Kammerspiele: Engel der Dämmerung.

Regie: Torsten Fischer, Bühnenbild und Kostüme: Herbert Schäfer und Vasilis Triantaphillopoulos. Liveband: Christian Frank, Herbert Berger, Andy Mayerl, Klaus Pérez-Salado

Mut zur entblößenden Selbstdarstellung bis zur Entstellung zeigt Sona McDonald in der Rolle als Marlene Dietrich. Und: Mit unerschöpflicher Kraft sowohl gesanglich als auch darstellerisch führt sie gemeinsam mit ihrem congenialen Kollegen Martin Niedermair das Publikum durch die Höhen und Tiefen im Leben von Marlene Dietrich.

Bevor sie zur „der“ Dietrich wurde, musste sie durch Berlin und Wien (!) tingeln. Es dauerte nich lange, da fiel sie Josef von Sternberg auf. Er formte sie und machte sie zum best bezahlten Star ihrer Zeit. Nicht nur der Broadway und Hollywood lagen ihr zu Füßen, auch die Soldaten in den Schützengräben, die ihr Leben im Kampf gegen Hitler riskierten. Drei Jahre tingelte sie unter härtesten Bedingungen von Lager zu Lager, um die „Jungs“ aufzuheitern. Das war ihr Beitrag im Kampf gegen Hitler. Sie hasste nicht ihr Vaterland, sondern die Nazis und Hitler. Dem exzessiven Leben folgte die große Einsamkeit: 13 Jahre lang verließ sie ihre Wohnung nicht mehr und starb allein.

In einer dämmergrauen Bühne, die einmal Schlachtfeld, Schlafzimmer, Bühne in der Bühne ist, durchlebt und durchtanzt Sona McDonald mit grandiosem Einsatz all ihrer Fähigkeiten dieses Leben eines Stars, der Männer, Ruhm, Niederlagen, Drogen, Alkohol in vollen Zügen konsumierte, nur um über ihre Scham hinwegzukommen, eine Deutsche zu sein. Nachdenklich steht sie am Bühnenrand und raisonniert: Ob irgendjemand den Konflikt in ihr verstehen kann: Froh zu sein über das Bombardement der Alliierten und zugleich die Bomben zu verfluchen, die ihre Mutter, die in Berlin lebte, töten könnten.

Durch alle Höhen und Tiefen, ihre Triumphe, ihr Verliebtsein, ihre bodenlose Enttäuschung, wenn sie wieder einer ihrer Liebhaber verlassen hatte, begleitete sie congenial Martin Niedermair. Er war Sternberg, Coward, wurde Yul Brynner oder irgendein anderer der befristeten Liebhaber. Er war Beschützer, Begleiter, Kritiker – wenn man so will, ihr zweites Ego.

Begeisterter Beifall dankte den beiden Künstlern und der Band.

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Bernhard Schir (Amadeus) und Joseph Lorenz (Albertus)

Regie: Peter Wittenberg. Bühnenbild: Florian Parbs. Kostüme: Alexandra Pitz

Es ist zwar nicht das stärkste Stück Schnitzlers, aber doch eines, das eine Aufführung rechtfertigt. Schon allein deswegen, weil es um Ehe, Trennung, Scheidung, Freundschaft geht. Themen, die damals wie heute aktuell sind. Hätten aber nicht so prächtige Schauspieler auf der Bühne agiert, wäre das Zwischenspiel in Belanglosigkeiten abgesoffen. So aber wurde daraus ein Abend, an dem das Publikum wieder einmal „Schnitzlerton vom Feinsten“ genießen durfte.

Die Bühne ist in diffuses Halbdunkel getaucht. Sich drehende spiegelartige Panele reflektieren die Menschen, die in ihren Eitelkeiten und Überheblichkeiten nicht merken, dass sie am Leben vorbeispielen. Schnitzlers Worte „Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug“ sind hier nicht relevant. Denn alle spielen sich was vor und halten das Spiel für das Leben. Keiner, auch nicht der ätzende Kommentator und Freund Albertus – wie immer von Joseph Lorenz in elegant-ironischer Manier gespielt – steigt aus der Rolle heraus ins Leben. Alles wird mit Worten, nutzlosen Diskussionen zerredet. Ein ziemlich aktuelles Thema: Heißt es doch heute: Lass es uns „ausdiskutieren“ – ja und dann? Ist alles beim Alten.

Bernhard Schir (Amadeus) und Maria Köstlinger als Cäcilie (Foto: Herwig Prammer)

Nur Cäcilie (Maria Köstlinger) bekommt eine Ahnung vom Leben, wie es sein könnte. Nach der von ihrem Mann Amadeus (großartig gespielt von Bernhard Schir) geforderten Trennung in Freundschaft, lässt sie sich von der Berliner Luft und der Freiheit, die diese verheißt, berauschen. Als ihr Mann sie wieder für sich allein zurückhaben will (“ sie soll mir allein gehören“) – da winkt sie ab. Zurück bleiben die ratlosen Männer: allen voran Amadeus, der einsehen muss, dass die Frau kein Objekt ist, das man weglegt und bei Bedarf wieder hervorholt. Auch sein Freund Albertus ist ratlos, weil ihm die Schablone für seine geplante Komödie abhanden gekommen ist. Für seine Frau Marie hat er nur eine Geste der Verachtung übrig – er scheucht sie aus dem Raum, wie eine lästige Fliege. Eine Frau wie Marie – rechtlos, von allen für dümmlich gehalten, an ihrer eigenen Talentlosigkeit leidend ist im Kaleidoskop Schnitzlerscher Frauenfiguren einmalig. Die meisten haben gewisse Stärken, wissen sich gegen die Männerwelt zur Wehr zu setzen. Marie hingegen ist ihrem arroganten Ehemann Albertus auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie bewundert ihn – und alle anderen – über alle Maßen. Diese schwierige Rolle meistert Martina Stilp mit unglaublicher Selbstaufopferung und umschifft die Gefahr der Peinlichkeit, die so eine Rolle leicht mit sich bringen könnte, bravourös.

Ein Abend, an dem alle Rollen stimmig besetzt sind. Auch Silvia Meisterle als überdrehte und kokett-verliebte Gräfin Moosheim und Roman Schmölzer als all zu ehrenwerter Fürst Sigismund. Das Publikum dankte mit für diesen „erziehungs- und politfreien“ Theaterabend mit viel Applaus.

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Susanne Wiesinger mit Jan Thies: Machtkampf im Ministerium. Edition QVV

Mit einem Vorwort von Konrad Paul Liessmann

Untertitel: „Wie Parteipolitik unsere Schulen zerstört“

Sooft es um die Frage der Bildung geht, meldet sich der Philosoph Konrad Paul Liessmann mahnend zu Wort: Die mangelhafte oder sogar fehlende Bildung zerstört die Zukunft der heranwachsenden Generation und gefährdet die Demokratie. Machtpolitik statt nüchterner, ruhiger, parteiunabhängiger Bildungspolitik befördert „Abschottung unterschiedlicher Gruppen…und Formierung von Parallelgesellschaften“.

Als Susanne Wiesinger im Vorjahr in ihrem Buch „Machtkampf im KLassenzimmer“ all die Probleme der mangelhaften Ausbildung und deren Ursachen publik machte, erregte sie großes mediales Aufsehen. Geändert hat sich nichts. Ein Jahr lang bereiste sie nun Österreichs Schulen, vor allem die „Brennpunktschulen“, und stellte fest: Wenn statt Realpolitik die Parteipolitik das Bildungssystem lenkt, dann wird es zu keinen Änderungen im System kommen. Sie warnt mit klaren, mutigen Worten vor einem „Bildungskollaps“ und belegt mit Zahlen, Daten und Fakten die erschütternde Tatsache: In vielen Klassen der Brennpunktschulen sitzen Schüler, die dem Unterricht aus mangelnden Sprachkenntnisssen nicht folgen können. Dazu kommen religiöse und soziale Konflikte, die die Lehrer überfordern.

Ihre Vorschläge: Bessere sozialpädagogische Ausbildung der Lehrer, mehr Sozialpädagogen in den Klassen, Eltern in die Pflicht nehmen, Schulleiter nicht mit immer neuen, sinnlosen Erlässen überfordern und vieles mehr!

Ein Buch, das alle angeht! Nicht nur Lehrer und Eltern!

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Joseph Lorenz: „Ich – Casanova“. Teil 1 im „Theater im Salon“

Wenn Joseph Lorenz angekündigt wird, dann kommen alle. Oder doch nicht alle. Denn das private, sehr atmosphärische „Theater im Salon“ hat die Intimität eines Salons, der nur eine begrenzte Anzahl von Gästen Raum bietet. Daher konnte nur ein kleiner Teil seiner Fanschar diesen Abend genießen.

Wie immer fesselte Joseph Lorenz seine „Lorenzgemeinde“. Diesmal mit feinem Humor. Casanovas Memooiren umfassen mehr als tausend Seiten. Geschickt manövrierte Lorenz uns durch dieses abenteuerliche Leben eines intelligenten, geistreichen Beobachters der europäischen Gesellschaft ( 1725 in Venedig – 1798 Dux in Tschechien). Als hochgebildeter Mann, Charmeur, Frauenversteher und Frauenverführer war er in allen Salons der adeligen Welt hoch willkommen. An allen wichtigen Fürsten- und Kaiserhöfen hat er sich umgetan. Meist erfolglos. Friedrich der Große stellte ihn nicht an. Auch nicht Katharina die Große. In Wien schockten ihn die Spitzel, die Maria Theresia auf vermeintlich unmoralische Mädchen und Frauen ansetzte. Nein, das war nicht die Welt, die Casanva gefallen konnte! Da fühlte er sich in Paris schon wohler. Dort sind ihm die Frauen gewogen, lassen sich gerne von seinen charmanten Konversationen zu lächelnder Akzeptanz eines Gespräches und mehr verführen.

Ein keines Trostpflaster für alle, die diesen Abend nicht erleben konnten. Fortsetzung folgt am Samstag, 22. Februar – wieder um 19.30h – im „Theater im Salon“.

Theater im Salon. Copyright: Theater im Salon

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Stefano Benni, Prendiluna. Wagenbach Verlag

Aus dem Italienischen von Mirjam Bitter

Man weiß, Stefano Benno hat eine überbordende Phantasie. In dem Buch „Prendiluna“ übertrifftt er sich selbst an schrägen Einfällen. Prendiluna (die nach dem Mond greift) ist eine alte Lehrerin in Pension. Sie fährt mit einem Koffer voller Katzen durch die Stadt. Ihr Auftrag ist schlicht und einfach: Die Welt vor dem Untergang retten. Um dieses Ziel zu erreichen, muss sie zehn Gerechte finden, die würdig und willig sind, eine dieser Katzen zu übernehmen. Bei dieser Aufgabe helfen ihr ehemalige Schüler, die aus der Psychiatrie fliehen. Gegner, die sich ihr und ihren Helfern in den WEg stellen, gibt es genug – alles, was Italien (und nicht nur Italien) so an Mieslingen, wie Mafiosi, Geheimbündler etc., anzubieten hat. Ob Prendiluna die Weltrettung gelingt? Das ist nicht so sicher. Sie entschwebt jedenfalls mit dem Kater Ariel gemeinsam hinauf ins Irgendwohin.

Bis zur Hälfte ist das Buch recht amüsant, geschrieben im pseudo-kindlichen Stil, der aber in seinen schwierigen Anspielungen an italienische Realitäten eher Erwachsenen gefallen wird. Ab der Hälfte beginnt der Autor den Leser ein wenig durch Wiederholungen ähnlicher Szenen, unzähliger Verwicklungen zu langweilen. Man beginnt quer zu lesen. Wahrscheinlich sind viele Anspielungen dem italienischen Leserpublikum viel eher verständlich. Schade, denn Witz und hintergründiger Humor bezaubern zu Beginn durchaus, nützen sich aber im Laufe der Handlung ab.

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Dürrenmatt: Das Versprechen. Requiem auf einen Kriminalroman.

Inszenierung und Bühnenfassung: Klaus Tröger. Bühne: Klaus Gaspari. Kostüm: Anna Pollack.

Drei kleine Mädchen wurden ermordet. Man hält den Landstreicher für den Mörder, obwohl der immer wieder seine Unschuld beteuert. Als er sich in der Zelle erhängt, ist der Fall für alle gelöst und abgeschlossen. Nicht für den Kriminalkommissar Mattai. Er gab der Mutter des toten Mädchens das Versprechen, dass er den Mörder finden wird. Monate und Jahre sucht er. Bis er eines Tages ein kleines Mädchen als Köder dort einsetzt, wo er vermutet, dass der Mörder vorbeikommen wird. Mattai ist knapp dran, den Täter zu schnappen. Doch der wird, bevor er wieder zur Tat schreiten kann, von einem Lastwagen zu Tode gefahren.

Ein karges Bühnenbild aus schwarzen, verstellbaren Panelen unterstreicht die düstere Stimmung, die im Dorf herrscht. Gerade fand man wieder die Leiche eines kleinen Mädchens. Mattai interessiert sich nur sehr peripher für den Fall. ER ist schon mehr in Jordanien, wo er einen neuen Job antritt. Doch dann wird er durch den Schmerz der Mutter, der er die Nachricht vom Tod ihrer Tochter bringen muss, und durch den Selbstmord des zu Unrecht verdächtigten Landstreichers gleichsam aus seiner professionellen Routine herausgeholt und aus der Starre aufgeweckt. Er hält es für seine Pflicht, den Mörder zu finden, auch wenn er dabei das Leben eines anderen kleinen Mädchens riskiert. Aus dem Profi wird ein persönlich Engagierter, ein Betrooffener. Diesen Wandel darzustellen gelingt Klaus Rohrmoser nur teilweise.. Er spielt ihn äußerlich, rast unruhig auf der Bühne umher. Die seelischen Brüche und Umbrüche müssten leiser, dafür um so intensiver gespielt werden. Überhaupt wird zu viel und zu hektisch umhergerannt, was besonders dem tragischen Schluss abträglich ist: Da hat ein Mensch geglaubt, für die Gerechtigkeit gekämpft zu haben, und muss nun erkennen, dass er das Gesetz verletzt hat, weil er das Mädchen als Köder einsetzen wollte und dabei fast ihr Leben riskiert hätte. Dürrenmatt stellt die Frage, wo die Grenze zwischen Recht und Unrecht verläuft. Sie bleibt in dieser Inszenierung ungestellt und daher unbeantwortet.

Der Regisseur Claus Tröger führt das Ensemble im Stile Brechts: Frei von Gefühlsanhaberei. Ereignisse werden ohne Bühnenblut und ohne diesen widerlichen Flirt mit der offen und ungeschminkt dargestellten Gewalt auf der Bühne dargestellt. Damit hebt sich die Inszenierung positiv von derzeitigen Bühnenmoden ab, wie man sie zum Beispiel an der Burg erlebt. Das Ensemble spielt insgesamt engagiert. Für alle, die weder den Film noch den Roman kennen, sicher ein spannender Abend.

Weitere Termine:

14.02. – 29.02. jeweils Di – Sa um 19.45h

Details unter: http://www.theaterzumfuerchten.at/TheaterScala

Andrea Wulf: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur. C.Bertelsmann Verlag.

Aus dem Englischen: Heiner Kober

Man will das Buch gar nicht aus der Hand legen! Bevor ich auf den Inhalt eingehe, möchte ich meine Bewunderung für die Autorin ausdrücken. Sie hat sich nicht nur durch Humboldts tausende Briefe und Werke durchgearbeitet, sondern auch zahllose Werke von Zeitgenossen und Sekundärliteratur mit einbezogen. Allein der Anhang umfasst 133 Seiten! Es wurde die Biografie eines Genies, congenial geschrieben von Andrea Wulf!

