie es nie war“ ein.
Nach der Lektüre dieses Buches kann man sich nur wundern, wie Meyerhoff trotz dieser katastrophalen Ausbildung zu so einem tollen Schauspieler geworden ist. Wahrscheinlich, weil er sich nicht verbiegen ließ und seinen eigenen Weg und Stil fand.
Silvia Matras empfiehlt dieses Buch!

Henrik Ibsen: John Gabriel Borkman. Akademietheater

Mir war, als wäre ich zwei Personen. Eine, die sieht, was sie sieht – und findet das Dargestellte witzig bis skurril. Wenn sich die handelnden Personen aus der dicken Schneedecke – es schneit die ganzen zwei Stunden durch – herauswühlen, wenn Birgit Minichmayer als Gunhild Borkman mit ihrer brüchig-rauchigen Stimme eine Dauerbetrunkene spielt, die raucht wie ein Schlot, säuft wie ein Einser und brüllt wie ein Waschweib. Wenn die erste halbe Stunde über Internet und Facebook hergezogen wird. Das alles ist witzig. Und man kapiert: Aha, der Regisseur Simon Stone hat den Ibsen in die Jetztzeit transportiert. Eh klar, die Finanzkrisen von heute funktionieren damals wie heute nach demselben System: Einer verzockt das Geld,das ihm gar nicht gehört. So weit – so schlüssig. Dann ist da die andere Zuseherin in mir. Die auf die Tragik des Stückes wartet. Darauf, dass alle Familienmitglieder – außer dem Sohn Erhart, gut gespielt von Max Rothbart – an ihren Lebenslügen ersticken: Gunhild, die ihre Hoffnung auf den Sohn setzt. Borkman (gut gebrüllt von Martin Wuttke), der seine Schuld als Banker nicht einsehen kann und nach der Gefängnisstrafe wieder ganz groß herauskommen will, und Ella Rentheim, die Zwillingsschwester von Gunhild, die ebenso auf Erhart hofft. Er soll ihr die noch zu verbleibenden Lebensmonate erleichtern. Die Tragik des Scheiterns und der Hoffnungslosigkeit bringt Caroline Peters in dieser Rolle – als einzige – wirklich auf die Bühne. Während alle brüllen und sich gegenseitig Scheißkerle nennen, steht sie stumm daneben und kapiert, dass sie auf Erhart nicht zählen kann. Dieses stumme Einsehen ist weit berührender als der brüllende Hass der beiden Eheleute.
Vielleicht sind Zuschauer, die dieses Stück vorher nicht kannten, von der Inszenierung und Neubearbeitung – so sie diese als solche wahrnehmen – begeistert. Und vielleicht stand mir im Wege, dass ich glaube, dass Ibsens Figuren eher an ihren eigenen Lebenslügen scheitern und tragisch enden, als dass sie sich in Hasstiraden anschreien. Ibsen arbeitete um vieles subtiler als Simon Stone.
Was mir noch auffiel: IN vielen Inszenierungen an der Burg und an der Akademie rauchen die Darsteller wie süchtig. (Wassa, Borkman, Drei Schwestern) Für das Publikum – und wahrscheinlich auch für die Schauspieler – eher unangenehm, denn der Rauch zieht sich bis weit hinein in den Zuschauerraum. Gehuste ist unausbleiblich.

Le Corsaire. Ballett. Wiener Staatsoper

Manuel Legris weiß um die Publikumswirksamkeit des Handlungsballetts. Vielleicht ist die Zeit reif, und man hat sich an den abstrakten Tanzperformances schon ein wenig satt gesehen. Im „Corsaire“ ist Legris für Musikauswahl (Adolphe Adam u.a.) und die Choreografie zuständig. Luisa Spinelli liefert dazu farbenprächtige Kostüme und zauberhafte Tableaus. Insgesamt eine opulente, sehr unterhaltsame Aufführung.
Dass Vladimir Shishov verletzungsbedingt ausfiel, war für seine Fans – zu ihnen zähle auch ich mich – natürlich schade. Aber Robert Gabdullin war ein würdiger Ersatz als Corsaire. Nicht nur sprungsicher, sondern auch einfühlsam im Pas de deux mit Liudmilla Konovalova als Medora. Der Abed gehörte aber Mihail Sosnovschi als durchtriebener Sklavenhändler Lanquedem. Wie er die schöne Gulnare – getanzt von der zauberhaften Kiyoka Hashimoto – dem gelangweilten Seyd Pascha als Sklavin anbietet – das tut fast körperlich weh. Wie eine Schale – wenn auch kostbar – legt er sie kriecherisch dem Pascha zu Füßen. Hart, klar und unbeugsam. Lanquedem tanzt den Part des Mannes, dem Frauen nur Waren sind, so intensiv, dass man nicht unberührt bleiben kann. Überhaupt ist das Thema des Balletts ziemlich eingängig: Frauen sind Ware, müssen schön sein, sonst sind sie nichts wert. Das schreibe ich jetzt nicht als Emanze – das bin ich sicher nicht, sondern als weibliche Zuschauerin.
Legris hält die Spannung zwei Akte lang gut durch. Im dritten jedoch strapaziert er die Geduld der Zuseher über die Maßen, wenn er von den Kleinsten der Ballettschule bis hin zu allen Halbsolistinnen alle einen Blumentanz aufführen lässt, der gerade nur als Referenz an die Ballettelevinnen gelten kann. Die Länge macht den Schluss zunichte.
Ein Wort noch zum Dirigat: Valery Ovsianikov atmet mit den Tänzerinnen und Tänzern. Sein aufmerksamer Blick gilt ihnen. Dadurch bewirkt er eine hörbare Einheit zwischen Tanz und Musik.
Lang anhaltender Applaus.

Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit. Diogenes Verlag

Drei Geschwister -zwei Brüder und eine Schwester -bilden eine „liebe Familie“, die besonders durch die Mutter zusammengehalten wird. Als die Eltern bei einem Autounfall ums Leben kommen, zerbricht alles. Die Normalität gibt es nicht mehr. Nach vielen Jahren, in denen sie wenig voneinander hören, kommen sie wieder zusammen. Jules, der Jüngste, hat unter dem Verlust der Eltern am meisten gelitten. Marty, der ältere Bruder, ist erfolgreicher Geschäftsmann geworden. Die schöne Liz hat den Boden unter den Füßen ganz verloren, hält sich einen Liebhaber nach dem anderen und kifft sich aus der Realität weg.
2. Teil: Jules ist erwachsen, hat zwei Kinder. Er hat seine Jugendliebe Alva geheiratet. Doch nach acht glücklichen Jahren stirbt Alva an Krebs. Jules rast mit seinem Motorrad gegen einen Baum, überlebt und nimmt das Leben neuerlich an.
Tief im Inneren des Romans geht es um die möglichen und unmöglichen Formen der Liebe und der menschlichen Beziehungen. Da ist einmal die Beziehung der Geschwister untereinander. Sie streiten, sehen einander jahrelang nicht, aber es gibt zwischen ihnen einen tiefen Zusammenhalt. Dann gibt es die unverwirklichbare Liebe Tonis zur schönen Liz, die zwar viele Männer hat,aber immer von einer unerreichbaren Liebe träumt. Für Marty ist Liebe nur ein Wort. Ihm ist Zufriedenheit wichtiger. Zentrum des Romans bildet die tiefe und ausdauernde Liebe Jules zu Alva. Als sie stirbt, beginnt für Jules die Zeit des Erinnerns. Er erkennt, nur wenn er die Menschen an sich heranlässt, gibt es auch Erinnerung und kann er der Einsamkeit entkommen.
Benedict Wells weiß mit dem großen Wort Liebe behutsam und ohne Scheu umzugehen. Gerät nie ins Klischeehafte, obwohl er die Beziehungsformen durchaus auch im Alltäglichen auslotet. Ein Buch, das gut tut.

Arnon Grünberg, Amour fou. aus dem Niederländischen von Rainer Kersten. Diogenes Verlag

Daniel Kehlmann schrieb zu dem Roman ein Vorwort, das auf den Autor neugierig macht.“Ich habe Angst vor Arnon Grünberg“ schreibt er gleich zu Beginn. Als langjähriger Freund kennt er Grünbergg als höflichen, liebenswerten Menschen. Alle seine Romanfiguren sind höfliche Menschen, aber dahinte lautert der Schrecken, schreibt Kehlmann. Besser kann man den Roman nicht charakterisieren.
Marek van der Jagt ist ein Simplizissimus. Ein einfältiger Knabe, der in der Pubertät auf Jagd nach der „amour fou“ geht. Er will hinter dieses in der Literatur so häufig zitierte Phänomen kommen. Doch mit Schrecken muss er erkennen, dass sein Geschlecht Zwergengröße hat und nicht sehr für die ERkundung der amour fou geeignet ist. Seine Familie gleicht eher einem Zerrbild einer Familie: Den Vater lässt alles um ihn herum kalt, ihn interessieren nur geschäftliche Fusionen. Die schöne und exzentrische Mutter quält alle mit ihren Selbstmorddrohungen. Als Marek sie in die Berge nach Bayrischzell begleiten muss, stößt er sie auf einer Wanderung in den Abgrund. Ohne Gewissensbisse kehrt er im Jahr darauf allein dorthin zurück. „Bayrischzell liegt am Ende der Welt, danach kommt nichts mehr, nur noch Berge und nochmals Berge, und dann, zuletzt, Österreich.“ So endet der frivol-heitere-bedrohliche Roman. Und man wird süchtig nach diesem Autor mit seiner überbordenden Fantasie und seiner herrlichen Respektlosigkeit. Ein Feuerwerk an skurrilen Einfällen, Sprachwitz und irrwitzigen Einfällen regnet da auf den Leser herab.