Alexander von Humboldt (1769-1859) wollte immer schon die Welt mit eigenen Augen erfahren, erforschen. Doch seine Eltern hatten eine Beamtenlaufbahn im Dienste des Preußischen Königs vorgesehen. Zähneknirschend studierte Humboldt Bergbautechnik. Als Bergassessor erkannte er schon früh, wie wichtig die ERhaltung der Wälder ist. Holz war der wichtigste Rohstoff zu dieser Zeit. Humboldt wies vehement auf die Wichtigkeit des Waldes für das Klima hin und warnte als erster überhaupt vor den katastrophalen Folgen der ausbeuterischen Abholzung.

Mit 30 Jahren konnte Humboldt dank seines reichen Erbes sichden lang gehegten Lebenswunsch erfüllen und die Reise nach Südamerika antreten. Fünf Jahre lang erforschte er unter schwierigsten Bedingungen gemeinsam mit dem Botaniker Aimé Bonpland die Llanos, das Orinocogebiet, überquerte die Anden und bestieg den Chimborazo. Malaria, Mückenplagen, Kälte und Hitze – all das ertrug er, ohne auch nur einmal an Aufgabe zu denken. Er schleppte schwere Messgeräte durch unwegsames Gelände,sammelte Pflanzen, Gesteine, Tiere und führte genaueste Aufzeichnungen. Bevor er nach Europa zurückkehrte besuchte er Thomas Jefferson, den dritten Präsidenten der Vereinigten Staaten. Jefferson hatte mehr Interesse für die Natur als für die Politik. Die Forschungsergebnisse Humboldts sog er deshalb wissbegierig in sich auf.

Zurück in Europa wurde Humboldt wie ein Weltstar gefeiert. Seine Vorträge, zu denen auch Frauen Zugang hatten, wurden gestürmt. Das Publikum stand bis auf die Straße Schlange. Er verstand zu faszinieren. Seine Ideen beeinflussten und beeindruckten unter anderem Goethe, mit dem er befreundet war. Simon Bolivar wurde durch Humboldts Einfluss zum Revolutionär, zum Befreier, der gegen den Sklavenhandel und die spanische Kolonialmacht kämpfte. Humboldt wurde nie müde auf die Bedrohungen der Natur durch den Menschen hinzuweisen. Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse waren Grundlage für viele späteren Forscher.

Neben all den Empfängen und Vorträgen hatte Humboldt nur einen Wunsch: wieder zu reisen. Sein Wunschziel war Indien. Jedoch bekam er nicht die dazu nötige Erlaubnis vom britischen Empire. So folgte er 1829 der Einladung des russischen Zaren Nikolaj I. All die Strapazen dieser Reise machten dem 60ig-Jährigen nichts aus. Kälte, endlose Kutschenfahrten, lange Wanderungen – all das ertrug er. Sein Forschungseifer machte ihn immun gegen Krankheiten. Auf dieser Reise kam er bis an die Grenze Chinas.

Zurück in Berlin begann Humboldt im Alter von 65 Jahren an seinem mehrbändigen Werk „Kosmos“ zu arbeiten. Sein Ziel war es, die ganze materielle Welt in einem Werk darzustellen. Seine Zeichnungen und sein Stil waren so anschaulich und lebendig, dass die 4 Bände zu den meistverkauften und meistgelesenen Büchern zählten. Bis zu seinem Tod im Jahre 1859 blieb Humboldt geistig rege, schrieb tausende Briefe in alle Welt, schuf ein riesiges Netzwerk zwischen Wissenschaftlern und Künstlern. Wenn Humboldt im Mai 1859 stirbt, hat der Leser das Gefühl, einen Gefährten, der ihn durch viele Stunden und Tage begleitet hat, verloren zu haben.

http://www.bertelsmann.de

Maximilian Hauptmann und Stefan Kutzenberger. Das Literaturquiz. edition a

Im Untertitel schreiben die Autoren: 123 Antworten, die Sie kennen sollten, um über Literatur mitreden zu können.

Das ist ganz sicher eine ironisch gemeinte Übertreibung. Denn manche Fragen sind wirklich mehr als speziell. Wer kennt schon Georges Perec und seinen Roman „La Disparition“. Doch die meisten der 123 Fragen sind mit einer gewissen Allgemeinbildung oder auch Hausverstand zu lösen, denn man hat drei Antworten zur Wahl. Der Quizmaster kann auch Punkte für die richtigen Antworten geben. Etwa für besonders schwere drei, für mittelschwere zwei und für leichte einen. Am Ende wird ein Sieger ermittelt.

Besonders interessant sind natürlich die Auflösungen. Selbst solche, die sich als Kenner der Literatur bezeichnen, sind oft verblüfft, was sie dadurch alles für sie Neues erfahren. Apropos Kenner – die werden immer rarer, meinen die beiden Autoren. Das Interesse an Literatur sinkt mit zunehmender Netflix-Manie. Als die Autoren die Studenten fragten, warum sie Literaturwissenschaft studieren wollten, bekamen sie sehr oft als Motivation die Netflix-Serien genannt. Da schrillten bei den Autoren die Alarmglocken. Mit diesem Quizbuch wollen sie einen kleinen Beitrag zur Rettung der Literatur liefern.

In den immer zahlreicher werdenden Lesekreisen ist dieses Buch bereits sehr beliebt. Zur Auflockerung ein paar Quizfragen stellen, einen Gewinner ermitteln – und schon beginnen die Diskussionen. Nicht nur im Radio ist Literatur der Rede wert.

http://www.edition-a.at

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Margery Sharp: Die Abenteuer der Cluny Brown. Verlag Eisele

Aus dem Englischen von Wibke Kuhn

Charmant und intelligent-witzig beschreibt Margery Sharp (1905 in Salebury – 1991 in Aldeburgh/Suffolk) die englische Gesellschaft vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Cluny Brown ist 20 Jahre jung, alle meinen, sie sei als potentielle Braut schon überfällig. Schön ist sie nicht, meinen wieder alle. Heute würde man sagen „apart“. Sie lebt bei ihrem Onkel in London, der ein tüchtiger Klempner ist. Ab und zu springt sie für ihn ein, repariert auch schon mal einen verstopften Abfluss. Das gehöre sich nicht für ein Mädchen, meint der Onkel. Überhaupt sei ihm Cluny Brown zu aufmüpfig, zu umtriebig. Kurz entschlossen schickt er sie als Stubenmädchen auf den Herrensitz Friars Carmel. Der Autorin gefallen ganz offensichtlich schrullige Namen. Cluny ist die Bezeicnung für ein bekanntes Kloster und als Vorname ungebräuchlich. Als Kompensation für den nichtexistenten Vornamen gibt die Autorin der Protagonistin den gängigsten aller englischen Familiennamen: Brown. Friars Camel könnte man gut und gern als „Brüder Karmeliter(innen)“ übersetzen.

Also: Die handelnden Personen sind fast alle nicht so, wie sie sich nach außen hin geben: Allen voran Cluny. Alles, was ein Stubenmädel können muss, lernt sie in Windeseile. Aber hinter der Stubenmädelfassade steckt die quirlig-neugierige Cluny. Sie erstaunt nicht nur die Dienerschaft immer wieder durch ihre Andersartigkeit. Auch die Bewohner des Landsitzes sind über sie einigermaßen verwundert. Ein Dienstmädel, das den Apotherker des Ortes heiraten wird? Das ist ungewöhnlich. Aber sie heißen es dennoch gut. Als Cluny aber, statt den Apotheker zu heiraten, Hals über Kopf mit dem polnischen Schriftsteller Adam Bilinski, der monatelang Gast auf dem Herrensitz war, nach Amerika abhaut, ist die Verblüffung groß.Verblüffung schon, aber nicht Empörung!

Margery Sharps Klinge des Humors und der Charakerzeichnung ist ganz fein, subtil. Alle Personen sind in ein fixes gesellschaftliches Leben eingebettet, haben sich darin gut eingerchtet. Es scheint, dass auch Cluny ihren Platz als Stubenmädchen akzeptiert. Aber es kommt ganz anders. Denn einen Moment lang, und das ist der entscheidende in ihrem Leben, lässt sie es nicht zu, dass über ihren Kopf hinweg entschieden wird, und türmt mit Belinski.

Es ist nicht so sehr die Handlung, die aufs erste wie eine Rosamund Pilcher-Geschichte daherkommt, als vielmehr die kleinen, subtilen Gesten, Handlungen und Gedanken der Personen, die den Leser schmunzeln lassen. Wobei die Autorin über keine einzige Person den Stab bricht. Für alle und alles hat sie Verständnis. Für Lady Carmel, deren einziger Sinn im Leben die Gartenpflege zu sein scheint, die aber ihren Mann Henry und ihren Sohn Adam mit leiser Hand in die richtige Richtung führt. Für die schöne Betty, die sich vor Heiratsanträgen kaum erwehren kann. Die aber weitaus klüger und weitsichtiger ist als alle Männer, die sie dümmlich anbeten. Größte Sympathie hegt sie natürlich für Cluny. Für dieses Mädchen, das sich nicht unterkriegen und „einseifen“ lässt. Wenn man so will, tritt der Roman für eine unkämpferische, dafür umso wirksamere Emanzipation der Frauen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ein.

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Ballett: Nachmittag eines Fauns, Bolero, Carmina Burana. Volksoper Wien.

Nachmittag eines Fauns. Musik: Claude Debussy

Choreographie:Boris Nebyla

Es tanzten: Tainà Ferreira Luiz und Felipe Vieira

Ein Faun, der kein Faun ist, eine Nymphe, die keine Nymphe ist. Statt des Waldes ragten schwarze, hohe Latten empor. Boris Nebyla löste die Figuren von ihren antiken Fixierungen ab. Felipe Vieira im Nudekostüm war einfach ein Junge, eventuell ein junger Mann, der sein sexuelles Verlangen austanzt, sich nach einer Partnerin sehnt. Ohne Scham öffnet er sich, wird geil. Tainá Fereira Luiz ist keine scheue Nixe, höchstens etwas schüchtern. Doch bald passt sie sich den verlangenden Bewegungen an, die Vereinigung wird vollzogen. Hervorragend, wie die beiden diese heikle Partie tanzen! Voller Energie, voller Lust auf Deutlichkeit, ohne peinliche Pornographie.

Maurice Ravel: Bolero

Choreographie, Bühne und Licht: András Lukács

Es tanzte: Das Ensemble

Zehn Tänzerinnen und zehn Tänzer in langen, schwarzen Röcken tanzen (mit nacktem Oberkörper die Männer, mit Nudeoberteil die Frauen) im scheinbar ewig gleichen Schritt. Wie in einem Menuett mit streng festgelegten Figuren formen sie Kreise, die sich zu Spiralen auflösen, sich wieder schließen, um gleich darauf Linien zu bilden. Eine Choreographie, die vom Ensemble allergrößte Exaktheit verlangt, die allerdings nicht immer gelang. Aber der Gesamteindruck überwältigte!

Carl Orff: Carmina Burana

Choreographie: Vesna Orlic, Bühne und Kostüme: Alexandra Burgstaller

Diese freche und originelle Choreografie und Interpretation wird sicher in die Musik- und Ballettannalen eingehen. Unter dem Regime der alles beherrschenden Fortuna ( sehr gut: Martin Winter) entfaltet sich die Palette von Leiden und Freuden, die das menschliche Leben ausmachen: Die Liebe, die Eifersucht herrschen in der Jugend und bestimmen die Handlung. Das Trio Taina Luiz als Ehefrau, Felipe Vieira als Ehemann, der von der roten Schönheit (Kristina Ermolenok) gekonnt verführt wird, sind die Protagonisten des Mittelteils und des Finales und überzeugen mit ihrem großen Können. Eine berührend schlichte Brautszene tanzen Mila Schmidt (junges Mädchen) und Keisuke Nejime (junger Mann). Höhepunkt ist die Szene in der Taverne. Die Säufer und Vielfraße sind Mönche, die das Leben in allen Untiefen auskosten. Alles unter dem Kreuz, das über der reich gedeckten Tisch hängt. Herzzerreißend jammert der Schwan, getanzt von Samuel Colombet. Er wird brutal geschlachtet und verspeist. Fortuna beendet mit einem fulminanten Tanz das tolle Menschentreiben. Sie bestimmt über das Leben, wie es ihr gefällt.

Tosender Applaus, auch für den Chor und den Kinderchor der Volksoper, für das Orchester und den Dirigenten Guido Mancusi. Natürlich ganz besonders für die fulminanten Leistungen der Tänzer und Tänzerinnen. Warum liest man nie ihre Namen auf den Programmzetteln der Staatsoper? Wo ja mit dem Abgang von Vladimir Shishov vor allem Tänzer von seiner Bühnenpräsenz fehlen. „Junge Prinzen“ gibt es genug an der Staatsoper. Sobald aber eine Charakterfigur gebraucht wird, wird die Auswahl dünn.

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„Carmina Burana“ ist noch am 8. 14., 23. und 27. Februar zu sehen.

Maria Bill singt Kurt Weill. Theater Akzent

Mit Leonhard Skorupa/Saxophon, Klarinette, Gregor Aufmesser Bass, Andi Tausch Gitarre, Konstantin Kräutler Schlagzeug

Foto: Theater Akzent, Maria Bill

Einmal mehr bestätigt sich: Das Theater Akzent ersetzt das Volkstheater, das unter der Intendanz von Badora viele Anänger verlor. Mit Maria Bill, Felix Mitterer ist das Theater Akzent die neue Bühnenheimstätte für ein Publikum, das sozialkritische Aufführungen schätzt. Das Theater Akzent ersetzt aber auch das Burgtheater, das unter der Leitung von Kusej mit lautstarkem, ohrenbetäubendem (im wahrsten Sinn des Wortes) Erziehungstheater viele Zuschauer vertreibt. Sie alle finden im Theater Akzent eine neue Bleibe. Dass auch berühmte Rezitatoren wie Joseph Lorenz, Andrea Eckert gerne im Akzent auftreten, schätzt das Publikum ebenfalls sehr.

Nun zu Maria Bill! Wo immer sie auftrat und auftritt, hat sie ihr Publikum! Das Theater Akzent war komplett ausverkauft, selbt am Balkon gab es keine freien Plätze mehr. Für diesen Kurt Weill-Abend hatte sie zunächst eine Überraschung bereit: Sie trat als alte (sic), verbrauchte Frau auf, die sich ihr Geld mühselig im „Dienst an Männern“ verdient. Und sah dementsprechend aus. Diesen Mut zur Hässlichkeit hat kaum eine andere Künstlerin: Graue, verfilzte Haare, ein Kurzmantel aus dem Container, darunter ein armseliges Kleidchen, das schon bessere Tage sah. Klobige Bergschuhe und dicke Socken vervollständigten das Bild einer Frau, die geradewegs aus dem Umfeld der Dreigroschenoper kam. Dazu passsend ihre Gesten: Wie ein hilflos der Welt ausgeliefertes Mädchen zupfte sie an ihrem Kleid, fuhr verlegen die verfilzten Haare – man musste sie einfach gern haben! ERst recht, wenn sie zu singen begann. Im ersten Teil sang sie die bekanntesten Songs, die Kurt Weill zu Brechttexten komponierte. Sie war das Mädel, das den Zuhälter liebt (Zuhälterballade), sie war die Seeräuber Jenny. Sie sang mit brüchig-rauer Stimme von einer Insel namens „Youkali“, wo sich alle Wünsche vereinen und in ERfüllung gehen könnten – nur leider eine Illusion.