Il re pastore, Konzerthaus Wien

Zu einem netten Gschichterl hat der 19jährige Mozart eine künstlerisch reife Musik komponiert,um ERzherzog Maximilian, einen Sohn Maria Theresias, gebührend zu feiern. Wenn es darum geht, einen hohen Gast als weisen und gütigen Herrscher auf die Bühne zu bringen, dann muss oft Alexander der Große herhalten. Dieser installiert den Hirten Aminta als rechtmäßigen König, verpasst ihm gleich dazu eine Gattin. Doch wie das so ist, liebt Aminta eine andere, nämlich Elisa, und willigt recht wenig begeistert in eine Ehe mit der Prinzessin Tamili ein. Die ist auch nicht von diesem Arrangement begeistert, liebt sie doch Agenore. Als Alexander erkennt, was er da angerichtet hat, kehrt er den einsichtigen, gütigen und weisen Herrscher hervor und lässt die richtigen Paare zusammenkommen.
Der Abend begann mit Bangen, denn Rolando Villazon, der ja das Zugpferd des Abends und des Kartenverkaufs war, ließ sich ansagen. Aber wir alle, die gekommen sind, um ihn endlich auch einmal in Wien zu hören – der Direktor der Wiener Staatsoper scheint ja den Bannfluch über diesen so beliebten Sänger verhängt zu haben – waren dennoch von seiner Bühnenpräsenz begeistert. Denn wie so oft, wenn Villazon mit einer Infektion kämpft und dennoch auftritt, macht er eventuelle Stimmprobleme mit komödiantischem Einsatz wett. So auch an diesem Abend. Sein Schmelz in der Stimme war dennoch zu hören, wenn auch einige Male die Stimme nicht so recht gehorchen wollte. In seiner Rolle als Alexander spielte er eher einen kumpelhaften Herrscher. Als besonderen Gag des Abends trat er mit einer Schüssel Weintrauben auf, die er während seines Auftritts an seine Mitsänger-Innen und an die Damen im Publikum verteilte. So sorgte er für Schmunzeln und Lachen und gerne vergaß oder überhörte man eventuelle Stimmschwächen. Das Publikum liebte ihn und dankte ihm mit Blumensträußen, die er -wie so oft -vor den Augen der Spenderinnen gleich zerpflückte und an seine Truppe weitergab.A propos Truppe. Die war vom Feinsten! Allen voran Martina Janková als Hirte Aminta und späterer König. Bezaubernd auch Regula Mühlmann als seine Geliebte. Les Arts Florissants wurde von William Christie einfühlsam dirigiert.

Es war der dritte Abend in der Reihe „Great Voices im Konzerthaus“.
Weitere: Angela Gheorghiu am 25.5. und Beczala & Sonya Yoncheva am 19.6. 2016.
Infos:www.greatvoices.at und www.konzerthaus.at

Zülfü Livaneli, Serenade für Nadja, aus dem Türkischen von Gerhard Meier. Klett-Cotta

Livaneli zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern der Türkei. Aus seinen Romanen ist herauszupüren, dass er Filmemacher und Komponist ist. Denn seine Geschichten sind musikalisch und lesen sich wie Drehbücher -so griffig, ergreifend.
Livaneli baut seine Romane nach einem bestimmten Konzept: Immer steckt in einer Geschichte eine andere – die wesentliche, die wichtige, die erst enthüllt werden muss.Ähnlich wie im Roman „Schwarze Liebe, Schwarzes Meer“ erzählt ein alter Mann einer jungen Frau seine Geschichte – er schält aus der Vergangenheit die schrecklichen Ereignisse Scheibe für Scheibe heraus.
Maya, eine junge Türkin, arbeitet an der Universität in Istanbul.Sie bekommt den Auftrag,den betagten Professor Maximilian Wagner,der zu einem Gastvortrag eingeladen wurde, während seines Aufenthaltes zu betreuen. Das erweist sich als schwieriger als angenommen. Der alte Mann hat eigenartige Wünsche, unter anderem bei Eiseskälte an die Küste gefahren zu werden. Dort spielt er auf seiner Geige ein Musikstück. so lange, bis er fast erfriert. Maya rettet ihn vor dem Erfrierungstod, und Maximilian Wagner erzählt ihr die erschütternde Geschichte seiner Frau Nadja, einer deutschen Jüdin. Sie war auf dem bulgarischen Schiff Struma, auf dem über 700 Juden durch eine Explosion ums Leben kamen. Die Explosion war kein Unglück, sondern von England und der Türkei herbei geführt. Man wollte verhindern, dass diese 700 Menschen nach Palästina einreisen.
Wagner kehrt zurück in die Staaten, Maya kündigt an der Universität und beginnt die Geschichte Nadjas und Maximilians aufzuschreiben.
Livaneli ist ein Autor, dem es darum geht, die Verganheit, insbesondere während und nach dem 2. Weltkrieg, aufzudecken. Dabei schont er niemanden, insbesondere nicht die Rolle des türkischen Staates.
Packend erzählt, ohne ins Reißerische abzugleiten.
Silvia Matras empfiehlt diesen Autor!!

Andrea Eckert: Zum Weinen schön, zum Lachen bitter. Theater Akzent

Wie der Titel verspricht: Es war ein Abend zum Be- und Nachdenken, ein Abend zum Schmunzeln und zum Lachen. Selten sah man Andrea Eckert so witzig, komisch und gleich darauf verzweifelt, bis in die Seele betrübt und verstört. Sie brachte Lieder und Texte von jüdischen Autoren, die entweder vor den Nazis ins Ausland flüchteten oder im KZ umkamen. Ohne Bitternis, ohne Vorwürfe. Die Sehnsucht der ins Ausland Geflüchteten hörte man, die unbeugsame Freude am Leben, den hinterlistigen jüdischen Witz. In den komischen Szenen spürte man deutlich, wie das Publikum begeistert mitging. Etwa im bekannten Song „Benjamin, ich hab nichts anzuziehen“ oder in dem bezaubernden Lied über eine Kleptomanin „Schatz, ich kann nicht sehen, wenn wo was steht..“
Zusammen mit André Heller stellte sie das Programm zusammen, einfühlsam am Klavier begleitet von Benjamin Schatz.
Mit drei Zugaben, unter anderem mit dem Wienerlied „Mei Muatterl war a Weanerin“, das ihr Frederic Morton bei jedem New York-Besuch mit Tränen in den Augen vorspielte, wie sie erzählt, begeisterte sie das Publikum total.

Am 7.8.9.14.22.23. April wird Andrea Eckert im Metro Kino in Wien wieder in ihrer legendären Rolle als Callas in „Meisterklasse“ zu sehen sein. .
Weitere Infos: www.andrea-eckert.com
Programminfo Theater Akzent: www.akzent.at

La Traviata in der Volksoper

Diese Traviata muss man gesehen, gehört und erlebt – mitgelebt haben! Nicht nach, sondern neben Netrebko ist Rebecca Nelsen die beste Violetta weit und breit am Opernhimmel. Ihr Stimme, ihre Darstellung reißen mit. Da kann niemand unberührt bleiben. Klug und einfühlsam wird sie von der Regie und dem Bühnenbild (Hans Gratzer) und einer subtilen Lichtführung (Frank Sobotta) unterstützt.
Schon vor Beginn der Oper sehen wir sie in einem leeren Raum auf dem Krankenbett liegen. Regungslos. Nur einmal hebt sie sehnsuchtsvoll die Arme nach einer Kindfigur mit Ball (Tod? – Leben? -ihre Kindheit?). Fast immer ist die an sich leere Bühne durch einen grauen, sehr transparenten Vorhang geteilt. Davor leidet, liebt und stirbt Violetta in totaler Einsamkeit, isoliert auch in der Liebe und erst recht im Tod. Hinter dem Vorhang ist die Welt, die Gesellschaft. Alfredo, gesungen von dem Koreaner JunHo You, agiert nur selten mit Violetta gemeinsam vor diesem Schleier. Meist lässt der Regisseur ihn dahinter singen. Selbst während der Liebes- und Sterbeszene bleibt Violetta allein an der vorderen Bühne. Alfredo steht statuenhaft hinter dem Schleier. So werden ihre abgrundtiefe Einsamkeit und Verzweiflung auch szenisch klar gezeigt. Rebecca Nelsens Gesang und Spiel ist außerdem derartig stark, dass JunHo nur schwer neben ihr bestehen kann. Denn darstellerisch ist von dem Koreaner nicht viel zu erwarten. Wenn auch seine Stimme im Laufe des Abends immer überzeugender wirkt, bleibt er neben der glutvollen Violetta ein steifer Stock. So ist es gut, wenn er hinter dem Schleier singt und agiert. Fast hat es den Anschein, als wollte der Regisseur dem Alfredo eine gewisse Distanz einschreiben.
Großartig gelingen die Massenszenen. Immer wieder mischt sich in die feiernde Gesellschaft eine Gruppe von Figuren wie aus der Comemedia dell‘ arte. Alle tragen weiße Totenmasken und tanzen einen makabren Veits- oder Totentanz. Einfallsreich und beeindruckend gelingen auch die Szenen mit den Zigeunerinnen und die Parodie auf die Liebe des Torerors zu seiner Angebeteten. Nicht unerwähnt soll Ales Jenis als Vater Germont bleiben. Er ist zuerst ein rigoroser Patriarch und am Ende ein zutiefst Bereuender. Unter dem erfahrenen Dirigenten Alfred Eschwé erklingt Verdis Musik wie neu gehört. Und das, obwohl es die 133. Vorstellung war!
Die ganze Inszenierung ist einem eingängigen, klugen Konzept unterworfen, das da heißt: Diese Violetta ist vom Anfang an dem Tod anheim gestellt. Und nichts, weder die schalen Freuden der Gesellschaft, noch die Liebe kann sie retten.
Begeisterter Applaus des Publikums.
Silvia Matras empfiehlt diese Inszenierung sehr!!

Anna Baar, Die Farbe des Granatapfels. Wallstein Verlag

Anna Baar 1973 in Zagreb geboren verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Wien, Kärnten und auf der Insel Brac. In diesem Roman verarbeitet sie ihre eigenen Erinnerungen. Der Roman ist eine subtil-hochpoetische Verarbeitung der Probleme eines jungen Menschen, der zwischen zwei Kulturen – der des „Vaterlandes mit der Vatersprache“ und „der des Mutterlandes mit der Muttersprache“ aufwächst und in keiner der beiden wirklich beheimatet ist.
Das Kind Anna verbringt die Sommer bei ihrer Großmutter Nada auf einer Insel nahe bei Split. Sie liebt die Kargheit des Lebens und der Insel, auf der es wochenlang nicht regnet, sie nur hin und wieder sich waschen darf, Essen nicht weggeworfen wird. Nada ist eine lebensvolle Frau, die das Kind über alles liebt, es vereinnahmt und nur schwer erträgt, wenn es am Ende des Sommers sie verlässt und nach Österreich zurückkehrt.Genau wird die Sprache, ihre grausamen Redewendungen (z.B. „bis zur Vergasung“) ernst genommen. Immer wieder verfällt das Kind in Angstzustände, ausgelöst von der heiß geliebten Nada. Doch je älter das Kind wird, desto mehr löst sie sich von Nada, aber sie bleibt da wie dort, im Vater-Land und im Mutter-Land, ein Zaungast. Als Nada schon gebrechlich ist und im Altersheim in Zagreb wohnt, erzählt sie der nun erwachsenen Anna von den Schrecken des Jugoslawienkrieges, und Anna „stirbt alle Tode mit“. Haus und Garten auf der Insel verwildern und verfallen.
Dieser Roman braucht, manchmal auch verbraucht die Geduld des Lesers. Starke poetische Bilder und minitiös genaue Beobachtungen sind sprachlich überzeugend formuliert, aber in den Wiederholungen ermüdend. Es lohnt jedoch, sich auf dieses Sprachkunstwerk einzulassen, weil vieles, worüber die Autorin reflektiert, vielleicht auch in der Kindheit und Jugend des Lesers selbst noch unbehoben ruht. Im Lesens steigen ähnliche Erinnerungen auf und machen nach-denklich.

„6 Österreicher unter den ersten 5“ im Theater im Rabenhof

„Wie oft hast du das schon gespielt?“ frage ich Nikolaus Habjan nach der Vorstellung. ER sieht seine Partnerin Manuela Linshalm fragend an: 50 Mal ? Sie nickt. Trotzdem wirkt das Stück, als wäre gerade Première. Die drei auf der Bühne – Habjan und Linshalm als Puppenspieler und Richard Schmetterer als Dirk Stermann – suhlen sich so richtig im tiefsten Wienerisch. Schmetterer ist der Deutsche, der nicht am Wienerischen verzweifelt, sich mit Taxifahrern, Würstelstandfrauen und Huren einlässt, versucht sie zu verstehen oder sogar in ihrer Sprache zu sprechen. Das muss unweigerlich herrlich schief gehen. Denn die Wiener Typen würden nicht zulassen, dass der Piefke sich an ihrer so einmaligen Fäkaliensprache beteiligen darf. Denn Wiener zu sein, Wienerisch zu sprechen ist ein Privileg. Die köstlichsten Szenen spielen sich vor dem Würstelstand ab, wenn der Piefke die Feinbetonung und Färbung des Urwieners lernen möchte. Hochstilisiert und fein-kafkaesk ist die Beamtenszene. Da geht das Spiel in schräge Feinheiten über, verlässt die Schenkelklopferaktionen, wie etwa die des furzenden Taxilenkers eine ist. Das war um eine Spur zu lang, doch dem Publikum gefiel`s und es jaulte vor Freude bei jedem Furz auf. Dass der Wiener hier in seiner hypertrophen Haltung „Wir san wir und nach uns kommt lang niemand“ voll auf die Schaufel genommen wird, ist so manchem vielleicht nicht so klar gewesen.
Ein ganz besonderer Reiz liegt natürlich darin, dass es Puppen sind, die sich die ärgsten Schimpfworte mit Genuss an ihre hässlichen Köpfe werfen. Die Puppen (toll gebaut von Lisa Zingerle und Nikolaus Habjan) sind die Barriere, die das Stück vor der Peinlichkeit schützen. Puppen dürfen alles, auch das grausliche Lied auf den „Grüpl“ (= Krüppel) singen, der hilflos im Rollstuhl sitzt und vergeblich auf Hilfe wartet. Das Publikum klatscht und singt eifrig mit.Gruselig.

Onegin. Ballett, Choreografie John Cranko. Wiener Staatsoper

Kurz und bündig: Es war ein großartiger Abend! Die Leistungen der Tänzer durchwegs beeindruckend und in manchen Szenen auch sehr berührend.
Ein transparenter Vorhang mit dem Porträt Puschkins, auf dessen Versroman die Geschichte basiert, lässt den Blick auf eine heitere Gesellschaft frei, die sich unter hohen Birken tänzerisch vergnügt. Besonders glücklich und frühlingseuphorisch ist das Paar Olga – ganz bezaubernd und jugendlich frisch von Natascha Mair getanzt – und Lenski (sehr überzeugend Davide Dato). Der Gesellschaft ausweichend und in ein Buch vertieft sitzt Tatjana – Ketevan Papava – und träumt von Eugen Onegin (Wladimr Shishov). Dieses Paar in seiner ganzen Tragik und Intensität kann nicht besser getanzt und gespielt sein – ja, auch den Balletttänzern verlangt man schauspielerische Fähigkeiten ab -als von diesen beiden. Vielleicht gelingt der sehr schwierige Anfang etwas zu stark akzentuiert: Onegin als eitler Langeweiler, den die Gesellschaft und Tatjana anöden, stolziert zu betont gelangweilt über die Bühne. Aber da ist zu bedenken, dass für Langeweile kein geeignetes Tanzrepertoire zur Verfügung steht. Der Eindruck löst sich sofort, als die beiden in der Traumsequenz ihre Liebe zueinander entdecken. Aber eben nur im Traum. Das bittere Erwachen bleibt Tatjana nicht erspart, als Onegin ihren Liebesbrief vor ihren Augen zerreißt. Die heitere Gesellschaft wird durch die Duellforderung Lenskis in alle Winde zerstreut. Berührend ist Davide Datos Solo vor dem Duell – die Zweifel und die Verzweiflung setzt er in eine fast träumerische Tanzsequenz um.
Zehn Jahre später: Tatjana hat Fürst Gremin (mit der nötigen Würde von Kirill Kourlaev gestaltet) geheiratet. Das Wiedersehen zwischen Onegin und Tatjana explodiert in einem zwischen Ablehnung und Hingabe getanzten Pas de deux. Intensiver ist es wohl nicht möglich. Atemlosigkeit im Publikum, dann tosender Applaus.
Immer wieder beweist sich die Stärke eines Handlungsballetts. Trotz ziemlich verstaubter Kulissen zieht die Choreografie John Crankos aus dem Jahre 1965 das Publikum tief in das äußere und seelische Geschehen hinein. Der Großmeister des Handlungsballetts wusste, wie er sein Publikum faszinieren konnte.Die Musik stellte Kurt-Heinz Stolze aus verschiedenen Werken Tschaikowskis zusammen. So entstand ein stimmiges Werk, das bis heute unverändert das Publikum begeistert.