Nach der Pause – die größe Überraschung: Maria Bill als elegante Lady im Stil einer Bardame. Schwarzes Outfit, raffiniert geschminkt. Kurt Weill floh vor den Nazis zunächst nach Paris, wo er das Sehnsuchtslied, gerichtet an >Lotte Lenya, schrieb: „Je ne t’aime pas“, von Bill mit großer Traurigkeit vorgetragen. Berührend auch „Nannas Lied“, das von einem französischen Mädchen erzählt, das sich in einen deutschen Soldaten verliebt. Von Paris flieht WEill in die USA, wo er als Komponist gut verdient, dennoch aber klingt der Song „I‘ am a stranger herer myself“ (Ich bin hier selbst ein Fremder) voller Sehnsucht nach dem alten Europa.

Was Maria Bill so überzeugend wirken lässt: Sie singt bedingungslos, gibt sich ganz der Rolle, der Musik hin und schielt nicht nach Äußerlichkeiten. Sie ist einfach – glaubwürdig!

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Jubiläumskonzert, Musikverein 28. Jänner 2020: „Feuerreiter“. Gesänge und Geschichten von Feuer, Mord und Liebe.

Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde Wien, Dirigent: Johannes Prinz Am Klavier zu vier Händen :Eduard und Johannes Kutrowatz. Sprecher: Joseph Lorenz

  1. Teil: „Liebes- und Beziehungsgeschichten“

Rotes Licht überstrahlt die Orgelempore, die Bühne liegt in geheimnisvoller Dunkelheit. Plötzlich überhell, fast weiß angestrahlt: Der Sprecher Joseph Lorenz. Er „befeuert“ mit Glut das Publikum, lässt den „Feuerreiter“ von Eduard Mörike durch den Saal rasen. Die Flammen zucken über die Köpfe der Sänger und des Publikums hinweg. Was für ein ungewöhnlicher Beginn! Man glaubte sich im Theater oder in der Oper, aber wahrlich nicht im ehrwürdigen goldenen Musikvereinssaal. Und glutvoll ging es weiter. Die Stimmen des Singvereines sangen verführerisch über die Gefahren und Fallstricke in der Liebe (u. a.Johannes Brahms und Robert Schuhmann). Dazwischen warf das Fräulein Kunigunde den Handschuh in die Arena, mitten unter die blutrünstigen Bestien, und forderte den Jüngling arrogant auf, ihn ihr wiederzubringen. Er tat es und statt auf den Liebesdank zu warten, wirft er ihr den Handschuh ins Gesicht. Aber wie! Wenn Joseph Lorenz die bekannte Ballade Schillers liest, dann lebt das Publikum mit, schmunzelt über die dumme Pute Kunigunde und vergönnt ihr die Zurückweisung vor versammeltem Hof.

Joseph Lorenz lässt Schillers Ballade „Die Bürgschaft“ lebendig werden, macht aus dem Tyrannen einen ziemlich dumm-herrischen Tropf. Aus Damon einen Leidenschaftlichen, der gegen Angst und Naturgewalten kämpft, um rechtzeitig zurückzukehren und den Freund vor dem Tod zu retten. Wir wissen alle, wie es ausgeht: Von dieser Liebe und Treue zwischen den Freunden gerührt, bittet der Tyrann um die Freundschaft derer, die er gerade noch am Galgen hat wollen hängen sehen. Im Gegensatz zu Schiller, der den Tyrannen voller Reue und zerknirscht sein lässt, schaut Lorenz tiefer in diese schwarze Politikerseele: Die Reue ist Schein, einmal Tyrann- immer Tyrann, auch wenn er sich „gerührt“ gibt. Denn was lehrt die Gegenwart: Die Worte eines Mächtigen gelten nur so lange es ihm passt.

Nach der Pause wurde in theatralisch wirksamer Inszenierung „Tödliches“ in guter Mischung aus Dramatik und Nonsense vorgebracht. Joseph Lorenz entzündete in fast totaler Dunkelheit eine Kerze und gab der „Flamme“ von Christian Morgenstern seine leise-gefährliche Stimme: gieirig züngelt sie über alles, was in ihre Nähe kommt und tötet Mensch, Vorhang, Zimmer, Haus, Häuser, Wälder, ringsum alles Leben. Dann, dann ist alles tot, verbrannt…Man erschaudert, Bilder von den riesigen Bränden in Australien steigen auf. Die Stimme des Sprechers reißt alles nieder. Pathos pur, aber ein Feuerpathos, das so sein muss. Gleich darauf: Stilles Pathos, Leid, Rachegedanken, die niedergerungen werden: Conrad Ferdinand Meyers Ballade „Die Füße im Feuer“. Dazwischen heiter, geschliffen vorgebrachter Nonsens in Christian Morgensterns „Werwolf“. Und am Ende Goethes „Erlkönig“ – Lorenz ist ängstlicher Knabe, todbringender Verführer mit homoerotischer Anmutung, ein Vater, der sein Kind nicht schützen kann. In Joseph Lorenz hat die Tragik, die hintergründige Heiterkeit eine adäquaten Interpreten gefunden, der sich vor großen Gesten und bewusst gesetztem Pathos nicht scheut.

Joseph Lorenz (Foto:Conactor-Schauspielagentur)

Auch das musikalische Menü folgte dem Prinzip der Abwechslung zwischen drohender Gefährdung, Gewalt, Heiterkeit und Spott. Großarig Ligetis „Pápáine“ für gemischten Chor a cappella. Ein musikalischer Höhepunkt waren sicherlich Brahms „Ungarische Tänze“, von Johannes und Eduard Kutrowatz auf dem Klavier zu vier Händen mit Rasanz und bewundernswerter Übereinstimmung gespielt. Ebenso der Nonsenssong „km 21“ von Franz Tischhauser, bravourös gesungen von dem Tenor Wolfgang Adler.

Was den Abend so einmalig machte, war diese unprätentiöse und intelligente Mischung aus Musik und Vortrag. Eine Auswahl, die ohne jegliche „erzieherische Tendenz“ auskam, allein zur Erbauung – welch selten gewordenenes, schon gehörig in Misskredit gekommenes Wort-.

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Charlie English: Die Bücherschmuggler von Timbuktu. Hoffmann und Campe

Von der Suche nach der sagenumwobenen Stadt und der Rettung ihres Schatzes.

Aus dem Englischen von Henning Dedekind und Heike Schlatterer

Charlie English, ehemaliger Chefredakteur des „Guradian“, erzählt, wie Timbuktus wertvollster Schatz, die heiligen Bücher und Manuskripte, unter Lebensgefahr der Bewohner vor der Zerstörungswut der Al-Kaida gerettet wurden. English sucht die Waage zwischen wissenschaftlichem und populärwissenschaftlichem Stil zu halten, was manchmal – das muss bei allem Lob für dieses Werk gesagt sein – zum Verlust der Spannung führt.

Geschickt verwebt er die sagenumwobene Geschichte der Stadt mit der Zeit von 2012 bis 2013, als zuerst die Rebellen und gleich darauf die Al-Kaida über die Stadt herfielen, plünderten und die Mausoleen der Heiligen in Schutt und Asche legten.

Timbuktu war immer schon für die Welt ein Mythos. Keiner wusste, wo es genau lag. Man erzählte sich Geschichten von dem ungeheuren Reichtum der Stadt, von goldstrotzenden Palästen. Das schürte die Neugier und Gier diverser Staaten, wie England, Frankreich und später auch Deutschland. Unter dem Deckmantel der Wissenschaft wurden Abenteuertypen im Wettlauf losgeschickt, die diese reiche Stadt finden sollten, einzig allein zu dem Zweck, die Stadt auszubeuten. Viele starben in der Wüste. Einige Informationen drangen dennoch bis Europa durch: Von Gold keine Spur. Man meldete lediglich eine staubige Stadt mit vielen heiligen Bauten. Erst der deutsche Forscher Heinrich Barth (1821-1865) beschäftigte sich ausführlich mit dem eigentlichen Schatz Timbuktus, den heiligen Schriften. Er machte klar, dass Afrika sehr wohl eine schriftliche Kultur kannte und man daher die europäische Sicht auf Afrika als schriftlosen Kontinent total ändern müsse. All diese Berichte hatten zur Folge, dass immer mehr Staaten und Organisationen, unter anderem auch die UNESCO, auf den Wert dieser Manuskripte hinwiesen und sie gerade dadurch gefährdeten. Als die Al-Kaida in Timbuktu ihre Schreckensherrschaft 2012 bis 2013 ausübten, war die Angst der Bewohner um die Manuskripte so groß, dass sie begannen, diese in Kisten und Säcken in Nacht- und Nebelaktionen und unter größter Lebensgefahr in das nahe Bamako zu schmuggeln. Über die Zahl der geretteten Manuskripte seien bis heute keine sicheren Aussagen möglich, meint der Autor. Und lässt den Verdacht im Raume stehen, dass die Retter die Zahl ins Unermessliche steigerten, um Fördergelder diverser Organistionen in die Höhe zu lizitieren. Ein eher unrühmliches Ende, so finde ich, nicht für die Retter, sondern für den Autor. Denn gerade ihm, der mit vielen Verantwortlichen der Rettungsorganisation sprach und um die schwierige und chaotische Situation der „Schmuggler“ wusste, steht die Andeutung eines solchen Verdachtes nicht gut zu Gesicht.

Wiener Staatsoper: Onegin. Ballett.

Choreografie: John Cranko. Musik: Peter Iljitsch Tschaikowski, arrangiert von Kurt-Heinz Stolze

Wenn John Crankos (1927 – 1973) Choreografien gezeigt werden, dann kommen Ballett-Aficionados in geschlossener Formation. Er leitete von 1961 bis zu seinem allzu frühen Tod die „Stuttgarter Ballettkompanie“ des Württenbergischen Staatstheaters und machte sie in kürzester Zeit zu einem der weltbesten Ensembles. Ihm ist es zu verdanken, dass das erzählende Ballett, das in den 6oer Jahren des vorigen Jahrhunderts verpönt war, wieder geschätzt wurde und wird. Im Falle des Balletts „Onegin“ hielt er sich an das Versepos von Alexander Puschkin (1833). Deshalb erscheint in dieser Aufführung vor jedem Akt das Bild des Dichters auf dem transparenten Vorhang. Dazu ließ Cranko von Kurt-Heinz Stolze eine Partitur aus verschiedenen Kompositionen Tschaikowskis zusammentstellen, um die innere und äußere Handlung der Figuren durch die Musikauswahl noch klarer zu verdeutlichen. Dank dieses Regie- und Choreographiekonzeptes folgt der Zuseher einem „Drama ohne Worte“, durch tänzerische Gesten und Figuren erzählt. Da gibt es keine langweilige Füllszenen. Gruppentänze, wie etwa die Auftritte der Burschen und Mädchen während des Festes, sind Teil einer Geschichte, die die Handlung weiter treibt. Amüsant etwa der Tanz der Dorfjugend: Übermütig und frech werben die Burschen um die Mädchen, lüpfen ihre Röcke, die Mädchen kichern verschämt. Währenddessen geht an Tatjana diese kindliche Lebensfreude vorbei. Sie stellt sich, beeinflusst von den allzu romantischen Geschichten, die sie unaufhörlich verschlingt, eine Liebesbeziehung mit dem eitlen Onegin vor, die so nicht realisierbar ist.

Roman Lazik als Onegin und Ketevan Papava als Tatjana. Foto: Ashley Taylor

In der Traumvision tanzt sie mit Onegin die ERfüllung ihrer Liebe. Dieser Pas de deux wird von Lazik und Papava mit bezaubernder Zartheit und Hingabe getanzt. Papava ist das junge, verliebte Mädchen und einige Zeit später die innerlich gefestigte Frau, die ihren Ehemann, den Fürst Gremin (Vladimir Shishov) ehrlich liebt. Dass Shishov nur mehr als Gasttänzer auftritt, schmerzt sehr. Es heißt, er schied mit Ende August 2019 aus Altersgründen aus. Wir werden ihn sehr vermissen! Seine Performance als Prinz im „Schwanensee“ oder sein wild-temperamentvoller Tanz als Kommissar in „Giselle rouge“ werden noch lange in Erinnerung bleiben.

Höhepunkt des Abend war sicherlich der Pas de deux zwischen Onegin und Tatjana am Schluss. Er ist um einige Jahre älter und reifer geworden, fühlt schmerzlich die Einsamkeit. Da sieht er Tatjana wieder. Nun begreift er, welchen Fehler er damals machte, als er ihre Liebe so grob zurückwies. Er will sie -typisch Mann – wieder für sich gewinnen. Tatjana weist ihn zurück, aber mit zunehmender Heftigkeit der Werbung verfällt sie dem Rausch, der Leidenschaft. Doch abrupt bricht sie ab, bevor es zur Vereinigung hätte kommen können. Sie weist ihn mit herrischer Geste aus ihrem Gemach. Weinend bricht sie am Schreibtisch zusammen. Eine enorme, intensive Leistung der beiden, die sich tief in die Erotik und verlockende Versuchung hineintanzen und wie aus einem Rausch erwachend ernüchtert die Szene verlassen.

Viel Applaus und standing ovation für das ganze Ensemble und besonders für Lazik und Papava, und natürlich auch für Shishov! Ebenso für die entzückende Madison Young als Olga und Jakob Feyferlik als Lenski. Verdienten Applaus bekam auch der Dirigent Ermanno Florio, der das Wiener Staatsopernorchester behutsam durch diese wunderbare Musik leitete.

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Felix Mitterer: Mein Ungeheuer. Theater Akzent

Eine Produktion von STEUDLTENN Tirol Zillertal

Regie: Hakon Hirzenberger

Das Ehedrama aus dem Bauernmilieu schrieb Felix Mitterer in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Doch seine Aktualität ist brennender denn je. Es geht um die Frage: Wie gehen Menschen miteinander um, wenn Arbeitslosigkeit und tiefste Armut, dazu Bildungslosigkeit und daher Chancenlosikeit den Alltag bestimmen. Er, Hans Zach (Martin Leutgeb), säuft seine tiefgründige Lebenstraurigkeit, seine unerfüllte Sehnsucht nach Nähe einfach in Grund und Boden. Zach ist allerdings schon 15 Jahre tot, doch er drangsaliert noch immer seine Ehefrau Rosa (Susanne Altschul) als Geist.

Schauplatz ist irgendein Dorf in Tirol in der Nähe von Schwaz. Wie gesagt, Zach ist tot, aber „zach“ sekkiert und drangsaliert er seine Frau Rosa. Die hat ihn 15 Jahre lang angeschwiegen. Weil er ihr nicht glauben will, dass Felix sein leiblicher Sohn ist. Für ihr Schweigen rächt er sich nun als „Quälgeist“ mit Dauerpräsenz.

Felix Mitterer verquickt dramaturgisch geschickt die verschiedenen Zeit- und Realitätsebenen. Ohne Bruch switscht er zwischen einst, dem lebenden Zach, und dem Geist hin und her. Im „Schlagabtausch“ zwischen der schweigsamen Rosa und dem brüllenden Hans geht es hoch her: In dem kargen Bühnenbild (Gerhard Kainzner) – ein Sofa, ein Holzsarg – wütet, schreit, schimpft, springt Martin Leutgeb mit beeindruckender Rasanz und Bühnenpräsenz herum. Währenddessen sitzt Rosa auf dem Sofa und schweigt. Wie zum Schutz gegen ihren besoffenen Ehemann hält sie eine Puppe im Arm. Was Martin Leutgeb hier an Wortwucht und Körpereinsatz einbringt, das gelingt Susanne Altschul ebenso intensiv durch Schweigen. Keine leichte Rolle, die sie bravourös meistert. Felix Mitterer hat ihr zum Ausgleich mehrere sehr berührende Szenen zugeschrieben, z.B Wenn sie von der innigen Zärtlichkeit zwischen ihr und dem taubstummen Almhirten erzählt. Oder mit welch starkem Stolz sie an ihrem armseligen Haus hängt, das sie mit eigenen Händen gebaut und selbst finanziert hat. Susanne Altschul meistert diese Rolle mit schlichter Innigkeit, ohne je auch nur in die Nähe des Kitsches, der Rührseligkeit abzurutschen.

Es scheint, zwischen den beiden herrscht nur Hass – bis in alle Ewigkeit. Doch als Hans seiner Frau erstmals erzählt, wie er als neunjähriger Bub seine tote Mutter in der Nacht aus dem Grab geholt und vom Friedhof weggetragen hat, weil er nicht glauben wollte, dass sie tot war, da bricht zwischen beiden die Mauer des Hasses. Rosa bettet den weinenden Ehemann in ihren Schoß und tröstet ihn. Um keine Rührung aufkommen zu lassen, schließt Felix Mitterer mit einem leichten Augenzwinkern und Schmunzeln: der Geist Zach verschwindet endgültig in die Ewigkeit. Rosa ruft ihm tröstend nach: „Ich komm bald nach.“ Er- leicht verschmitzt und ein wenig ruppig: „Lass dir Zeit. Du versamst dort nix.“

Matthias Jakisic unterlegt die Szenen, die von der ungestillten Sehnsucht nach Geborgenheit, Zärtlichkeit und Träumen von einem besseren Leben erzählen, mit zarter Musik, die hin und wieder an alte Kinderlieder erinnert.

Dank des großartigen Textes von Felix Mitterer, der einfühlsamen Regie und Musik und vor allem dank der beiden intensiven Schauspieler wurde es ein Abend, der es wert ist, in die Chonik des Theaters „Akzent“ einzugehen-

Lang anhaltender Applaus für die Schauspieler. Auch für den Regisseur und den Autor, die persönlich auf die Bühne kamen. Im Publikum waren auch einige Schauspielerkollegen zu sehen – unter anderem Stefano Bernardin und Peter Simonischek.

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Marie Brunntaler, Wolf. Eisele Verlag

Der Name Marie Brunntaler ist ein Garant für Spannung, Entspanung. Sie schreibt über Menschen im Schwarzwald, die nicht gerade mit Reichtümern gesegnet sind und sich ihren Platz in der Gesellschaft erkämpfen müssen, z. B. wie etwa in dem Roman: „Das einfache Leben“.

Nun also „Der Wolf“. Ein Dorf im Schwarzwald, weit weg von Zivilisation. 1820. Die Menschen werden von Aberglauben und von dem hinterlistigen Abt im Kloster beherrscht. Er sagt, was im Dorf geglaubt werden muss, was im Dorf als Unrechtzu gelten hat. Dass er als ganz infamer Päderast sich auf die Buben im Internat stürzt, ist nur ein Thema dieses packenden Romanes. Brunntaler fragt aber auch, was die allgemeine Meinung, „was die Leut sagen“, aus einer Dorfgemeinschaft macht. Gabriel ist ein Bub, der durch seine Schönheit und Klugheit alle bezaubert. Aber beide Eigenschaften bringen ihn in des Teufels Küche. Der Lehrer, der sein Amt im Dorf neu angetreten hat, hat wie ein Teufel die Fäden des Geschehens in der Hand und will Gabriel zum Werkzeug seiner Rache machen. Er ist der Wolf im Schafspelz eines Lehrers.

Während Brunntaler alle Figuren des Romans, besonders die beiden Frauen am Steinhauerhof sehr gut charakterisiert und glaubhaft im Geschehen verankert, gelingt ihr die Figur des Lehrers nicht so richtig. Sein Hass ist noch verständlich, doch seine teuflischen Wirkungsklräfte auf Gabriel sind unglaubwürdig. Dennoch: Ein äußerst lesenswerter Roman,

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Nicolas Mathieu: Wie später ihre Kinder. Hanser Literatur-Verlag

Aus dem Französischem von Lena Müller und André Hansen

Der zur Zeit der Preisverleihung noch relativ unbekannte Autor erhielt für diesen Roman den Prix Goncourt 2019. Die Kritiker feierten ihn als Schriftsteller, der den lesenden Bürgern der Oberschicht das Leben der Unterschicht in Frankreich nahe bringt. Deshalb und weil Kritiker immer nur den Inhalt besprechen, selten bis gar nicht die Ausführung, die Herangehensweise an das Thema, herrscht ganz allgemein Begeisterung über diesen Roman.

Nicolas Mathieu erzählt in vier Abschnitten (beginnend 1992) das Leben zweier Jugendlichen aus Frankreich. Anthonys Vater hat wie fast alle Väter des fiktiven Ortes Heillange nahe bei der Grenze zu Luxemburg in der Schwerindustrie gearbeitet. Als die Anlagen geschlossen wurden, versanken er und all die anderen Väter – und später ihre Kinder – in stumpfsinniges Dahinleben, betäubten sich mit Alkohol, die Kinder schon früh mit Drogen. Hacine, dessen Familie aus Marokko stammt, dealt und findet sich toll bestätigt, wenn er mit seinem Motorrad mit mehr als hundertfünfzig Sachen durch die Gegend braust. Dennoch – den beiden und allen anderen Jugendlichen ist stinkfad. Die Schule ist ein no-go. Das Wort Arbeit treibt ihnen die Kotze hoch, vor allem, weil sie an ihren Vätern miterlebt haben, wie sie die Menschen einst ausgelaugt und dann halb kaputt entlassen hat.

Aus Kindern werden Jugendliche und nichts ändert sich, außer dass heimlicher Sex zum einzig erstrebenswerten Vergnügen wird. Doch auch der rettet sie nicht vor Depression, Aggression, Verzweiflung, wie einst ihre Väter. Im vierten und letzten Teil (!998), übertitelt: „will survive“ weiß der Leser bereits, dass ihn nichts Neues erwartet. Und da liegt die Crux dieses Romans. Denn alle vier Abschnitte laufen gleich ab, immer in ähnlicher „Konversation“: „Scheiße..Was machen wir? -Keine Ahnung“. Nach diesem Dialog folgt dann eine genaue Beschriebung diverser, immer gleich ablaufender Aktivitäten, die da sind: Herumstehen, Bier, Wodka oder sonst irgendwas trinken, sich Drogen einwerfen, manchmal irgenwas stehlen, auf Moped oder Motorrad durch die Gegend brausen. Klar, in dieser vergessenen Ecke Frankreichs (oder irgendeines anderen Landes) haben Väter und später die Kinder keine Persprektive. Aber den Lesern immer nur ein Thema in zahlreichen Varianten einhämmern – das nenne ich: Seitenschinderei und Leserquälerei. Denn das Thema nützt sich ab, das Interesse weiter zu lesen, schwindet. Wie so oft, gilt auch hier: Etwas weinger wäre mehr.

Schade, denn der Autor hat durchaus ein Ohr für alles, was „die Kinder später“ – also heutige Jugendliche – angeht. Er weiß, wie sehr die Wirtschaft und das politische System ausbeuterisch sind. Er weiß um die Probleme der so genannten „bildungsfernen“ (was für ein arrogantes Wort!) Schichten. Und er hütet sich vor Moralpredigten.

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Tolstoi: Die Kzeuzersonate. Gelesen von Joseph Lorenz.Theater Akzent

Atemlos saßen wir alle und hörten und erlebten intensiv, wie ein Mensch zum Mörder wird. Am Ende des Abend wussten wir: Wir hatten gerade an einem Theaterereignis teilhaben dürfen, wie es nur ganz selten eintritt!

In einer theatralisch perfekt angelegten Klimax ließ Joseph Lorenz die Erzählung ablaufen: Im Zugateil wird Belangloses geredet, bis eine Dame von Liebe säuselt und ein anderer, bisher stummer Mitreisender. sich spöttisch über dieses oberflächliche Gerede äußert. In der Einsamkeit der nächtlichen Zugfahrt erzählt dieser dann dem jüngeren Mitreisenden, der als einziger von der Gesellschaft die Reise mit ihm fortsetzt, seine Geschichte. Wie und warum er zum Mörder seiner Frau wurde. Langsam lässt Joseph Lorenz die Spannung ansteigen. Lässt vor uns einen jungen Schnösel entstehen, der sich die Frauen nach seinen sexuellen Gelüsten aussucht und nicht weiter nachdenkt, was in ihnen vorgeht. „Laster nach Maß“, nennt er es. Zynisch, arrogant, in totaler Selbstüberschützung lässt er diesen Frauenverächter in die Ehe gehen. Schon bald langweilt sich das Paar, findet keinen Gesprächsstoff mehr. Aus gegenseitiger Verachtung wird Hass. Den transportiert Joseph Lorenz in das Auditorium. Fast bekommt man die Gänsehaut, wenn er diese abgrundtiefe Abneigung spielt, mit allem: Gesten, Mimik, mit der Modulation seiner Stimme. Dass er an einer Stimmbandentzündung leidet und sich deswegen ansagen ließ, hat er wohl vergessen, so intensiv ist er in der Rolle drinnen. Wir erleben die Qualen und den Hass, den er seiner Frau bei den alltäglichen Kleinigkeiten (Tee trinken, die Haare aus der Stirn streichen..) entgegenbringt. (Wie die Frau diese Ehe erlebt, lässt Tolstoi unerwähnt) Am Höhepunkt seines irrsinnigen Hasses glaubt er, auf einen Geiger, den er bewusst als möglichen Gegenspieler in seine Haus einlädt, eifersüchtig sein zu müssen. Qualen erlebt er, wenn seine Frau und der vermeintliche Liebhaber die Kreuzersonate spielen. Die Musik holt Gefühle aus ihm hervor, die er nicht wahrhaben will. In wahnvollem Hass und in unerträglicher Wut ersticht er seine Frau und glaubt sich im Moment der Tat im vollen Recht. Im Auditorium ist es totenstill geworden, als wäre man tatsächlich Zeuge eines Mordes geworden. Erschöpft bricht der Mörder zusammen – und man bangt um ihn, den Erzähler, den Mann da vorne auf der Bühne. Ob er aus diesen Gefühlsausbrüchen in die Realität zurückfindet? Sich als Schauspieler, als Joseph Lorenz wieder findet, aus der Rolle heraussteigt? Bange Momente vergehen, dann wird der Erzähler ruhig, zieht eine Decke über den Kopf und schläft ein. Dankbar dafür, dass ihm sein Gegenüber die ganze Nacht zugehört hat. Dankbar für die zarte Geste, mit der der Mitreisende ihm über die Schulter streicht und sich verabschiedet.

Tolstois Novelle „Die Kreuzersonate“ ist eine subtile und irritierende Seelenanylyse, eine gnadenlose Abrechnung eines Mannes mit sich selbst, eines Mannes, der das Gefühl der Liebe nicht kennt, aus gesellschaftlicher Konvention heraus, weil man halt mit 30 heiratet, ein Frau ehelicht, die „seinen Ansprüchen gerecht wird“. Frauen sind für ihn und den Großteil der Männer Objekte, nur dazu da, die sexuelle Lust zu stillen. „Liebe“ ist ein leerer Begriff, von Romantikern geschaffen. Der Gedanke der Emanzipation ist in den Köpfen dieser Generation noch nicht geboren. So schildert Tolstoi die russische Gesellschaft um 1890. Letztendlich aber ist die Novelle eine Abrechnung mit der Selbstherrlichkeit des Mannes, der sich das Recht herausnimmt, über die Frau als Objekt zu verfügen.Dass Tolstoi den ERzähler schlussendlich vor seiner eigenen Tat erschaudern lässt, zeigt aber nur, dass er mit der Moral dieser Zeit ins Gericht geht. Über die Frau verliert er kein Wort. Sie bleibt, was sie zu Beginn der Erzählung war: Ein schönes Objekt, das es besser zu meiden gilt, will Mann nicht in den Abgrund unkontrollierter Gefühle gezogen werden.

Als Joseph Lorenz die Erzählung beendet und das Buch zuschlägt, kehren alle im Zuschauerraum langsam aus dem Albtraum eines Mordes in die nüchterne Wirklichkeit des Theaterraumes zürück. Langer Applaus dankt ihm für diesen intensiven Abend.

Am 28. Mai 2020 wird Joseph Lorenz „Amok“ von Stefan Zweig im Akzent lesen.

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Caravaggio&Bernini. Kunsthistorisches Museum

Bild: Caravaggio: Johannes der Täufer

Eine höchst sinnliche, erotische, ja sogar theatralische Ausstellung!

War die Kunst bis ca. 1600 von einer kühlen, distanzierten Darstellung des Heiligen und ihrer Akteure, der Heiligen und Märtyrer, geprägt, so setzen Caravaggio und der um zwei Jahrzehnte jüngere Bernini auf Emotionen. Dramatische Darstellungen der Leidenden, Leidenschaften, wie sie vorher noch nie gezeigt wurden, charakterisieren das Werk dieser beiden genialen Künstler.

Caravaggios Leben war eine einzige emotionelle Hochschaubahn. In seinem kurzen Leben (1571-1610) bestimmte sein jähzorniger, rebellischer Charakter seinen Werdegang: In Rom war er bald der angesagte Maler. Als er in einem Streit seinen Widersacher tötete, musste er nach Malta fliehen, wo er ebenfalls in Raufhändel verwickelt wurde. Er starb mit 39 Jahren. Seine Vor-Liebe für schöne junge Männer spiegelt sich deutlich in seinen Werken wieder. Zum Beispiel in der Darstellung des Johannes des Täufers. Den haben sich viele wohl anders vorgestellt: Caravaggio malt ihn als verführerischen Jüngling, der seine Nacktheit und Lebens-Lust ganz offen zur Schau stellt. Zärtlich und provokant liebkost er den Widder.Sein Blick ist auf den Betrachter gerichtet und fordert ihn auf, die erotische Freude mit ihm zu teilen.

Bernini: Medusa. Foto:Andrea Jemolo. Sovrintnedenza Capitolina

Gian Lorenzo Bernini (1598-1680) war ein weltgewandter Künstler, der seine Kontakte zur Kirche und den Fürsten geschickt auszunutzen wusste. Seine Theatralik ist subtiler als die Caravaggios. Was am Beispiel der Medusa deutlich wird: Ihr Leiden oder besser ihr Wissen um das nahende Ende (Perseus wird sie enthaupten) ist nur an dem leicht geöffneten Mund und den schmerzvoll zusammengezogenen Augenbrauen zu erahnen. Bernini war der Bildhauer der Dezenz, des Feingefühls.

Zwei nützliche Hinweise für Besucher der Ausstellung: Gleich beim Eingang zur Ausstellung, nach der Karten- und Timeslotkontrolle, findet man kleine Heftchen in Deutsch und Englisch zur freien Entnahme. Sie enthalten die gedruckte Version der Audioguides. Da der Druck klein ist und die Räume abgedunkelt sind, empfiehlt sich dennoch ein Audioguide. Allein schon wegen der sensiblen, um nicht zu sagen erotischen Stimme von Martin Löw Cadona, der die Texte zu den männlichen Darstellungen liest. Zu Hause kann man dann in Ruhe nochmals die Interpretationstexte nachlesen.