Salvatore Settis: Wenn Venedig stirbt. Streitschrift gegen den Ausverkauf der Städte. Aus dem Italienischen: Victoria Lorini. Wagenbach Verlag

Man kennt die Argumente, die Salvatore Settis vorbringt. Aber wenn man sie alle, akribisch und wissenschaftlich und empirisch gut dargelegt, Wort für Wort zu lesen bekommt, dann wundert man sich, warum niemand etwas gegen diesen Ausverkauf Venedigs und anderer Städte tut. Die Politik geht vor dem gierigen Markt in die Knie. Das ist beschämend und macht hoffnungslos. Dass jede historische Stadt eine Seele hat, die sie an Tourismus- und Bauindustrie ungeschaut und ungestraft verkauft, ist eine Tatsache, deren sich zwar Bürgermeister und Konsorten bewusst sind, die ihnen aber herzlichst egal ist. Mit „Seele“ kann man kein Geld verdienen, meinen sie. Und vergessen, dass eine von Touristen und Spekulanten zu Tode gebrachte Stadt eines Tages nichts mehr einbringen wird. Weil inzwischen schon Reproduktionen dem Original die Show gestohlen haben. Mit Schaudern liest man von den „Projekten, Venedig zu retten“, die da sind: ein künstliches Venedig – Art Disneylandvenedig – gleich vor den Toren Venedigs hinzustellen oder gigantische Türme, die den Markusdom weit an Höhe überragen, im letzten noch genützten Ackerland oder auf den Inseln in der Lagune zu bauen. Wer schon einmal erlebt hat, wie so ein Riesenkreuzfahrtschiff fast direkt vor den Markusplatz ankert, der weiß, wovon der Autor warnt. Obwohl jeder Politiker um die Gefahr weiß, die solche Schiffe für Venedig bedeuten, ist noch immer diesem verbrecherischen Business kein Riegel vorgeschoben worden.
Jeder, der Venedig liebt, jeder, der sich über den Ausverkauf der Städte Gedanken macht, sollte dieses Buch lesen. Vor allem sollte es den Politikern, Baulöwen und Architekten als Pflichtlektüre verordnet werden. Es gibt genug Architekten, die tatsächlich fordern, Venedig müsse „modernisiert“ werden, indem man neue Architektur mitten in die Palazzi stellt. Ihnen ist jede Altstadt nur Spielwiese für ihre eigene Verwirklichung.

Der eingebildete Kranke im Burgtheater

Zuckerlbarock, Streetdance-Akrobatik, Sprachverrenkungen und alle nur erdenklich geistigen Verrenkungen schleudert der Regisseur Herbert Fritsch in dieser Inszenierung vor die Ohren und Augen des staunenden und amüsierten Publikums. Bekannt als Workaholiker und im Werk Molières mit Inszenierungen des Tartuffe, Schule der Frauen und des Geizigen gut eingearbeitet, bietet er in dieser Burgtheaterinszenierung alles auf, was er so in seiner Theaterkiste hat: Slapstick, absurdes Theater, Klamauk auf höchstem Niveau, hervorragend unterstützt von der Kostümbildnerin Victoria Behr. Da springen und tanzen die Figuren in bonbonartigen Barockkostümen mit hohen Perücken durch die Gegend, die Ärzteschaft in gummiartigen Mänteln mit vampirlangen Fingernägeln und Argan, der eingebildete Kranke, in einer Art Ganzkörperunterhose mit Schnellfeueröffnung am Hinterteil, um für Klistiere allzeit bereit zu sein.
Die Geschichte ist bekannt: Argan zahlt Unsummen für Arzneien und unnötige Behandlungen der Ärzte, will seine Tochter mit einem Dummkopf von Arzt verheiraten. Sie aber ist in einen armen Musikanten verliebt, den sie durch die kluge Intrige das Dienstmädchens Toinette am Schluss doch bekommt. Der Abend steht und fällt mit den Schauspielern, und die leisten Enormes, noch nie auf der Burg so schon einmal gesehen!! Allen voran Joachim Meyerhoff als Argan – er ist in seinem Element, darf extemporieren, was das Zeug hält. Seine gut fünf Minuten andauernde stumme Performance mit dem Cembalo verdient einen Extrapreis.Mit voller Lust an Selbstaufgabe wirft er sich in die Rolle des dummen, eitlen, eingebildeten Kranken. Was für ein Schluss: als er stolz den Ärztemantel anzieht, an die Rampe tritt und eine lange Zeit stumm ins Publikum forscht und dann mit den Worten endet: Lassen Sie mich bitte durch, ich bin Arzt! Tosender Applaus.
Seine Gegenspielerin ist die gewitzte Toinette, gespielt, gehüpft und geturnt von dem grandiosen Markus Meyer, der für die verletzte Caroline Peters kurzfristig „einsprang“ – und das ist wörtlich zu nehmen. Man kennt ja Markus Meyers körperliche Wendigkeit aus anderen Inszenierungen, aber hier übertrifft er sich selbst. Großartig auch Marie-Luise Stockinger als die liebestolle Tochter Argans. Wenn sie sich während der Aufführung ein Schütteltrauma zuzieht, wäre das kein Wunder. Willenlos wie eine ausrangierte Gliederpuppe wird sie herumgeworfen, gewirbelt, wird auf ihr herumgestiegen. – Ein Frauenbild aus dieser Zeit – und sicher auch noch der Gegenwart. Köstlich auch Dorothee Hartingerals intrigante Stiefmutter Bélinde. Die Schar der Ärzte ist durch und durch der Lächerlichkeit preisgegeben.
Langer Applaus und viele Bravos!

Ursula Prutsch, Eva Peron. Leben und Sterben einer Legende, eine Biografie. C.H. Beck

Der Historikerin Ursula Prutsch mit Schwerpunkt Geschichte Lateinamerikas im 19. und 20. Jahrhundert ist ein kleines Wunder gelungen: Aus dem Dickicht von Mythen, Legenden und privater Erzählungen, Verklärungen und Verdammngen so etwas wie „Wahrheit“ über Eva Peron herauszufiltern. Und das auch noch „sine ira et studio“. Tatsächlich spürt der Leser, dass Ursula Prutsch versucht, der Person Eva Perons gerecht zu werden, ohne eigene mögliche Vorurteile aufkommen zu lassen. Wo sie das Geschehen aus Erzählungen wiedergibt, verwendet sie den Konjunktiv. Wo sie auf Fakten stößt, den Indikativ.
Eva Peron, 1919 geboren als Eva Duarte. verschleiert ihre uneheliche Geburt. In armen Verhältnissen aufgewachsen gelingt es der schönen jungen Frau, im Radio- und Theaterleben Fuß zu wachsen. Sie lernt Juan Peron sehr früh kennen und ist bald eine wichtige politische Kraft an seiner Seite, verhilft ihm zum Wahlsieg. Da sie für die Armen immer ein offenes Herz hatte und unermüdlich sich die Bitten und Klagen aus dem Volk anhörte und sich persönlich um Lösungen der Probleme bemühte, wird sie bald so etwas wie eine Heilige und übertrifft ihren Mann an Beliebtheit. Als sie mit 33 Jahren an Krebs stirbt, stürzt ihr Tod das Land in Unruhen. Eva Perons Leichnam wurde gleich nach dem Tod mumifiziert und einige Male umgebettet. Ein skurriler Streit entsteht um den Besitz der Leiche.
Interessant ist vor allem, wie ursula Prutsch immer wieder auf die Charakteristika des Populismus in der Diktatur Perons hinweist, die Funktionsweisen und Tricks aufdeckt, mit denen das Volk eingelullt wurde. Deshalb ist das Buch auch ein wahres Lehrstück in Sachen Politik, und dazu noch ausgezeichnet geschrieben und gut lesbar.
Im letzten Teil behandelt die Historikerin das Wirken dieser Frau nach ihrem Tod, ihre Mythologisierung in der Literatur und Musik, ihr Fortwirken bis heute in Argentinien. Auch in der ehemaligen, langjährigen Präsidentin Cristina Kirchner, deren Vorbild Eva Peron war. „So kann die Geschichte von Eva Peron auch als Lehrstück für das Handeln von Populisten gelten, heißen sie nun Hugo chavez, Victor Orban, Jean-Marie und Maine Le Pen, Jörg Haider und Sarah Palin.“

Lucy Foley, Die Stunde der Liebenden, übersetzt von Chr. Dormagen und B. Heinrich. Insel Verlag

Dieser erste Roman der Autorin ist zwar noch kein „Pageturner“, aber man darf auf den zweiten gespannt sein, mit dem es ihr vielleicht gelingt, auf die Liste der Bestseller ganz nach oben zu klettern.
Noch hat die Autorin nicht ihren eigenen Weg gefunden, folgt zu sehr den gängigen Romantrends der Gegenwart. So arbeitet sie mit all zu häufigen Zeitensprüngen. Eine Episode ist kaum länger als zehn Seiten, manche nur zwei bis drei.Auch der häufige Perspektivewechsel sorgt für Unruhe. Dadurch kommt die Entwicklung der Personen nicht so recht in die Gänge. Denn einmal sind die Protagonisten jung und haben ein ganz anderes Profil, gleich wieder alt.Einmal befinden wir uns in Paris, dann in Korsika, dann in New York und so weiter.
Es ist die Lebensgeschichte der Engländerin Alice alias Celia und des Malers Tom. Aus der Kinderfreundschaft wird Liebe, die jedoch durch widrige Umstände -Krieg, gesellschaftliche Hürden -sie stammt aus einem reichen Elternhaus, er ist ein armer Schlucker – nie so richtig ausgelebt werden kann. Als sie in ganz jungen Jahren
einmal doch zusammenfinden, wird Alice schwanger. Zum Entsetzen ihrer Eltern. Die Mutter sagt ihr nach der Geburt, das Mädchen sei tot, und gibt es zur Adoption frei. Als Alice diesen Betrug aufdeckt und ihre Tochter kennen lernen möchte, ist es zu spät. Denn diese ist in jungen Jahren gestorben. Aber deren Tochter Kate, also die Enkelin lebt. Und die macht sich auf die Suche nach der ihr bis dahin unbekannten Großmutter Alice. Klingt kompliziert, ist es auch. Kate lernt zunächst Tom kennen, der ein berühmter Maler geworden ist und in Korsika lebt. Von ihm erfährt sie Bruchstücke dieser Liebesgeschichte. Später reist sie zu Alice, die in New York und Paris gut gehende Kunstgalerien betreibt, und erfährt den Rest. Auf dieser Suche durch die Zeiten des Zweiten Weltkrieges bis in das Jahr 1986 breitet die Autorin die Liebesgeschichte aus. Dass sich Alice, als sie knapp vor dem Weltkrieg ihren über alles geliebten Tom wieder findet, doch nicht für ein gemeinsames Leben entscheiden kann, kann die Autorin nicht wirklich gut argumentieren. Wohl deshalb,damit der Roman nicht frühzeitig in einem Happy End endet.
Lucy Foley ist eine begabte Autorin. Mit einer etwas stingenteren Erzählweise könnte sie durchaus in die Fußstapfen von Jojo Moyes treten.