Wer die Ausstellung ohne die übliche Besucherflut genießen will, dem seien die Tage Do, Fr, Sa, So empfohlen, und zwar die Zeit nach 18h. Denn da verlassen die meisten Besucher die Ausstellung. Die Caravaggio-Bernini – Ausstellung bleibt jedoch an diesen Tagen bis 21h geöffnet. Die Ausstellung ist noch bis 19. Jänner 2020 zu sehen.

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Edward Albee: Wer hat Angst vor Virginia Wolf? Burgtheater

Aus dem Englischen von Pinkas Braun, Regie Martin Kusej, Bühne und Kostüme Jessica Rockstroh. Eine Übernahme aus dem Residenztheater München.

Am Ende dieser Bühnenschlacht ist so mancher Zuschauer wahrscheinlich froh, als Single durchs Leben zu gehen..

Martha (Bibiana Beglau) und George (Norman Hacker) ertränken ihren Lebens- und Eheüberdruss in Whisky. Suchen den anderen mit Verbalgemeinheiten zu verletzen. Als das alles nicht genug an Reiz ist, lädt Martha das Ehepaar Nick (Johannes Zirner) und Honey (Elma Stefania Agustsdottir sprang für Nora Buzalka ein und machte ihre Sache ausgesprochen gut) ein. Das Spiel kann beginnen (1. Akt groß überschrieben: Fun and Games). Nun gilt es jeder gegen jeden – nur die hilflos liebenswürdige Honey tut da nicht mit, wird aber dennoch hineingezogen. Es geht darum, den anderen zu demütigen, zu vernichten. Um ihn zur Weißglut zu reizen, fickt Martha ganz ungeniert vor Georges Augen mit Nick. Bibiana Beglau geht ja der Ruf voraus, dass sie ohne Wenn und Aber an die Grenzen der Darstellungsmöglichkeiten geht. So auch in diesen Sexszenen. Aus Rache demontiert George das Lügengebäude, das sich beide aufgebaut haben: Er schreit ihr ins Gesicht, dass es keinen Sohn gibt, dass sie beide ihn nur erfunden haben. Diese Art von Lebenslüge nimmt man den beiden nicht ab, dazu wirken sie zu intelligent. Da gab es bessere Autoren, die dieses Thema zentral behandelten, z.B. Tennessee Williams.

Inzwischen sind auch Nick und Honey am Ende ihrer körperlichen und geistigen Kräfte und verlassen die Szene. Übrig bleibt ein Ehepaar, das sich die Masken vom Gesicht gerissen hat, dahinter ist nichts außer Leere, die mit Whisky gefüllt wird. Als Edward Albee in den späten 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts dieses Stück schrieb, waren Alkohol und Drogen das große Porblem. Heute sind es eher die Medikamentensucht und ganz andere Drogen -härtere als damals und weit lebensgefährlichere. Zu diesem Thema schrieben T.C. Boyle den Roman „Das Licht“ und Salman Rushdie „Quijotte“.

Alles spielt sich vor einer grellweißen Wand ab. Im Laufe des Abends verstärkt sich immer mehr der Eindruck, einer hochexplosiven psychiatrischen Sitzung in einer Klinik beizuwohnen. Wie sie in den 70er Jahren praktiziert wurden: Man schrie sich an, heulte, biss, kratzte, schlug zu. Trieb das Spiel wie einen exorzistischen Akt. Danach sollte – so dachte man – eine Art Läuterung, Katharsis eintreten. Die blieb allerdings an diesem Abend auf der Bühne und im Publikum aus. Man war froh, als die Hassaktionen zu Ende waren. Da die Akteure immer auf höchster Reizstufe agieren mussten, trat besonders im 2. Akt (Walpurgisnacht betitelt) eine gewisse Ermüdung ein. Andauernde Klimax ist weder im Leben noch auf der Bühne bekömmlich..

Der Applaus war freundlich, aber endenwollend. http://www.burgtheater.at

Stanislaw Moniuszko: Halka. Theater an der Wien

Was für ein Glücksfall! Eine Oper, in der die Musik, die Stimmen, die Inszenierung – einfach alles stimmt! Zu Recht jubelte das Publikum! Ein Abend, wie man ihn schon lange nicht mehr in Wien erlebte! Die Frage stellt sich: Warum bringt die Staatsoper so eine Inszenierung nicht auf die Wege?

Eine Koproduktion mit dem Warschauer Teatr Wielki.

Wenn sich ein Welttenor wie Piotr Beczala für dieses WErk einsetzt und noch dazu mitwirkt, dann greift das Theater an der Wien zu.

Mariusz Trelinski versetzt die Handlung in die Düsternis des Kommunismus der 1970 er Jahre. Statt der arroganten polnischen Adeligen lässt er Neureiche auftreten, wie sie überall in der WElt zu erleben sind. Man bereitet die Hochzeit zwischen Zofia (Natalia Kawalek), die Tochter des reichen Stolnik (Alexey Tikhomirov) mit Janusz (Tomasz Koniecny) vor. Doch Janusz hat ein Problem: Er hat dem Zimmermädchen Halka (Corinne Winters) eine Liebe vorgegaukelt und sie erwartet ein Kind. Das kann nicht gut ausgehen. Halka hört nicht auf den sie treu liebenden Jontek (Piotr Beczala in Bestform) und begeht Selbstmord.

Eine Dreigroschentragödie?! Vielleicht, aber sie geht ans Herz und an die Nieren. Moniuszko schrieb wunderbare Arien für die großen Rollen und herrliche Chorszenen, die vom Schönberg Chor mit Bravour eingelöst wurden.- Unter dem Dirigenten Lukasz Borowicz ließ das ORF Radio Symphonieorchester die Musik aufblühen, aber nie überborden.

Noch bis 31. Dezember 2019.

http://www.theater-wien.at

Kathy Page: All unsere Jahre. Wagenbach Verlag

Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender.

Harrys Mutter kann sich glücklich schätzen: Ihr Mann schlägt sie nicht, ist freundlich. Aber ihr fehlt das Salz des Lebens – die Zärtlichkeit, die Überraschungen.

Harry wächst zu einem sensiblen Jungen heran. Sein Lehrer lässt ihn Gedichte auswendig lernen, macht ihn für die Schönheiten der Sprache empfänglich. Dann lernt Hyyry Evelyn kennen und ist sofort von ihr fasziniert. Sie werden ein Paar, heiraten mitten im (Zweiten) Weltkrieg. Er schreibt ihr von der Front seitenlange Sehnsuchtsbriefe, will sie nicht mit Kriegsgreueln belasten. Als er aus dem Krieg unversehrt zurückkommt, hat er nur eines im Sinn: Evelyn glücklich zu machen. Nie spricht er vom Krieg. Sondern von dem, was sie haben werden. Seinen beiden Töchtern ist er ebenso ein liebevoller Vater wie seiner Frau ein nimmermüder, Liebe spendender Ehemann. Aber Evelyn, die Nüchterne, will Äußeres: Ansehen, ein Haus, Garten – eben alles, was zum Mittelstand dazu gehört. Um all das zu realisieren, arbeitet er Stunden um Stunden, viele Überstunden in einem düsteren Büro. Lieber wäre er draußen in der Natur. Den Garten zu pflegen muss als Ersatz für seine Sehnsüchte genügen. Obwohl Evelyn im Laufe der Jahre immer herrischer und egoistischer wird, liebt er sie, sucht alle ihre Wünsche zu erfüllen. Als er an Demenz erkrankt, schiebt sie ihn ins Altersheim ab. Als sie unerwartet stirbt, flüchtet er ins Vergessen und träumt sich zurück in eine Zeit mit ihr, als sie miteinander glücklich waren.

Die Inhaltsangabe liest sich wie ein Dreigroschenroman. Aber Kathy Page gelingt es, das Alltägliche mit Poesie einzuhüllen und zu einem wundervollen Roman über die Liebe zu formen. Jenseits aller Klischees.

Zwar gibt es so einen Mann/Ehemann wie Harry einer ist, in der Realität kaum. Den müsste man einrahmen! Aber nehmen wir ihn als Figur ernst: Weil Harry bedingungslos liebt, kann er all die Bedrängnisse des Alltags ausblenden, sie zu Wunscherfüllungen umformen. Doch trotz der bedingungslosen Liebe steigt dennoch in ihm die Frage auf: Was waren all die Jahre? Wozu diese endlosen Tage im Büro vergeudet? Für Ziele, die nicht wirklich die seinen waren. Und im Leser steigt die Frage auf: Kann bedingungslose Liebe den anderen glücklich machen? – Die Antwort: eher nur den Liebenden, nicht den, der sich geliebt fühlt. Allzu schnell wird Evelyn vom Alltag und den täglichen Begehrlichkeiten, die es zu erfüllen gilt, überschwemmt. Obwohl sich beide in der Zeit ihrer jungen Liebe schworen, den Alltag nie bestimmend werden zu lassen.

Kathy Page ist eine lebenserfahrene Frau, weiß Charaktere wunderbar zu zeichnen, gerät nie in die Nähe von Klischees oder Kitsch. Am besten, man genießt diesen Roman als das was er ist: Ein Bekenntnis zur Liebe.

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Aus dem Englischen von Catherine Hornung und Dieter Fuchs

Es ist schon ein denkwürdiger Zufall, dass ich ausgerechnet am 12. Dezember 2019, am Tag, an dem die Briten wählen und sich alles über den Brexit entscheidet, das Buch zu Ende gelesen habe.

Es ist eine heitere, bittere, leicht ironische Geschichte über die diversen Gründe, wie es zum Ruf nach dem Austritt aus der EU kam. Jonathan Coe wählt seine Figuren aus der Mittelschicht: Journalisten, Schriftsteller, Universitätsprofessoren – alle gut situiert und etwa 40 und älter – und deren erwachsenen Kinder. Der Titel „Middle England“ steht für die Midlands, eine Region der Gegensätze: Einserseits Städte mit Ex-Industriewüsten wie etwa Grimbsby, ehemals größter Fischereihafen der Welt, heute eine vor sich hin rottende Stadt. Neben den Industrieruinen liebliche Landschaften mit Agrarland. Das Image der Midlands ist angeschlagen – hier wohnen die meisten Brexitbewohner. Die vielen aus der EU eingereisten und längst eingebürgerten Bewohner wurden seit der Krise 2008-2010 beschuldigt, an den wirtschftlichen Problemen schuld zu sein. Argument: Es sind zu viele, sie nehmen uns die Arbeitsplätze weg. Daher her mit dem Brexit. Die Ironie dabei ist: Die Midlands werden am meisten unter dem Brexit leiden.

Die erste Hälfte des Romans füllen Zustandsbeschreibungen von typisch englischen Orten, wie Clubs, Häuser, Landschaften, in denen der Autor seine Figuren ansiedelt. Beschreibungen sind ja en vogue in der Literatur der Gegenwart. Englandfans mögen die oft über eine Seite und mehr gehenden Beschreibungen entzücken. Wer sich nicht dazu zählt, wird sich sehr rasch langweilen.

Ab der Hälfte kommt die Geschichte in Fahrt, die Protagonisten Farbe. Motive für den Austritt aus der EU werden mit Personen verknüpft, denen ein eher unkritisches Verhalten zugeschrieben wird. Geschickt schildert Jonathan Coe den feinen Riss, der unmerklich durch die Gesellschaft geht, sie in Brexitbefürworter und -gegner spaltet.Motivationen, für den Brexit zu stimmen, werden angedeutet: Angst, dass Ausländer Jobs wegnehmen, Aversion im allgemeinen gegen die EU – man will sich nichts vorschreiben lassen…alles überaus bekannte Vorbehalte. Am Ende lässt der Autor den Schriftsteller und dessen Schwester nach Südfrankreich auswandern. Sie eröffnen dort eine „Schreibwerkstatt“. Ob das ohne Kentnisse der Landessprache funktionieren wird, ist mehr als fraglich. Ein sympathisch unpathetischer, leicht ironischer Schluss.

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Johann Nestroy: Einen Jux will er sich machen. Theater in der Josefstadt.

Endlich! Endlich! Ein Nestroy, der klug und doch nicht übergscheit inszeniert ist. Will sagen, dass der Regisseur Stephan Müller, dem das Theater in der Josefstadt zuletzt die spannende Inszenierung vom „Besuch der alten Dame“ verdankt, auch diesmal mit seiner unverkennbaren Handschrift das Stück geprägt hat:

Gemeinsam mit der Bühnenbildnerin Sophie Lux und den Kostümen von Birgit Hutter schuf er ein für Nestroy untypisches Ambiente: Zunächst rennen die Figuren gegen ihre eigene Wand, nur hin und wieder tut sich ein Fensterchen auf. Bis sie dann in die „weite WElt“ der Stadt kommen, wo sich das Abenteuer auftut und die Welt plötzlich offen und die Kostüme der Damen hell und bunt werden. Vor allem aber erarbeitet Stephan Müller gemeinsam mit der Choreographin Daniela Mühlbauer ein Bewegungskonzept, das den Witz und die Ironie, die den Nestroyschen Figuren innewohnt, betont: Die Frauen bewegen sich wie Puppen, gelenkt von starren Benimmregeln. Die Männer locker, allzu sicher ihrer selbst, sich an Beweglichkeit überbietend, wenn es darum geht, Geld zu scheffeln, andere übers Ohr zu hauen.

Was das Ensemble vor allem kann: sprechen! Das ist am Theater von heute nicht mehr selbstverständlich. Schon gar nicht, Nestroy sprechen! Denn die philosophischen Sprudelein eines Weinberl muss man erst einmal sprachlich bewältigen. Und Johannes Krisch – neu an der Josefstadt – ist nicht nur ein wortgewandter, sondern auch ein „körpergewandter“ Nestroy-Weinberl. Wie er jedes Wort mit Gesten, Sprüngen oder Körperdrehungen zu untersteichen weiß, das muss ihm einemal erst einer nachmachen! Dass die der aktuellen Politik angepassten Couplets, die ihm von Thomas Artz verordnet werden, nicht gerade geistsprühend sind, dafür kann er nichts!

Sein Gegenspieler ist Zangler, ein Krämer, wie er im Nestroy-Büchl steht: Mit Robert Joseph Bartl eine Idealbesetzung: Groß, schwer, mit zusätzlichen Fettpölstern ausgestattet, überragt er alle. Die Rolle des dummen Onkels, der von seinem Mündel an der Nase herumgeführt wird, ist ihm auf den Leib geschrieben. Als optisches Gegengewicht zu dem dürren Weinberl – perfekt.

Damen dürfen auch mitspielen – und wie! Das Duo Madame Knorr (köstlich Martina Stilp) und ihre Freundin Frau von Fischer (ebenso hinterlistig und frivol wie Madame Knorr: Alexandra Krismer) sind unschlagbar in ihren grellbunten Kleidern. Bei Erregung und Bedarf kann der Reifrock hochgezogen werden und den Blick auf näckische Rüschenunterwäsche freigeben. Selbst die Nebenrollen sind brillant besetzt, etwa Elfriede Schüsseleder als Frau Gertrud oder dieselbe als Fräulein von Blumenblatt.

Fazit: Ein Theaterabend, den man genießen kann. Ein Labsal nach einigen eher qualvoll erlebten Inszenierungen, die der neue Burgdirektor uns beschert.