Val McDermid, Der lange Atem der Vergangenheit, übersetzt von Doris Styron. Drömer Verlag

Die bekannte schottische Autorin von Bestsellerromanen liefert mit diesem Kriminalroman einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Jugoslawienkrieges. Anfangs kommt das Geschehen nur mühselig in die Gänge, der Leser muss sich durch verschiedene Geheimdienste, Polizeiorganisationen und andere Gruppierungen in Schottland, England und dem Kosovo drchkämpfen. Ab ca. Seite 130 gewinnt das Geschehen an Fahrt.
Die Geografieprofessorin Maggie Blake verliebt sich während des Bürgerkrieges in Dubrovnic in den intelligenten, allseits bewunderten Geheimdienstgeneral Mitja Petrovic, der aus dem Kosovo stammt.Zu Beginn des Romans wird ein Skelett auf dem Dach einer Schule mit einem Einschussloch im Schädel gefunden. Es stellt sich heraus, dass es dieser vor acht Jahren verschwundene Mitja ist. Nun entwickelt die Atorin, geschickt die grausame Vergangenheit des Jugoslawienkrieges mit der Gegenwart verknüpfend, die Geschichte von Maggie Blake und Mitja Petrovic. Sie führt durch diesen „Dschungel von Macht“, ohne jedoch zu werten oder zu (ver)urteilen. Die Gräuel, die sowohl die Kroaten den Serben und die Serben den kroaten angetan haben, werden geschildert ( vielleicht ein wenig zu ausführlich -bedient da die Autorin einen gewissen Voyeurismus?). Die Tatsache, dass zu viele Täter davongekommen sind und sich so manche – wie ebene auch Mitja – als private Rächer aufspielen, wird ebenso wie die Frage nach Recht und Gerechtigkeit gestellt. Hat der Mensch das Recht, Rache zu üben? Wie effizient arbeiten Gerichte? Die Frage von Opfer und Täter spielt ebenso eine wichtige Rolle. So wird aus der Kriminalstory fast ein Lehrstück über die Aufarbeitung oder eben Nichtaufarbeitung von Kriegsverbrechen und der Schuldfrage.

Werner Schwab, Die Präsidentinnen. Akademietheater

Trashverliebt, grauslich, punkig, fäkaliensprühend, jedem Bürgersinn für Anstand zuwider spielend..Ja, das alles ist dieses fantastische Stück von Werner Schwab. Viele Besucher verlassen fluchtartig das Theater. ABER: BITTE BLEIBEN, JEDEN ANSTAND VERGESSEN UND ÜBER DIE VERFLUCHT EINSAMEN PRÄSIDENTINNEN LACHEN!
Ja, man kann herzlich lachen, obwohl das Schicksal der drei Frauen zutiefst traurig ist.
Was die drei Schauspielrinnen unter der exzellenten Regie von David Bösch leisten, ist unfassbar komisch und tragisch zugleich:Regina Fritsch mit einer von Motten zerfressenen Pelzhaube, ist bigott, geizig und sparsam, so sparsam, dass der Tag, an dem sie besagte Haube und einen kaputten Fernseher im Müll fand, für sie ein Festtag wurde. Sie vegetiert von einer Mindestrente, träumt von Enkelkindern, die ihr der „verkehrsscheue“ Sohn Hermann sicher nie schenken wird. Ihre Wohnung ist ein einziger Müllhaufen. Dorthin lädt sie die zwei anderen „Präsidentinnen“ ein: Die etwas besser gestellte Pensionistin Grete (Barbara Petritsch),über und über mit Talmi und zerrissenen Spitzen behängt, und das arme Mariedl (Stefanie Dvorak) in dreckiger rosa Unterwäsche, das sich ihren Unterhalt als Kloputzerin verdient, die es „auch ohne macht“, nämlich die verstopfte Klomuschel auch ohne Gummihandschuhe reinigt. Wer von den drei Frauen die ärmste, elendste und traurigste Figur ist, kann man nicht sagen. Wie die drei nun diese Elendshäuflein spielen, ist einfach hinreißend. Man kann herzlich lachen, auch wenn einem manchmal zum Heulen zumute ist.
In ihrer Trostosigkeit träumen sich die drei in ein imaginäres Fest hinein – und da entsteht nun wirklich dichtes, berührendes, tragisches Theater: Grete träumt von einem „echten Kerl“, der ihr auf dem Tanzboden den Heiratsantrag macht, Erna vom Fleischhauer Wottila, der ihr auf dem Fest ebenfalls Avancen macht, und das Mariedl von ihrem triumphalen Erfolg beim Ausräumen der Aborte.Besonders geehrt fühlt sie sich durch die Dose Gulyasch, das Bier und das Parfum, das ihr der Pfarrer als Belohnung am Grund der Aborte versteckt hat. Das Fest endet mit der traurigen Erkenntnis, dass alles nicht so ist, wie geträumt. Nur Mariedl steigt in ungeahnte Höhen auf, von wo aus sie hellsichtig auf die Niedertracht der Menschen blickt.
Silvia Matras empfiehlt dieses Stück. Und auch das Programmheft, das viel über den Autor aussagt.

Drago Jancar, Die Nacht, als ich sie sah. Aus dem Slowenischen übersetzt von Daniela Kocmut und KlausDetlef Olof. Folio Verlag

Der Titel klingt nach Liebesromanze. Der Roman handelt aber nur zum Teil von der Liebe. Im ersten Teil wird die Liebesgeschichte der schönen, verwöhnten Veronika, die in Ljubeljana mit einem Alligator herumspaziert, der aber dann getötet und ausgestopft werden muss, weil er ihren Ehemann in der Badewanne (sic) gebissen hat.
Was da so skurril und fast heiter-ironisch daherkommt, entwickelt sich zu einem der stärksten Romane über die Zeit, als der Zweite Weltkrieg fast schon zu Ende ging und in Slowenien ein wildes Durcheinander an Kämpfern herrschte. Da gab es noch die königstreuen Truppen des Königs Peter, der aber schon im sicheren Exil weilte. Dann die Deutschen, die die Tito-Partisanen und vermeintliche Kommunisten jagten. Dann jagten die Partisanen die Deutschen und meuchelten die so genannten Verräter an der Sache nieder. Keiner konnte mehr dem anderen trauen. So offen über die Situation knapp vor und nach dem Ende des 2. Weltkrieges in Slowenien hat noch kein Schriftsteller geschrieben. Geschickt knüpft er die Handlung rund um die charismatisch-schöne Veronika, Ehefrau des reichen und etwas zwielichtigen Leo Zarnik. Der junge Stivo, ein begeisterter Königstreuer, soll ihr das Reiten beibringen. Schnell werden die beiden ein Paar, sie verlässt ihren Mann und zieht mit Stivo ganz in den Süden, wohin er zur Strafe wegen dieser unstatthaften Beziehung abkommandiert wird. Doch lange bleibt sie nicht. Schlamm, Hunger und tödliche Langeweile lässt sie wieder zu ihrem Mann zurückkehren, der inzwischen eine Burg gekauft hat. Dort halten die beiden nun Hof. Heißt: Trotz Krieg geben sie Feste, laden Gäste ein, darunter auch Deutsche. Ihr Mann untertützt heimlich die Partisanen, hält aber gute Geschäftsbeziehungen zu den Deutschen, was dem Ehepaar letztendlich zum Verhängnis wird: Ein Arbeiter aus dem Dorf, der auch auf der Burg arbeitet und sich in die schöne veronika verliebt hat, denunziert sie aus verletzter Eitelkeit. Die beiden werden grausam gefoltert und Veronika von der ganzen Truppe vergewaltigt, bevor sie stirbt.
Es ist ein Roman, der von dem Leiden berichtet, das alle Menschen, egal zu welcher Schicht, politischen Partei oder Nation sie gehörten, heimsucht, von der Reue über blutige Taten, die aus blinder Wut und Parteigehorsam geschehen sind und nicht wieder gut zu machen sind. Mit einfühlsamer Sprache ohne Künstlichkeit weiß Drago Jancar den Leser in den Bann zu ziehen.
Silvia Matras empfiehlt: D. Jancar, Die Nacht, als ich sie sah.

Saphia Azzeddine, Zorngebete. Wagenbach

Dass Saphia Azzeddine zu den besten Schriftstellerinnen des Maghreb zählt, beweist sie wieder einmal in dem Roman „Zorngebete“. Die Icherzählerin Jbara ist 16 Jahre altund hütet die Schafe in Tafafilt, einem Ort in der Wüste, in dem kaum Fremde vorbeikommen. Sie weiß nichts von der Welt, auch nicht, dass sie schön ist. „Schönheit git es nur in der Sprache der Reichen“.Sie lässt sich von einem Jungen aus der Umgebung hin und wieder „besteigen“, ohne zu ahnen, wozu dieser Geschlechtsakt führt. Als sie schwanger wird, wird sie vom Vater, der ihr wegen seiner Pseudoreligiosität verhasst ist, vertrieben. Mit dem Bus fährt sie in die nächste Stadt, wo sie das Kind auf der Straße ganz allein auf die Welt bringt und es einfach liegen lässt. Als Putzfrau und auch als Nutte bringt sie sich durch, immer im Gespräch mit Allah, an dessen Existenz sie glaubt, aber ganz genau weiß, dass nur sie allein sich helfen kann. Die Frage nach dem richtigen Tun stellt sie ihm immer wieder und gibt sich selbst die Antwort. Eines Tages gelingt es ihr, in einer Villa der Reichen als Dienstmädchen zu arbeiten. Man liest mit großem Vergnügen, wie sie das absurde Benehmen der Bewohner beschreibt. Sie wird von ihnen als Mensch nicht wahr genommen: „Die Reichen sehen uns nicht“, auch nicht, als der Hausherr sie regelmäßig fickt und danach gleich wieder vergisst. „Es ist schrecklich, niemandem in Erinnerung zu bleiben“. Obwohl sie nicht lesen kann,lernt sie bald den „Unterschied zwischen einer Sonnenbrille von Fendi und Versace“ erkennen. Mit dem Wissen um das Tun und Treiben der Reichen wird sie bald zu einer gefeierten Stripperin, dann die Edelnutte eines Scheichs. Sie ist jetzt „Geschäftsfrau und ihr Körper ist ihr Büro“. Das geht so lange gut, bis ihr Scheich wegen Drogenhandels des Landes verwiesen wird und sie ins Gefängnis kommt.Nach der Haft heiratet sie einen „braven Imam“ und hofft auf ein ruhiges Leben. Doch die Schiegermutter will es nicht so und drangsaliert sie ordentlich. Als ihr Mann einen Schlaganfall erleidet, füttert und badet sie ihn und singt ihm, um die Schmerzen zu lindern, Lieder ihrer Kindheit vor. Immer wieder richtet sie ihre Zorngebete an Allah, hadert mit ihm, zweifelt an ihm, fragt nach dem Sinn des Leidens und des Bösen, um am Schluss zu erkennen: „Gut und Böse gibt es nicht. Dafür bist Du viel zu scharfsinnig. Allah, Du bestehst nur aus Zwischentönen und darum liebe ich Dich.“
Ein berührendes Buch ganz ohne Rührseligkeit. Dafür sorgt schon die direkte, oft sehr harte Ausdrucksweise. Azzeddine nimmt sich kein Blatt vor den Mund, nennt die Dinge beim Namen, ohne billig zu werden. Wenn sie den Geschlechtsakt beschreibt, so geschieht das sehr direkt, in groben Ausdrücken, denn genau so erlebt ihn Jbara.“Im Grunde kann ich mich nicht beklagen. Ich verkaufe Sex..was ist schlecht daran?“ fragt sie. Erst als sie so etwas wie Liebe zu ihrem sterbenden Mann empfindet, wird sie mit sich eins.
Saphia Azzeddine hat ein packendes Buch jenseits der gängigen Moralvorstellungen geschrieben. Sie geht hart mit den Lebensführungen der Reichen um, schildert mitleidlos den Lebensweg eines Mädchens, das von den Männern ausgenützt wird und das ihre Schönheit umgekehrt auch nützt, um am Reichtum mitzunaschen. Azzeddines Kritk richtet sich vor allem gegen eine Männerwelt, die unter dem Vorwand religiöser Gesetze Frauen schamlos ausnützen und sie, um sich ihrer ganz sicher zu sein, unter einen Schleier stecken. „Scheiße nochmal, dieser Schleier kotzt mich an.“ Und sie wird ihn ablegen. Zum Zeichen ihrer neuen Freiheit.

Saphia Azzeddine, Mein Vater ist Putzfrau. Übersetzung Birgit Leib. Wagenbach Verlag

Er hilft seinem Vater, diverse Büros, Bibliotheken des Nachts zu putzen. Paul ist zu Beginn des Romans ein kluger, flinker Knirps mit einer haarscharfen Beobachtungsgabe. Schonungslos analysiert er die Blödheiten der Erwachsenen, wie sie sch gockelhaft benehmen und wie wenig Hirn in ihnen ist. Nur seinen Vater und Priscilla findet er klasse. Für beide bemüht er sich. Seinem Vater, dessen Schwäche er liebevoll akzeptiert, hilft er, wo er nur kann. Die Liebe ist gegenseitig. Es ist rührend, wie sehr sich der ungebildete Vater um die Erziehung seines Sohnes kümmert. „Du sollst nicht so werden wie ich“, sagt er immer wieder. Das tut Paul weh. Weil er den Vater nicht enttäuschen will, lernt er, bringt es sogar bis zum Abitur. (Allerdings ein wenig erschwindelt – mit einer köstlichen Komödie vor der Mathematiklehrerin). Es ist pures Vergnügen, Paul bis zm Erwachsensein zu verfolgen. Er bekommt – natürlich – seine Priscilla nicht.  Er wird Steward. Als er seinem Sohn diesen Beruf erklärt, fasst dieser zusammen: „Also, du putzt, nur eben in der Luft.“

Einer der berührendsten Romane über eine Jugend am Rande von Paris, ehrlich, witzig, frech! Einfach liebenswert!!

Giselle rouge in der Volksoper Wien

Es war ein Fest für alle Sinne – ein Rausch. Ich wünschte am Ende der Vorstellung, dass alles noch einmal beginnt. Ich gebe ja gerne zu, dass ich ein Fan des narrativen Balletts bin und habe das an dieser Stelle auch schon einige Male betont. Vor allem bin ich ein Fan von Boris Eifman, dem wir ja schon so herrliche Ballettabende verdanken wie Anna Karenina und Carmina Burana. Was er diesmal auf die Beine und die Bühne gestellt hat, übertrifft alles:

Es wird die Lebensgeschichte der russischen Ballerina Olga Alexandrowna Spessiwzewa (1895-1991) erzählt. Ihre Schicksalsrolle war die Giselle, die sie in Russland, später in Paris, New York und Buenos Aires tanzte. Ähnlich wie Giselle verfällt auch Spessiwzewa einer Wahnvorstellung, die dazu führt, dass sie viele Jahre in der Psychiatrie verbringt.

Zu Musikstücken von Tschikowski, Schnittke und Bizet lässt Eifman das Schicksal dieser Tänzerin aufrollen. Olga tanzt zur Zeit der Russsichen Revolution am Marinski Theater in Moskau und ist bereits eine gefeierte Ballerina, von ihrem Lehrer geliebt und gefördert. Ein Kommissar der neuen Zeit macht die Ballerina zu seiner Geliebten. Sie ist zwar von seiner erotischen Macht angezogen, kann sich aber mit der Brutalität der Revolution nicht anfreunden. Er lässt sie nach Paris ausreisen, wo sie sich in den Partner, der im Ballett Giselle den Prinzen tanzt, verliebt. Er verstößt sie jedoch, weil er sich mehr zu einem jungen Balletteleven hingezogen fühlt. Sie fällt während einer Vorstellung in einen Wahn, aus dem sie nicht mehr erwacht. Ihr Leben endet hinter der Glaswand der Psychiatrie.

Ein Stoff, der alles für ein aufwühlendes Ballett hat: Leidenschaft, Kampf, Leiden, Liebe, die Macht der Masse.

Eifmans Choregrafie und das Bühnenbild+ Kostüme von Wiacheslav Okunev sorgen für Atmenlosigkeit im Publikum. Und natürlich die Tänzer: An einem Abend tanzten Ketevan Papava als Ballerina  und Vladimir Shishov als Kommissar einen  faszinierenden Eroberungs- bzw. Unterwerfungskampf. Sie erinnerte mich an Margot Fonteyn, sicher, grandios in ihren Bewegungen. Shishov – ein „Kerl“ von einem Mann, Furcht und Bewunderung einflößend. Sein herrisch-erotischer Tanz mit Papava geht wohl in die Geschichte des Balletts ein. Am zweiten Abend tanzten diese Rollen Olga Esina und Kirill Kourlaev – technisch perfekt, aber mir fehlte der Funke zwischen den beiden.  Kourlaev ist ja für seine enorme Sprungkraft bekannt, mit der er auch an diesem Abend brillierte. Olga Esina tanzte im 2. akt sehr berührend die verwirrte, dem Liebeswahn verfallende Giselle.  Eno Peci als Lehrer in Moskau und Roman Lazik als Partner in Paris waren ebenfalls  sehr überzeugend.

Beeindruckend auch das Corps de ballet als revoltierende Masse und im 2. Akt als Besucher einer Tanzpaar in Paris. Der Charleston hatte Pfeffer!