Ein Tipp: Über die Aktualität des Stückes liest man Erhellendes im Programm! Hier ist Klartext geschrieben.

http://www.josefstadt.org

Richard Teschners Figurenspiel. Theatermuseum Wien

„Welch eine Oase in der Wahnsinnsweihnachtsstadt Wien!“ So begrüßt Angela Sixt, eine der vier Puppenspielerinnen das Publikum. Wer sich vielleicht gerade durch den Adventmarkt amKarlsplatz oder am Rathausplatz durchgedrängt hat, der nickt verständnisvoll. Das Museum wird kaum von Adventtouristen heimgesucht. Liebhaber des Balletts und des Theaters kennen natürlich diesen Ort der Beschaulichkeit.

Richard Teschner

Nach einer ausführlichen Besichtigung der aktuellen Ausstellung „Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne“ betritt man den vielleicht allerkleinsten Theaterraum Wiens, wenn nicht sogar Österreichs, wenn nicht Europas! Ein Theaterzimmerchen im reinsten Jugendtil: Der wundervolle Jugendstilluster wirft ein mattes Licht auf die Vitrinen aus den Wiener Werkstätten. In ihnen lagern die Puppen des vielbegabten Richard Teschner (1879-1948). Er war ein Allroundgenie: Maler, Grafiker, Bildhauer, Puppenbauer und Pupenspieler. Letzteres mit intensiver Leidenschaft.Als er die Tochter des K&K Hoftischlermeisters Paulick heiratete, verbrachte er die Sommerfrische mit ihr in der väterlichen Villa am Attersee, wo auch Klimt, Emilie Flöge und viele Künstler der Jahrhundertwende verkehrten. Während des Aufenthaltes in Amsterdam und Den Haag lernte er die indonessichen Wayang-Puppen und die Marionetten aus Bali kennen. Davon beeinflusst schuf Richard Teschner seine Figuren. Mit Holzstäben werden Kopf, Hände und Beine bewegt. „Ich habe ihnen nie ein Wort, und wäre es von Goethe selbst, in den hölzernen Mund gelegt“, soll er gesagt haben.

Die Lebens- Uhr und Der Sonnentanz

Hinter einem Rundspiegel aus geölbtem Glas bewegen sich laut- und sprachlos die zarten Figuren. Dazu ertönt leise Musik. Man muss sehr konzentriet zusehen, um die kleinen Bewegungen der Puppen zu verstehen.

Das Spiel beginnt: Vor der Darstellung der astronomischen Rathausuhr in Prag hockt der Tod, in nonnenartiges Gewand gehüllt. Er wartet auf Opfer: Dem Bettler schenkt er weitere Lebenszeit, der Narr foppt ihn. den armen Gelehrten jedoch fällt er mit der Sense, die Mutter, die am Leben verzweifelt und ihm ihr Kind hinreicht, überlässt er einem jungen Ritter. Der Tod als Richter, als Tröster auch.

Auf einer goldenen Kugel tanzt der Sonnengott, der zugleich die vier Jahreszeiten und die vier Lebensalter symbolisiert.

Diese beiden Spielminiaturen werden von zarter Musik begleitet, manchmal Flöte mit Gamelaninstrumenten, dann wieder Klavier. Für eine kurze Stunde vergisst man Hektik und Sorgen, glaubt sich im Kreis von Gamelanspielern in Bali oder Java.

Bis 23. Dezember ist das „Weihnachtsspiel“ zu sehen. Ein wichtiger Tipp: Kommen Sie früh genug, um sich einen Platz in der 1. oder 2. Reihe zu sichern. Denn in der 5. Reihe sind die Feinheiten der Figuren auch für Normalsichtige nur schwer auszumachen.

http://www.theatermuseum.at

Marie Brunntaler: Das einfache Leben. Eisele Verlag

Was für ein Lesegenuss! Nachdem ich den Roman von A. Lehner“ Vater unser“ fertig gelesen hatte, schwor ich mir, jetzt lange keinen „Debütroman“ von jungen Autoren und Autorinnen in die Hand zu nehmen. Ja, ich wollte sogar eine Lesepause, wenn nicht gar eine Leseentziehungskur machen. Denn was ich in der letzten Zeit so an Neuerscheinungen, die alle vom Feuilleton hoch gelobt wurden, in die Hand bekam, war anstrengend, ekelerrend (Lehner, Vater unser) und alles andere als ein Lesegenuss.

Durch den Roman von Marie Brunntaler genas ich sehr schnell von meiner vorübergehenden Buchphobie! Ich durfte wieder in einen Roman hineinfallen, mich gegen Abend auf die Lektüre freuen! Gerade weil hier eine Autorin keine „Feuilletonlorbeeren “ einheimsen, sondern einfach über ein einfaches Leben schreiben will, überzeugte sie mich . Mit solidem ERzählstil, den manche wahrscheinlich altmodisch finden, beschreibt sie den Lebensweg zweier Schwestern, die in dem entlegenen Bergdorf Dachsberg im Südschwarzwald aufwachsen, als junge Frauen draußen in der Welt des Wirtschaftswunders ihr Glück versuchen, aber scheitern. Beide kehren als reife Frauen in ihr Dorf zurück. Nun stellt sich die Frage: Was tun mit dem Leben? Da hat Elisabeth, die tatkräftigere der beiden, die Idee, einen Rosengarten zu pflanzen. Auf 1000 m Höhe und bei diesen strengen Wintern und den trockenen Sommern! Alle schütteln den Kopf.Zunächst aucb die Schwester Adele. Doch bald überzeugt Elisabeth mit ihrer Ausdauer und Unerschrockenheit alle. Der Rosengarten gedeiht!

Brunntaler schildert kein Naturwunder, kein Märchen. Sie weiß, wovon sie erzählt, kennt die Härten des bäuerlichen Lebens am eigenen Leib. Den Rosengarten in Dachsberg gibt es zwar nicht, wohl aber in Nöggenschwiel. Dort züchtet man erfolgreich in 700 m Höhe die herrlichsten Duftrosen. Mag sein, dass diese Gärten als Ideengeber für Bruntaler fungierten.

Das beste Buch an grauen Wintertagen!

http://www.eisele-verlag.de

Sasa Stanisic, Herkunft. Verlag Luchterhand

Sasa Stanisic wurde 1978 in Visegrad, damals Jugoslawien, heute Bosnien und Herzegowina geboren. 1992 mussten seine Eltern und er bei Ausbruch des Jugoslawienkrieges auswandern. In dem Buch „Herkunft“ geht es tatsächlich um seine Wurzeln, das alte Dorf in den Bergen, das nur mehr zwölf Bewohner hat, um seine Großeltern, vor allem um seine Großmutter, die im Alter dement ist und in der Vergangenheit lebt. Doch es geht vor allem um ihn, den 14-jährigen Jungen, der sich als Migrant in Heidelberg zurecht finden muss.

Dass Sasa Stanisic auf Deutsch schreibt, ist seinem geduldigen Lehrer zu verdanken, der ihn ermunterte, Gedichte nicht nur in seiner Heimatsprache zu schreiben. Dass er mit der deutschen Sprache spielerisch, leichtfüßig, poetisch oder auch „cool“, ganz wie das Thema es braucht, umgehen kann, verdankt er aber vor allem seiner Offenheit gegenüber dem Leben als Migrant in Deutschland. Da ist kein Funken Wehleidigkeit zu spüren. Keine Klagen über die Schwierigkeiten, sich als „Fremder“, „Eingewandeter“ in der neuen Heimat zu behaupten. Eher Neugier und vor allem trotz der Schwierigkeiten Freude am Leben, am Lernen, Freude daran, Schwierigkeiten zu meistern. Auch keine Klagen darüber, dass seine Eltern als gut Ausgebildete in Deutschland nun weit unter ihrem Niveau sich als billige Lohnarbeiter verdingen. Das wird gesagt, aber ganz jammer- und vorwurfsfrei.

Das Wertvollste an diesem Buch aber ist: Seine Versöhnungsmacht. Da wird nicht von den „machtgierigen Serben“ oder den „bösen Kroaten“ geredet. Auch kein „Gutmenschgerede“ von Verzeihen. Sondern Sasa Stanisic zeigt den einzig möglichen Weg auf, den Hass zwischen den Menschen zu begraben: Hingehen, anschauen, wo die Wurzeln sind, daraufkommen, dass Serben, Kroaten und Bosniaken alle einmal nebeneinander exisitieren konnten, ohne sich die Schädel einzuschlagen und die Dörfer niederzubrennen. Nach dem Erinnern kommt nicht die große, pathetische Versöhnungsgeste oder ein Humanitätsgelaber, sondern der Imperativ: Lebe das Leben, so gut du kannst und bleibe offen und neugierig.

Sasa Stanisic. Foto: Katja Sämann

https://www.randomhouse.de/Verlag/Luchterhand-Literaturverlag/24000.rhd

Maria Happel und TROI – Lesung mit musikalischer Begleitung. Wiener Konzerthaus

Nach so vielen bedrückenden Theaterabenden im Umfeld der Burg („Die Bakchen“, Die Hermannsschlacht“ oder „Die Vögel“) geht man gern zu Maria Happel, um ein wenig das strapazierte Theaterherz zu pflegen. Wenn diese Vollblutschauspielerin mit dem Temperament einer Dampfmaschine, die gerade den Berg hinabsaust, ihren Weihnachtshumor über das Pulikum ausgießt, bleibt niemand unberührt. Man weiß, wenn die Happel einen Adventabend vorbereitet, da ist Schmunzeln mit dabei, Lachen, nachdenklich den Kopf senken, eine ganz kleine Träne im Knopfloch – alles schwingt mit, alles geht „wia gschmiad“ in die Sseele.

Wenn dazu noch das Troi – Ensemble flotte bis einschmeichelnde Melodien spielt, dann herrscht Hochstimmung im Saal.

TROI-BAND, Foto: Stephan Mussil

Es sind leicht schwingende Texte, die Maria Happel auswählte. Alltagsituationen rund um den Weihnachtsstress, überspitzt und treffend formuliert. Das junge Paar einigt sich nicht: Sie will eine meterhohe Silbertanne, er eine kleine Fichte. Sie will viel Schmuck, er hätte es lieber spartanisch. Am Ende steht die hohe Silbertanne ganz ohne Schmuck im Zimmer. (Christine Nöstlinger). Oder die Geschichte vom Weihnachtskarpfen, der als geliebter Sepperl nicht geschlachtet wird. (Peter Meissner) Oder der skurrile Text von Hugo Wiener vom singenden Weihnachtsbillet, das ein ganzes Jahr lang „Stille Nacht“ unaufhörlich herunterspult. Am Schluss las Happel den berührenden Brief Albert Einsteins an seine Tochter über die Liebe als wichigste Kraft im All und auf Erden. Als Abschluss wurde das Publikum zum Mitsingen aufgefordert: Mit dem Lied „Es wird scho glei dumpa“ wurde das Licht heruntergedimmt und das unwiederrufliche Ende des Abends damit angezeigt. Logisch deshalb: Keine Zugabe.

http://www.konzerthaus.at,

http://www.unserewebseite.at

http://www.burgtheater.at/ensemble/maria-happel

Angela Lehner, Vater unser. Hanser Verlag

Dieses Buch muss man wollen -oder auch nicht. Ich gehöre zur“ oder-auch-nicht-Gruppe“. Joachim Meyerhoff zur ersten Gruppe. Ihm gefiel es ausnehmend gut, wie man auf der Rückseite des Covers lesen kann. Auch alle anderen Rezensenten überschlagen sich förmlich vor Begeisterung. Also muss meine Ablehnung wohl mit mir selbst etwas zu tun haben. Ich stehe mit meiner Kritik wieder einmal allein gegen die ehrenwerten Meinungen der Rezensenten da. Damit kann ich leben.

Kurz zum Inhalt: Eva Gruber – ca. 25 Jahre jung – wird von der Polizei in die psychiatrische Klinik am Steinhof eingeliefert. Sie hat damit geprahlt, eine ganze Kindergartengruppe erschossen zu haben. In der Klinik selbst organisiert sie sich bestens, weiß alles und alle für ihre Zwecke zu nützen, inklusive den Therapeuten Dr. Korb. Sie manipuliert auch ihn, wie sie es braucht, erzählt ihm von ihrer schrecklichen Kindheit. Vater hat angeblich sie und ihren jüngeren Bruder vergewaltigt – erzählt sie einmal. Ein andermal tut sie das als „lächerliches und ausgelutschtes Motiv“ ab. Sie will vor allem eines: ihren Bruder Bernhard (Thomas Bernhard und seine Erzählung „Wittgensteins Neffe“ lassen grüßen) aus der Klinik retten, der wegen seiner Magersucht ebenfalls dort stationiert ist. Der aber flüchtet vor seiner Schwester, er will nicht mir ihr in die Heimat Kärnten fahren, „um den Vater zu töten“. Warum der Bruder und sie den Vater töten wollen, ist nicht klar. Weil der Bruder nicht auf ihre Vorschläge eingeht, kidnappt sie ihn einfach, nimmt von einer Angestellten das Auto und organisiert eine abenteuerliche Fahrt in das Heimatdorf. Am Ende liegt Bernhard zu Tode geschwächt an der Schwelle eines Hauses – das Vaterhaus? Lebt der Vater in dem Haus? Ist Bernhard tot? Alles unklar.

Warum?

Warum dieser Roman? Welcher Antrieb steckt dahinter? Hat die Autorin eigene Erfahrungen in der Psychiatrie zu verarbeiten? – Eher nicht, denn dazu ist der Roman zu flapsig, unernst. Dieses Thema der eigenen Krankheit und ihre Bewältigung hat besser und glaubhaft Thomas Melle in seinem Buch „Die Welt im Rücken“ abgehandelt. Angela Lehner scheint es eher um eine Abrechnung gegen alles, was etabliert ist, zu gehen. Diese Eva Gruber opponiert gegen alles und alle, was sich in erster Linie in der Sprache ausdrückt. Fäkalienausdrücke sind die gängige Verständigungsweise. Detailverliebte Schilderungen von grauenhaften Kotzvorgängen des magersüchtigen Bernhard nehmen viel Raum ein. Eines muss man der Autorin lassen: Sie schafft in der Person Eva Gruber eine ambivalente Person, die sich in Eulenspiegelmanier in das Vertrauen des Personals (Therapeut, Manikürin etc…) einschleicht, um sich im selben Moment mit einer Kraftaktion über deren Vertrauensseligkeit zu amüsieren. Wahrscheinlich fallen auch die meisten Leser auf diesen zweifelhaften Charme hinein. Mich ermüdete das Buch.

http://www.hanser-literaturverlage.de

Theater Scala: Elektra

Von Hugo von Hofmannsthal nach Sophokles

Wer in der Burg die „Bakchen“ sah und meinte, für lange Zeit von Antikendramen genug zu haben, der traue sich dennoch in das Theater Scala. Dort spielt unter dem jungen Regisseur Matti Melchinger, der aus der Theater der Jugend-Szene kommt, ein engagiertes Ensemble die „Elektra“ von Hugo von Hofmannsthal. Keine leichte Kost – auch wenn der Abend im Programmheft als „erbauliche Unterhaltung“ angepriesen wird. Das kann nur ironisch gemeint sein.

Denn:

Es geht um Mord, Rache, Blut und wieder Blut. Erbaulich ist da gar nichts. So wie der Resisseur die Schauspieler führt und Sam Machwar die Bühne und Katharina Kappert die Kostüme entwarfen, handelt man an diesem Abend die große Frage der Menschen, die heute gewichtiger denn je ist, ab: Was bringen Rachegelüste? Sind Rache und Vergeltung je ein Mittel gewesen, die Welt zu verstehen, sie zu verbessern? Dass die Welt heute mehr denn je von Rache dirigiert wird, ist Tatsache. Und das Ende des Stückes zeigt das Ergebnis: Blut und Untergang.