Auf ein Wiedersehen müssen wir bis Februar 2016 warte. (21.2  und  1.3. und 10 3. und 14.3. 2016)

Angelin Preljocajs B allett „Snow White“ (Schneewittchen) im Festspielhaus St. Pölten

Ich bekenne mich zum narrativen Ballett! Und daher war meine Begeisterung groß! Dieses Ballett ist einfach wunderbar. Wunder – bar, voller Wunder mit Mut zu Emotionen.

Aber nun in Details: Mit dem Vorteil dass dieses Märchen allen bekannt ist, kann sich Preljocaj alle nur erdenklichen Fantasien, Erotik, Traumvisionen und verrückte Einfälle erlauben: „Als ich die 7 Zwerge als Bergarbeiter über eine Felswand herunterpurzeln ließ, meinten alle: Du bist verrückt!“  sagte er mit liebenswürdigem Selbsthumor. Und das ist er -herrlich verrückt, man folgt seinen Einfällen mit offenem Mund und klopfendem Herzen. Das Märchen entwickelt sich auf mehreren Ebenen: Da ist einmal die Geschichte selbst, dann die Choreografie, dann die Musik -meist aus Mahlers Symphonien – dann das intensive Bühnenbild mit der wunderbaren Lichtregie und nicht zuletzt die Kostüme von Jean Paul Gaultier. Das Enfant Terrible in der Mode hat hier sich alle Fantasien geleistet: Schneewittchen im schlichten weißen Wickelschal, der zwischen den Beinen durchgezogen ist und reichliche Einblicke gewährt, die Stiefmutter in einem martialisch-aggressiven Kriegerkostüm als Bösartige, die mit Zärtlichkeit und Erotik Schneewittchen tötet. Eine Szene wird mir wohl viele Jahre im Gedächtnis bleiben: Die Stiefmutter schwebt als schwarzer Racheengel von oben auf das auf dem Boden liegendes Schneewittchen. Der Tötungsakt ist hocherotisch-mystisch, fast tief religiös. So könnte ich jede einzelne Szene hervorheben! Vor allem staunte ich über die tänzerische Hochleistung des ganzen Ensembles!

Schade, dass das Schneewittchen uns schon wieder am Sonntag 22. März verlässt!!

Elisabeth – Joe Harriet, Die unveollendete Geliebte/ Olga Waissnix & Arthur Schnitzler, Amalthea 2015

Hier wird Seelenstriptease auf höchstem Niveau betrieben. Die Autorin hat das Verhältnis der beiden Protagonisten akribisch durchleuchtet. Der Leser fühlt sich fast als Voyeur, wenn er der Liebesgeschichte, die sich im Lauf der Jahre in eine schöne Freundschaft klärte, in Briefen und Tagebucheintragungen folgt. Olga Waissnix ist die „schöne Wirtin“ vom Thalhof in Reichenau. Sie ist nicht nur schön, sondern auch intelligent und gebildet, vom Adel und der Wiener Gesellschaft, die im Thalhof Urlaub machen, umschwärmt. Schnitzler und sie lernen einander in Meran kennen und verlieben sich heftig ineinander. Aber Olga wird nicht seine Geliebte, weil sie den Skandal fürchtet. Ihr eifersüchtiger Ehemann Karl und ihr Vater Ludwig Schneider „überwachen“ mit Argusaugen ihre Tugend. In den Briefen, die zwischen den beiden regelmäßig gewechselt werden, kann man diese schwierige Liebe nachvollziehen. Im Mittelteil des Buches, als sich Schnitzler zahlreichen anderen Frauen zuwendet, wird es mühselig zu lesen. Da wird das Wort „Liebe“ in allen Varianten zu Tode geredet, sehr oft im Klischee erstickt. Schnitzler entpuppt sich als berechnender Egoist, Olga als unentschlossene Nicht-Geliebte.

Interessant wird es wieder, als beide sich für die Freundschaft entschließen und die Diskussionen um das Thema Liebe abflauen. Olga wird die erste und ausadauernde Bewunderin Schnitzlers als Schriftsteller. Als sie schwer an Bauchfellentzündung erkrankt, wird das Verhältnis beider inniger und ehrlicher. Auch wenn sie sich nur selten sehen. Olgas Briefe sprechen von den Schmerzen, die sie 6 Jahre hindurch ertragen muss. In dieser Zeit wird sie die gr0ße Versteherin eines schwierigen Dichters. Sie brauchen einander, um über die Trostlosigkeit des Lebens hinweg zu kommen. Olga stirbt mit 35 Jahren an einer missglückten Operation.

Das Buch ist für alle eingefleischten „Reichenauer“, die Sommer für Sommer nach Reichenau zu den Festspielen und zu Helga Davids Aufführungen pilgern, besonders interessant. Es ist eine Zeitreise in eine Vergangenheit, als dieser Ort noch kultureller und gesellschaftlicher Knotenpunkt war.

Wie ging es weiter mit dem „Thalhof“?

Nach  Olga Wasisnix´s  Tod ging es mit dem Thalhof bergab. In den letzten 16 Jahren wurde ein Teil des ziemlich herabgekommenen Hotels von Helga David als Theaterstätte erfolgreich bespielt. Die neuen Besitzer Ursula und Josef Rath haben den Vertrag mit ihr leider gekündigt. Es heißt, derThalhof wird total renoviert und soll wieder als Theaterstätte fungieren.

Michel Houellebecq, Unterwerfung, Dumont

Die gute Kritik zuerst: Der Plot ist genial, ein Kandidat aus der Bruderschaft der Muslime übernimmt 2021/22 die Herrschaft in Frankreich, und schleichend verändert sich das Stadtbild von Paris, Frauen verschwinden aus führenden Positionen und werden zurück an Heim und Herd beordert. Kritiker, Professoren der diversen Universitäten lassen sich durch weit höhere Gehälter, als sie bisher hatten, kaufen.  Francois, ein Professor für Literatur an der Uni Sorbonne, ist der Protagonist, der all diese Veränderungen registriert. Auch er wird angeworben – und nun der zweite geniale Einfall des Autors: Die letzten 4 Seiten, als es um die Entscheidung geht, ob Francois zum Islam übertreten wird und sich kaufen lässt, ein wahnsinnig hohes Gehalt für eigentlich keine Aufgabe annehmen wird – schreibt Houellebecq alles im Konjunktiv! Ein Hoch auf diese Idee! (ich liebe den Konjunktiv in der Literatur, der meines Wissens zum letzten Mal so genial von Michael Kehlmann in der Vermessung der Welt angewendet wurde). Er führt daher alle Leser, die auf Spannung aus sind – „wie geht das weiter, wie gehts aus“ – an der Nase herum!! Nichts ist entschieden, alles ist offen.

So, das war es schon von meiner Seite mit den Positiva. Ich gebe zu, ich mag einen Roman nicht, der schon mit so viel Lobeshymnen von den Medien eingedeckt wurde, dass der Leser sich schämt zuzugeben, ihm gefällt das Ganze überhaupt nicht. Also – ich gestehe es. Denn die gute Story ist durch ellenlange Abhandlungen über den spätromantischen französischen Schriftsteller Huysmans, über andere Schriftsteller und Philosophen, die man heute kaum mehr kennt – ich zumindest nicht und musste daher dauernd im Internet surfen, um zu lesen, dass der Gesuchte kaum von Bedeutung ist – also – um den Faden aufzunehmen, die gute Story ist durch die literarischen Exkurse über unbekannte Schriftstellerwelten und  Meinungen diverser Literaturhistoriker kaputtgeschrieben. Mühevoll bemüht sich Houellebecq  um existentielle Zusammenhänge, indem er Francois auf den Spuren von Huysmans an christliche Orte schickt, um herauszufinden, ob er im Christentum  Halt finden könnte. Denn durch die islamische Neuorientierung im Lande  und die Kündigung an der Universität ist dem armen Francois der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Vor allem ist ihm sein sexuelles Jagdrevier verloren gegangen, wodurch er sich bisher in seinem Mannsein bestätigt sah. Keine willigen Studentinnen mehr – kein Sex mehr. Auch die Freundin hat sich nach Israel abgesetzt. Deshalb der halbherzige Versuch, es zuerst mit dem Christentum zu probieren, was ihm nicht gelingen will und dann mit dem Islam, der zumindest ein Leben im Luxus garantieren würde. Aber eben nur „würde“ – die Entscheidung bleibt offen. Dafür danke ich dem Autor! Vielleicht auch noch für einige ironische Einschübe, die das Lesen erträglich machen.

Die Meinungen in der Leserunde: Es gab hymnische Beurteilungen, wie: Das wichtigste Buch über unsere von Gewalt und IS bedrohten Zeit (diese Seite des Islam spricht Houellebecq allerdings überhaupt nicht an, ja er scheint sie sogar tunlichst zu meiden). Viele aus der Runde meinten, dass die ersten 40, 50 Seiten sehr mühselig zu lesen waren (besagte Abhandlungen über Literatur und Philosophie), waren aber grundsätzlich von dem Buch angetan, weil der Autor seinen Protagonisten auf Sinnsuche schickt. Es fiel auch die Kritik, dass die Probleme, die sich in einer islamischen Regierung ergeben können,  zu banal dargestellt sind.