Elektra – etwas überzeichnet, aber mit Intensität gespielt von Kim Bormann – hat nur eines im Sinn: Den Mord an ihrem Vater Agamemnon – der übrigens absolut kein Heiliger war, aber das bleibt im Stück unerwähnt – zu rächen. Ihr Bruder Orest soll die Mutter Klytaimnestra und deren Liebhaber Aigisth töten, die Agamemnon gemeinsam im Bad mit dem Beil erschlugen. Das Stück selbst ist klug gebaut: Mit jeder einzelnen Figur muss sich Elektra auseinandersetzen. Mit den Mägden, die sie verhöhnen. Mit der Schwester Chrysothemis, der einzig Vernunftbegabten in diesem Blut- und Rachespiel und von Angela Ahlheim mit der nötigen Glätte und Ruhe gespielt. Dann im Zentrum des Stückes: Die Auseinadersetzung mit der Mutter – großartig in dieser Rolle: Bettina Soriat, die, obwohl sie sich ansagen ließ, alles an diesem Abend gab: Sie war die Mutter, die in Elektra vergeblich eine Tochter sucht, die von Elektra bitter und scharf auf ihre Leidenschaft und Schuld reduziert und angeklagt wird. Versöhnung ist für Elektra ein Hohnwort. Doch auch die Mutter kennt letztendlich keine. Wer wem den Herrscherstab an die Gurgel setzt, bleibt offen.

Zuletzt die Begegnung Elektra-Orest. Sophokles schrieb die Begegnung als einen der großen Höhepunkte im griechischen Drama. Wer einmal diese Szene in altgriechischer Sprache im Theater von Epidaurus sah, der wird sich sein Leben lang an diese Spannung zwischen den beiden Personen erinnern: Ohne ein Wort gehen sie aufeinander zu, misstrauisch zuerst, dann von Moment zu Moment erkennend: hier kommt der Ersehnte, hier spricht die Geliebte – die Schwester. Die intensive Stille war bis in die letzten Ränge zu hören, die Freude zu spüren.

Matti Melchinger verzichtet auf dieses Momentum. Er lässt die beiden in eher rachegeschwängerten Düsternis aufeinander zugehen. Da ist kein Licht, keine Freude. Nur der Wunsch: Mord, Mord. Und Orest – ziemlich wüst gespielt von Felix Krasser – schlägt zu, brüllt, schlachtet und schleppt seine blutigen Opfer eins nach dem anderen, zuerst die Mägde, dann Aigisth und am Schluss Klythaimnestra heraus aus dem Palast und wirft sie auf die Treppen. Dazu tanzt Elektra nach Popmusik von Fritz Rainer einen Triumphtanz. Ein Fanal, das Grausen macht. Das Publikum war ziemlich geschockt, und es dauerte eine Weile, bis die ersten Bravorufe ertönten und der Applaus einsetzte. Allen war klar: Diese Elektra ist kein Wesen, mit dem man Mitleid haben kann, sondern ein blutiger Rachedämon, der die Welt in Krieg und Blut versinken lässt. Eine Ahnung von Kommenden mag durch den Raum gegangen sein.

http://www.theaterzumfuerchten.at

Weitere Termine: 4.12.- 21.12.2019, jeweils Di bis Sa, 19.45h.

Joesph Lorenz, Wolfgang Hübsch und Julia von Sell: Th. Bernhard, Der Ignorant und der Wahnsinnige.Theater Akzent

1972 war die Uraufführung des Stückes bei den Salzburger Festspielen ein Skandal. Nicht so sehr wegen des Inhalts, als wegen des Aufführungsverbotes, das Thomas Bernhard aussprach. Er verlangte am Ende der Aufführung totale Finsternis ohne Notlicht.

2012/2013 wurde es auf der Burg aufgeführt. Als Komödie, ohne Skandal.

Nun also, fast 50 Jahre später, als szenische Lesung im Theater Akzent. War es am Ende total finster? Vielleicht ja, so genau erinnere ich mich nicht. Auch unwichtig! Wichtiger die Frage: Was kann Kunst, die immer wieder punkt- und notengenau repetiert wird, an authentischem Wert liefern? Was erwartet das Publikum von der Sängerin der Königin der Nacht? Nur das hohe C? Nur das Artifizielle in höchstmöglicher Perfektion? Wenn Netrebko heute schon müde und lustlos ihre Arien im Trubadour heruntersingt, das Publikum begeistert applaudiert (muss es ja, denn es hat ja die Karte sauteuer bezahlt), dann wird der ganze Kunstbbetrieb fraglich.

Was heißt Authentizität in der Kunst? Dass der Künstler, die Künstlerin sich jedes Mal, und auch zum zweihundertsen Mal, voll in die Rolle hineinsteigert, sich verausgabt? Wie weit soll und muss Routine akzeptiert werden? Ist Routine noch „Kunst“?

Joseph Lorenz mag sich diese Frage bei der Inszenierung dieses Stückes gestellt haben. Nicht nur dabei, sondern überhaupt. Denn er ist ein Schauspieler, der um das „Authentische“ ringt, der sich in jeder Rolle, in jeder Aufführung voll verausgabt. Zur Erinnerung: In Reichenau als Arzt in „Amok“ oder als Baumeister Solness, um nur zwei von vielen Rollen zu zitieren. Übrigens: Das Publikum wird ihn ab Sommer 2020 in Reichenau schmerzlich vermissen.

Zurück zur szenischen Lesung im Theater Akzent. Ganz auf den Text reduziert, mit nur einem Tisch und zwei Sesseln als Requisite ergießt sich die redundante Redesuada des Doktors – wenn man so will: des Wahnsinnigen – über das Publikum. Da muss dem Text gehörig an seine Struktur gerückt werden! Was Lorenz bestens gelingt. Mit Hochgenuss seziert er verbal die Leichen, holt Gedärme heraus, zerschneidet Herzen, dass es dem Publikum zu grausen beginnt. Dabei setzt Lorenz vor allem Sprache und Mimik ein. Die Gestik bleibt eher reduziert. Dass bei dieser Suada über Sezieren, Kunstbetrieb, Publikum- und Kritikerbeschimpfung dem Publikum keine Sekunde langweilig wird, ist ganz allein Josephh Lorenz und seinem immensen „authentischen Einsatz“ zu verdanken. Hübsch ist Wortspender, allerdings ein wichtiger. Er ist ein enttäuschter Vater, der über die Unzuverlässigkeit seiner Tochter, der Sopranistin, jammert und säuft. Julia von Sell spielt diese geplagte Koloratursängerin, die die Rolle der Königin der Nacht gerade zum 222. Mal gesungen hat und ihrer mehr als überdrüssig ist, sehr „normal“. Zwar ein wenig zickig, wie man es von einem „Star“ erwartet, aber sehr verzweifelt und dem Leben einer viel gefragten, in der Welt umherjoggenden Künstlerin sehr nahe kommend.

Nochmals zur Frage der Wiederholbarkeit der Kunst, des so genanntnen unwiederholbaren „einmaligen Augenblickes“: Warum sieht man diese Lesung nur einmal? Vielleicht wäre eine Wiederholung im Akzent möglich. Oder im Südbahnhotel? Oder im Landestheater Niederösterreich? Leider halt nicht in Reichenau, wo es thematisch sehr gut hinpassen könnte. Denn da spielen die Schauspieler en suite oft zweimal pro Tag. Kunst ist Business!

Viel Applaus und Bravorufe.

http://www.akznet.at

Paulus Hochgatterer und Nikolaus Habjan: Böhm. Burgtheater

Textfassung: Paulus Hochgatterer. Regie, Puppendesign und Puppenbau: Nikolaus Habjan+Marianne Meindl.Regiemitarbeit: Martina Gredler. Bühne:Julius Theodor Semmelmann. Kostüm: Cedric Mpaka, Licht: Thomas Trummer

Wenn Habjan draufsteht, dann sind Puppen drin! Und dann ist Qualität in Text, Spiel und Regie garantiert.

Habjan und Hohgatterer – beide Musikkenner par excellence – taten sich zusammen und schufen gemeinsam die Geschichte des „Nazimitläufers Karl Böhm“, der nie der Nationalsozialistischen Partei angehörte, aber den Kontakt zu Hitler und dessen Entourage eifrig für seine Karriere nützte. Ab 1943 war er Dirketor der Wiener Staatsoper, 1945 wurde er von den Alliierten wegen seiner Nähe zum Nationalsozialistischen Regime entlassen, 1954-1956 wieder eingestellt. Die Republik Österreich ernannte ihn zum Ehrenbürger.

Hochgatterer führt mit einem alten Mann, der sich in seinen wahnhaften Erinnerungen manchmal für den Dirigenten hält, dann wieder sich nur als sein kritischer Fan sieht, ein geschicktes und spannendes Vexierspiel ein. Da wird nicht linear langweilig ein Leben erzählt, da gibt es keine moralischen Zuweisungen. Und auch nur ein überschaubares Repertoire an Figuren, die Karl Böhms Leben begleiten. Man muss kein Musikkenner sein, um die Szenen zu deuten.

Gleich zu Beginn tyrannsiert der Alte im Wahn, Böhm zu sein, ein imaginäres Orchester, wobei die Zuseher in den ersten Reihen kurzerhand als Orchestermitglieder fungieren und sich anschnauzen lassen müssen. – Zum Gaudium des restlichen Publikums. Genial wiederum die Doppelrolle von Habjan als Puppenspieler und als Pfleger des Alten. Wie Nikolaus Habjan überhaupt alle Rollen selbst spielt und spricht. Wie er die Vielfalt der Dialektfärbung von einer Sekunde zur anderen ändert, die Stimme vom alten Mann zur jungen Schwester des Pflegers, zur Primadonna, zum Politbonzen oder zum arroganten Dirigenten Böhm werden lässt, das ist schlichtweg genial. Er managt jeden Umbau auf offener Szene allein, schlüpft in die verschiedensten Rollen, wie etwa in die Böhms als Direktor an der Wiener Oper, oder des Journalisten Karl Löbels und viele andere.

Hinter dem sehr vergnüglichen Abend steckt natürlich mehr als nur das Amusement, die Freude an den verschiedenen Puppen. Hochgatterer und Habjan zeichnen das für die Zeit so typische Bild eines Verdrängers. Karl Böhm hat sich nie als Mitläufer des Nationalsozialismus gesehen, sondern immer nur sein Engagement für die Musik betont. „Wenn das Politische auf Sie zukommt, dann schauen Sie auf die Noten“, sagt er zu Wolfgang Schneiderhahn. Mit keinem Satz lässt Paulus Hochgatterer den Dirigenten schuldig werden oder sich schuldig bekennen. Die Schuldzuweisung passiert nur in der Figur des Alten, und da nur sehr subtil. Etwa, wenn der Alte Böhm fragen möchte, ob er sich in seiner Villa in der Sternwartestraße (arisiert) wohl fühlt. Oder was er im Innersten empfunden hat, wenn er die Partie dirigiert, in der der Graf (Le nozze di Figaro) seine Ehefrau anfleht: Contessa, perdona me! Resigniert senkt der Alte den Kopf – Stille. Nichts wird Böhm in seinem Leben bereut haben. So wird aus Bewunderung Erkennen. Erkennen, dass das musikalische Genie ein menschlicher Versager war. Der Alte stößt die Büste Böhms vom Sockel. Ein markantes, einprägsames Ende.

Langer Applaus und viele Bravos für Nikolaus Habjan.

Eine Übernahme des „Schauspielhaus Graz“:

http://www.schauspielhaus-graz.com

http://www.burgtheater.at

„Ankunft heute. Hedy Lamarr“ Verein Kunstspielerei

Text und Konzept: Beatrice Gleicher. Inszenierung und Dramaturgie: Erhard Pauer, Entwurf und Kostüme: Josef Sonnberger

Spielort: Palais Schönburg

Im Vorwort des (gut gemachten!) Programmheftes schreibt die Autorin und Hauptdarstellerin Beatrice Gleicher: „Ich muss es schreiben mit den Augen einer Frau, die jeden deiner Momente, ob als Kind, Star, Ehefrau oder Mutter nach zu vollziehen im Stande ist …weil ich eine Frau bin.“

Wie war’s im Gefängnis?

In dem eleganten Palais Schönburg – passend zum glamourösen Ambiente, in dem sich Hedy Kiesler, später Hedy Lamarr bewegte, bewegt sich auch das Publikum. Zu Beginn nimmt es an der Gerichtsverhandlung gegen Hedy Lamarr teil. In einem schlichten Raum im Untergeschoss wird über den Fall Hedy Lamarr verhandelt. Sie wird beschuldigt, mehrere Wäschestücke in einem Kaufhaus ohne Bezahlung mitgenommen zu haben. Doch sie kann sich mit einem „Schmäh“, mit dem sie seit ihrer Jugend alles durchsetzte, was sie wollte, herausreden. Das Publikum weiß allerdings: Diese Frau ist mit 52 Jahren am Ende ihrer Karriere, steht ohne Geld und Engagement da. Das ist die Ausgangslage des Stückes.

Nun wird im Rückblick ihr Leben in Form eines Stationentheaters aufgerollt. Interessant ist der dramaturgische Kniff, dass die junge Hedy (Florine Schnitzel) und die „alte“ (Beatrice Gleicher) oft gemeinsam auf der Bühne stehen: Da sieht Hedy Lamarr – noch immer attraktiv und mit Männern flirtend, aber doch schon von Hollywood auf die Abschussliste gesetzt – ihrem eigenen Lebensweg zu: Sieht sich als junges Mädel, das bei Max Reinhardt Schauspielunterricht nimmt, die ersten Filme dreht, unter anderem den Skandalfilm „Ekstase“. Sieht sich als Gefangene ihres ersten Ehemannes, des reichen Waffenfabrikanten Mandl, sieht sich in Hollywood.

Erfolge mit fragwürdigen Rollen

Immer wieder wird sie auf die „Skandalnudel“, die sich nicht scheute, nackt gefilmt zu werden, reduziert. Die Rollen, die ihr angeboten werden, sind seicht, geben ihr keine Möglichkeit, mehr als nur schönes Dekor zu sein. Sie gründet ihre eigene Filmgesellschaft. Florine Schnitzel verkörpert perfekt diese oberflächliche, selbstverliebteFrau, die sich Männer ohne Bedenken angelt und wieder fallen lässt. 6 Ehemänner sind ihr auf den Leim gegangen. Dazu noch zahllose Affären. Dass sie gemeisam mit dem Filmkomponisten George Antheil das „Frequency Hopping Spread Spectrum“ (FHSS) erfand, wird in einer Szene so dargestellt, als ob die Erfindung in einer verspielten Stunde geboren worden wäre. Das Leichte, Spielerische, Oberflächliche dieser Glamour-Diva war der rote Faden ihres Lebens. Sie war eine Frau, die beinhart alles durchsetzte, alles bekam, was sie wollte. Aber da war sicher noch mehr. Was ging in ihrer Seele vor? -Wie verbrachte sie ihre letzten Jahre? Nun, dieses sehr publikumswirksame und rundum unterhaltsame Theaterstück war nicht für diese Fragen konzipiert. Das Publikum folgte den Stationen des Lebens von Raum zu Raum, was natürlich für Abwechlsung und Heiterkeit sorgte. Man wird aufgefordert, Hedy auf dem Schiff in die Staaten zu begleiten. Liegestühle laden zum Sonnen (im Vestibül) ein. Zum Captainsdinner wird man in einen hübschen Salon geführt, wo an liebevoll dekorierten Tischen Fingerfood serviert wird. Oder: Man sieht in einem Spiegelzimmer den Dreharbeiten von „Samson und Delilah“ zu, wobei sich Hedy Lamarr als richtige eitle Zicke gebärdet.