Meine zusammenfassende persönliche Meinung: Houellebecq zeigt eher eine gemütliche Unterwerfung unter den Islam auf. Vergleicht man den Titel „Unterwerfung“ mit dem Film „Submission“ (Unterwerfung) von Theo van Gogh, so fällt erst recht die Verharmlosung auf: Denn Theo van Gogh berichtet über die Unterwerfung von Frauen in der islamischen Welt, die zwangsverheiratet, vergewaltigt und geschlagen werden. Er musste seinen Mut ja bekanntlich mit dem Leben bezahlen. Das wollte Houellebecq ganz eindeutig nicht riskieren.

Die Frage nach dem Cover : einige meinten – es sei ein Symbol für die verschleierte Frau, andere sahen in dem Vogelgesicht das wachsame Auge des Geheimdienstes oder des Präsidenten. Auf alle wirkte der schwarze Vogel bedrohlich. Der Zusammenhang mit dem Werk bleibt offen.

 

Corrado Augias, Die Geheimnisse Italiens. Roman einer Nation. C.H.Beckverlag

Italiens Städte werden von einer innerliterarischen Seite durchleuchtet. Augias stöbert in den Werken der Literaten, in Briefen, in Büchern von Philosophen und entwirft zwar kein neues Bild auf Städte wie Rom, Palermo, Neapel, Mailand oder Venedig, aber doch gelingen ihm unübliche Blickwinkel. So weiß man zum Beispiel, dass Palermo ein kultureller Schmelztiegel aus Abendland, Islam und der griech.-byzantisnischen Welt ist, aber dass die Stadt vom Todesgedanken – inklusive Mafia – beherrscht wurde und wird, ist vielleicht nicht allen bekannt. Die Gesellschaft Roms stellt er als eitel, geschwätzig und oberflächlich dar. Interessant ist die Momentaufnahme Neapels aus den letzten Tagen der deutschen Besetzung. Da bewiesen die Bewohner Mut zum Widerstand, und zwar alle – vom Adeligen bis zum Straßenjungen. Doch dieses Aufflackern eines Stolzes verkam zu einem schäbigen Anpassen an die Befreier. Mailand wiederum definiert der Autor über die Geburt des Regietheaters unter Strehler. Mit den politisch brisanten Brechtaufführungen setzte Strehler wichtige gesellschaftliche Zeichen, die heute leider keine Wiederholung finden.

„Die Wahrheit über Italien“ oder die Geheimnisse Italiens hat auch Augias nicht ans Tageslicht bringen können. Denn wo liegt die Wahrheit einer Stadt oder gar einer Nation?? Das sind zu hoch und zugleich zu vage gesteckte Ziele. Aber für alle Italieninteressierte ist dieses Buch eine Bereicherung. Denn der Autor scheut sich nicht vor harter Kritik, die er zwar meist anderen – Literaten, Theater- oder Staatsmännern – in den Mund legt. Kritk dem eigenen Land gegenüber ist allemal besser als eitle Nabelschau.

Margret Greiner, Auf Freiheit zugeschnitten. Emilie Flöge, Verlag Kremayr&Scheriau

Endlich eine Romanbiografie, die sowohl den Namen „Roman“ als auch „Biografie“ verdient. Was weiß man schon über Emilie Flöge? -„Ach ja, das war doch die Geliebte Gustav Klimts“ oder „Gustav Klimt hat sie doch ein paar Mal gemalt“ – mehr kommt da nicht. Darum war es wichtig, dieses Buch über diese interassante Frau zu schreiben und zwar nicht nur als „Beigabe“ zu Klimt, nicht nur in der Konnotation mit Klimt. Denn Emilie Flöge war für ihre Zeit – und wahrscheinlich auch noch für heutige Zeiten – eine fortschrittliche, selbständige Frau. Sie führte ihren eigenen Modesalon zu einer Zeit, als man von Coco Chanel noch nichts wusste. Sie entwarf Mode, um die Frauen aus dem Korsett und den Zwängen des pompösen Kleiderwahns zu befreien. Ihre Entwürfe entstanden in Konkordanz mit den Wiener Werkstätten.

Als Lebensbegleiterin von Gustav Klimt hatte sie sich früh entschlossen, aus dem Kampf um die erotische Vormachtstellung in seiner Gunst auszusteigen,  alle Amouren ohne Kommentar hinzunehmen und ihm „die Frau an seiner Seite“ im öffentlichen und privaten Leben zu sein, ohne jede sexuelle Beziehung. Diese Haltung fiel ihr nicht immer leicht, aber es war für das Paar der einzig mögliche Weg der gegenseitigen Akzeptanz.

Margret Greiner gelingt es in einer unaufgeregten Sprache mit viel Feingefühl, die Figur Flöges lebendig werden zu lassen. Der Leser weiß immer, wo die Romanfiktion beginnt und wo andrerseits die Recherchen sich auf gesichertem Terrain befinden. In inneren Monologen, Dialogen und Reflexionen führt sie uns an den Charakter dieser interessanten Frau heran, und zwar so nahe, wie es ein Roman erlaubt und so distanziert, wie es eine Biografie verlangt.

Unbedingt lesen!

Eine reine Freude: Das schlaue Füchslein

Manche haben vielleicht die Nase gerümpft: Zu wenig tief gehend, zu lieb, zu kindlich, zu , zu, zu…Ja, alle die dem ach so ernsten Regietheater anhängen, waren unzufrieden. Wie Normalos, die unter den kahlen Bühnenbildern und den überzogenen Regieeinfällen leiden, genießen diese hinreißende Aufführung der Oper Janaceks „Das schlaue Füchslein“. Ich gebe ja den maulenden Kritikern recht, die da schreiben: zu wenig die Tiefe des Werkes herausgearbeitet. Aber einmal, wenigstens einmal, darf man sich an der witzigen-einfallreichen Musik – hervorrgend dirigiert von Tomás Netopil, und vor allem an dem zauberhaften Bühnenbidl – ein Wald, wie in alten Märchenbüchern – und den hinreißenden Tierkostümen, beides von der jungen und begabten Amra Buchbinder, ganz kindlich freuen, ohne jetzt groß darüber nachzudenken, ob jetzt Janacek der Tierwelt eine böse Menschenwelt entgegenstellen wollte, oder ob diese Fabel irgendeinen tieferen Sinn hat. Einfach hören, staunen und schmunzeln!!

Großartig: „Die sieben Todsünden“ im Volkstheater

Ein Abend mit Maria Bill, wie man sie liebt und kennt: Tolle Sängerin und berührende Schauspielerin. Unter der sensiblen Regie ihres Exmannes Michael Schottenberg führt uns Maria Bill durch einen Brecht-Weill – Abend wie man ihn schon lange nicht mehr erlebt hat: Dicht, packend und nachdenklich machend.

Im ersten Teil singt Maria Bill neun Lieder nach der Musik von Kurt Weill, unter anderem „Die Seeräuber Jenny“ oder die „Zuhälterballade“ aus der Dreigroschenoper, aber auch das zu einem Jazzstandard gewordene „Youkali“ von Kurt WEill. Sie steht, geschminkt wie eine Diva aus den 30er Jahren in einem engen schwarzen Kleid mit weißer Riesenboa, kerzengerade und riesig groß (auf unsichtbaren Stelzen.) Danach verwandelt sie sich übergangslos in Anna, zieht das schwarze Kleid aus, darunter trägt sie ein armseliges Mädchenkleid. In ausgetretenen Schnürschuhen und mit einem alten Koffer wird sie von ihrer habgierigen Familie (Eltern und 2 Brüder) -hinreißend gesungen und choreografisch im minimalistischen Stil dargestellt von Ivaylo Gruberov, Martin Mairinger, Johannes Schwendinger, Wilhelm Spuller – in die WElt geschickt, damit sie Geld für ein Häuschen in Louisiana verdient. Bill als Anna 1 und Anna 2 – bei der Uraufführung 1933 in Paris von einer Schauspielerin und einer Tänzerin dargestellt – weiß um die Doppelbödigkeit ihres Auftrages, der da heißt: Die 7 Todsünden zu vermeiden. Doch wenn Sünden zu Tugenden werden, weil damit Geld zu verdienen ist, dann ist alles anders: Die Liebe muss bezahlt werden, dann ist sie wertvoll, Gemeinheiten und Zorn sind nützlich, wenn sie zur Wertvermehrung beitragen. Anna durchreist die Stationen der 7 Todsünden in einer doppelbödigen Hellsichtigkeit, wissend, dass sie tun muss, was sie tut, weil die Gesellschaft -sprich die „Familie“ es so verlangt, aber auch wissend, wie sehr ihre Seele – Anna 2 – darunter leidet.

Unter der Leitung von Milan Turkovic spielt das Orchester der Vereinigten Bühnen Wien flott und mitreisßend, ganz im Stil der 30er Jahre.

Ein Wort noch zu dem großartig gemachten Programm, das den Abend interessant komplettiert: Zu jeder Todsünde gibt es  themenbezogene Werke aus der bildenden Kunst, wie etwa Auszüge aus Bildern von H.Bosch oder Kubin. Dazu passend aktuelle, auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft bezogene Interpretationen der so genannten 7 Todsünden, die heute ja alle bis auf die Trägheit zu Tugenden umgeformt wurden.

Unbedingt ansehen. Die nächsten Vorstellungen: 20., 24. November