Ein spielfreudiges Ensemble

Beatrice Gleicher verfügt über ein exzellente Truppe, die alle, wirklich alle toll spielen, in Blitzesschnelle von einer Rolle in die andere springen, sich Bärte aufkleben, Perücken wechseln, in neue Klamotten hüpfen. Nur so ist es möglich, mit insgesamt 9 Schauspielern das ganze Personenpanorma zu bestücken. Insgesamt ein Abend, der amüsiert. Viel Applaus.

https://ntry.at/ankunftheutehedylamarr

Peer Gynt. Ballett. Wiener Staatsoper

Choreographie und Libretto: Edward Clug, Musik: Edward Grieg, Dirigent: Guillermo Garcia Calvo

Edward Clug, seit 2015 Ballettchef des Slowenischen Nationaltheaters in Maribor, ist ein Meister seines Faches. Kaum ein anderer kann so exzellent Erzählung in Ballett/Bewegung, Tanz umsetzen!

Für die Musik wählte Clug nicht nur die Bühnenmusik Griegs zu Peer Gynt, sondern auch weitere Werke des Komponisten, die zur Textur und Dynamik des Ballettgeschehens passen. Guillermo Garcia Calvo dirigierte mit hoher Sensibiltät, immer die Tänzer im Blick. Den Klavierpart spielte Shino Takizawa sehr innig und berührend.

Edward Clug ändert an der Aussage Ibsens nichts Wesentliches: Peer Gynt ist ein junger, später alter Mann, der nie aus den Kinderschuhen herausgewachsen ist. Immer noch kehren seine Gedanken zur Mutter zurück, die ihn züchtigt und verzärtelt. Vor ihr spielt er den erfolgreichen Helden. Aber ihre Liebe erwiedert er nicht. Ebenso wenig die Liebe Solveigs. Erst am Ende seines Lebens erkennt er, welch Irrwege er gegangen ist und wie er das Wesentliche im Leben verpasst hat: eben die Liebe.

Denys Cherevychko ist in allen Phasen der Entwicklung ein überzeugender Peer Gynt: Als unbekümmerter Draufgänger, der die Hochzeit Ingrids (Eszter Ledan) stört, sich die Braut ohne Rücksicht auf den Bräutigam schnappt, mit der geheimnisvollen „Frau in Grün“ ( hinreißend wie immer: Rebecca Horner) ein Kind zeugt und entsetzt vor ihrem Trollgesicht flieht. Nichts kann ihn aufhalten, auch nicht der Tod der Mutter – ihn treibt es in die Welt hinaus! Überzeugend tanzt Cherevychko den Macho, der in Marokko Teppiche und Frauen auswählt. So lange, bis er in der Irrenanstalt landet. Dort drehen sich die Rollen um: Aus dem selbstherrlichen Macho wird ein Gefangener, von den Irren gefesselt und verhöhnt. Besonders berührend ist die Schlussszene: Gynt kehrt als alter Mann zurück, Solveig – schlicht und berührend von Nina Polatkova getanzt – erwartet ihn, kurz nur hat er die Vision, mit ihr in einem Haus zu leben. Doch der Tod holt sie ein. Sie verschwinden gemeinsam in einer Lichttür, die sich langsam schließt. Der Pas de deux Gynts mit Solveig ist von so schlichter Innigkeit, dass man vergißt, ein Ballett zu sehen. Man fühlt sich direkt in die Szene involviert.

Zsolt Török als Hirsch. Fotocredit: Ashley Taylor

Geschickt inszeniert Edward Clug die Figuren rund um Peer Gynt. Ein weißer Hirsch – hervorragend getanzt von Zsolt Török – begleitet ihn als Alter Ego durch die verschiedenen Stationen. Am Ende wird er ihn und Solveig wie ein gütiger Todesengel in das Jenseits führen, sein Geweih und die Krücken über die Tür hängen. Dem Tod, der eher ein Behüter Gynts ist, verleiht Eno Peci eine heiter-bedrohliche Note. Vladimir Shishov – endlich wieder einmal auf der Bühne zu erleben!! – ist ein eindrucksvoller Schmied. Tänzerisch wuchtig gestaltet er den Kampf gegen Peer Gynt, den er beinahe mit der Axt getötet hätte, hätte da nicht der Tod „rettend“ eingegriffen. Clug baut viele solche Momente ein, die das Geschehen in das Reich des Traumes versetzt. Vielleicht ist Peer Gynts Leben nur ein Traum, evoziert durch den Tod, der ihn von Beginn an gemeinsam mit dem Hirsch begleitet. Das Schöne an dieser Inszenierung ist eben die Vieldeutigkeit.

Nicht unerwähnt bleiben sollen die phantasievollen Kostüme (Leo Kulas), das schlichte, aber wirkungsvolle Bühnenbild von Marko Japelj und die Lichtregie von Tomaz Premzl sein. Mit diesem Team arbeitet Edward Clug schon viele Jahre zusammen.

Langer Applaus und viele Bravos für Denys Cherevychko.

http://www.staatsoper.at

„Rosmersholm“ von Ulf Stengl nach Motiven des gleichnamigen Ibsendramas. Theater in der Josefstadt

Regie: Elmar Goerden, Bühnenbild: Silvia Merlo und Ulf Stengl

Was man mit Ibsens Drama „Rosmersholm“ nicht alles anstellen kann: Figuren rausstreichen, Figuren umdeuten, alles überhaupt neu schreiben. Nur den Titel belassen – er lockt vielleicht ein literatur- und theateraffines Publikum eher an.

Also diesmal „Rosmersholm“ von Ulf Stengl. Drei Schauspieler, die großartig spielen, manchmal etwas überdreht, aber zur Rolle passend: Katharina Klar.

Die Bühne: Ein Landhaus sollte es sein, irgendwo weit abgeschieden. Statt dessen: Ein leerer Raum – eingerahmt von grünchangierenden Lamellen. Keine Requisiten. Das Bettzeug für den unerwarteten Gast Kroll wird auf dem Boden ausgebreitet. Als Erinnerungszitat, dass wir uns in einem ziemlich noblen Landhaus befinden, steht dann plötzlich ein hölzerner Bauernsessel auf der Bühne. Etwas lächerlich wirkende avantgardisitische Bemühtheit.

Das Match zwichen Links und Rechts

Im ersten Teil matchen sich der Gutsbesitzer Johannes (Herbert Föttinger) und der linke Journalist Kroll (Joseph Lorenz). Die Freunde haben einander ein Jahr lang nicht gesehen. Der Grund des unerwarteten Besuches: Kroll hat einen ziemlich rechtslastigen Artikel auf einer Naziplattform entdeckt, der mit dem Namen seines Freundes unterschrieben ist. Entsetzt über die politische Kehrtwendung seines Freundes hält er ihm eine politische Standpauke. Johannes rechtfertigt sich mit lahmen Argumenten, zuletzt damit, dass er den Artikel gar nicht selbst hineingesetzt hat. Der Diskussion der beiden um populistische Ansichten kann man ein gewisses Niveau nicht absprechen, sie geht aber nicht über die schon oft und allerortens zitierten Schlagwörter hinaus. Dennoch:: Herbert Föttinger als behäbig gewordener Literaturprofessor und Joseph Lorenz als leicht herabgekommener, linker Journalisten faszinieren durch ihre intensive Darstellung. Das ist Schauspielkunst vom Feinsten: Oft Gehörtes und allzu oft in TV-Debatten Abgespultes zum schauspielerischen Erlebnis gestalten! Joseph Lorenz in einer gänzlich neuen Rolle: leicht angealtert, in einem rosa Regenmantel, aus dem er sich mühselig herausarbeiten muss, zunächst verlegen, dann mit scharfer Argumentation gegen seinen Freund vorgehend, erinnert an so manche Thomas-Bernhard-Figuren: Kritisch, nörgelnd, mit moralischem Zeigefinger, Recht habend, auch Recht haberisch. Herbert Föttinger ist ein weichlicher, unsicherer Mann, der es sich längst schon unter der manipulativen Fuchtel der rasenden Rebekka bequem gemacht hat.

Match zwichen altem Mann und junger Furie

Katharina Klar, seit 2019 neu in der Josefstadt, spielt die Rebekka sehr mutig: so richtig widerlich. Man möchte sie von der Bühne stoßen, ihr den Mund stopfen. Ihr Outfit imitiert perfekt ein Jungmitglied der AFD oder sonst einer Rechten. Auffallend oft schimpft sie auf alles und drückt ihren Frust mit Fäkalienwörtern aus, weil ihr die differenzierte Sprache fremd zu sein scheint. Ihre Aktionen sind radikal und provokant, als wäre sie ein Teenager am Gipfel der Pubertät. Man muss den Einsatz, mit dem Katharina Klar diese Rolle bis zur Selbstverleugnung ausspielt, bewundern.

Immer dort, wo ein wenig Ibsen durchschimmert, wird es spannend. Etwa, wenn es um die Frage geht, wer am Selbstmord der Ehefrau Rosmers Schuld hat. Nach einer Schrei-Schlacht, in der sich beide in lächerlicher Weise mit Alkohol überschütten und dann vielleicht mit einem Feuerzeug anzünden – oder doch nicht, man weiß es nicht so genau – stehen beide in verzweifelter Umarmung. Nach dem beiderseitigen Schuldgeständnis folgt die Erschöpfung.

Applaus und Bravorufe für die Leistung aller drei Schauspieler.

http://www.josefstadt.org

Véronique Olmi: Bakhita. Hoffmann und Campe Verlag

Aus dem Französischem von Claudia Steinitz

Sie ist fünf Jahre alt, als sie von Banditen aus ihrem Dorf im Sudan entführt und nach einem langen und qualvollen Marsch durch die Wüste auf dem Sklavenmarkt in El Obid verkauft wird. Dass sie nicht zusammenbricht, seelisch verkrüppelt, verdankt sie nur ihrer Fähigkeit, ihre Seele wie ein Segel einzuziehen, sich von dem Leid abzukapseln. In Karthoum kommt sie in das Haus des italienische Konsuls und kann sich von ihren körperlichen Schmerzen ein wenig erholen. Als dieser samt Familie den Sudan Richtung Italien verlässt, setzt sie es durch, dass er sie mitnimmt. Sie wird eine sanftmütige Dienerin in einer italienischen Familie, rettet deren Baby vor dem sicheren Tod, muss nochmals mit in den Sudan, wo all ihre entsetzlichen Erinnerungen wieder aufkeimen. Zurück in Italien kann sie Ruhe in einem Kloster in Venedig und anderen Orten finden, wo sie bis zu ihrem Tod als Nonne lebt und von allen sehr geliebt und geschätzt wird. Ihre Stärke ist das Zuhören. Obwohl sie ihre Muttersprache längst vergessen und nie das Italienische wirklich gelernt hat, wird sie immer wieder aufgefordert, über ihr Leben zu erzählen. Daraus wird ein Buch – die Quelle dieser Romanbiografie.

Stilistisch großartig! Véronique Olmi gelingt es, der Sklavin und späteren Nonne Bakhita eine entsprechende Stimme, Ausdruck zu geben. Mit kurzen, oft fragmentarisch wirkenden Sätzen beschreibt die Autorin all die körperlichen Leiden – für den Leser fast unerträglich deutlich – und alle seelischen Vorgänge.

http://www.hoffmann-und-campe.de

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Elisabeth-Joe Harriet: „Hat sich mir gemocht a Schmerz.“ Eden Bar

Literarisch-musikalischer Abend. Eine Reise durch jüdisches Leben.

Klavier und Geige: Bela Fischer

Wehmütig seufzt die Geige. Sie stimmt uns ein. Auf einen Abend mit Schmerz, Schmunzeln und Lachen. Elisabeth-Joe Harriet, für Verzauberung der vielfältigsten Art zuständig, führt das Publikum in der schummrigen Eden Bar durch das jüdische Leben im Jahreskreis. Gleich jammert und singt sie los: „Oje, oje, hab ich mir aus dem Mantel a Röckle gemacht. Weil das in Teile zerfiel, hab ich mir a Häubl gemacht …bis nix mehr übrig blieb als a Schnipsl und am End a Lidl.“ – In Liedform ist die jüdische Philosophie und Lebenskunst zusammengefasst – die da meint: Aus dem Wenigen doch Großes – „a Lidl“ – machen! Begleitet von Bela Fischer auf der Geige und am Klavier führt die Künstlerin ihr Publikum in das Leben einer jüdischen Gemeinde ein, erzählt über den Rabbi als zentrale Auskunftstelle für alles und jedes. Zur Auflockerung bringt sie jüdische Witze. Sie alle – nämlich die Witze – leben von diesem „Loch“ zwischen Anlauf und Auflösung, der Kunstpause, die die Überraschung vorbereitet. Harriet nennt es „Ellipse“. Ein köstliches Beispiel sei hier zitiert (Kurzfassung): Ein altes Ehepaar beim Abendmahl. Sagt er: „Wenn einer von uns beiden stirbt, ziehe ich nach Paris.“

Eine Schikse wie ich weiß nichts über jüdische Feste. Für solche kam der Abend gerade richtig! Beste Gelegenheit, über Ursprung und Inhalt etwa des Purim- oder Pessachfestes informiert zu werden. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass die jüdische Frau sich am Schabbat nicht frisieren darf – das ist Arbeit und daher verpönt. Eine Perücke löst das Problem elegant. All das und mehr hat Elisabeth-Joe Harriet in einem informativen Büchlein zusammengefasst, illustriert mit Porträts des jüdischen Malers Isidor Kaufmann (1853-1921):

„Jüdischer Festkalender mit Humorbeigaben. Was Sie schon immer nicht gewusst haben! “ Hrsg. Elisabeth-Joe Harriet. Verlag Austria Nostra.

Jeder Besucher bekam auch einen Handzettel mit einer Zusammenfassung der wichtigsten jüdischen Wörter, die zum Teil auch im Wienerischen Eingang fanden, und einigen Sprichwörtern. – „Eine jüdische Seele kann man nicht ergründen“ oder „Eine Frau stellt einen auf die Füße und wirft einen von den Füßen“ – nachzulesen ebenda. In Zukunft werde ich keine E-Mails, sondern „Blizbrife“ versenden. Meschigeh!

http://www.elisabeth-joe-harriet.com

Great Voices im Wiener Konzerthaus: Juan Diego Flórez

Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland – Pfalz

Dirigent: Jader Bignamini

Die Sänger und Sängerinnen , die im Rahmen von“Great Voices“ im Konzerthaus auftreten, haben längst in den Herzen des Publikums einen fixen Platz. Zwischen den Künstlern und dem Publikum herrscht eine fast regelhafte Übereinkunft: Der Künstler gibt sein Bestes, das Programm ist gefällig. Das Publikum dankt mit rauschendem Beifall. So wird es immer ein Fest.

Erst recht, wenn Publikumsliebling Flórez auftritt. Zuerst wärmt er sich und die Zuhörer mit zwei Ohrwürmern aus der Oper „Rigoletto“ auf: „Questa o quella“ – dem Feschak nimmt man den leichtsinnigen Grafen ungeschaut ab. Auch seinen kurzfristigen Schmerz über den Verlust seines lieben Engels: „Ella mi fu rapita“. Danach mischt er geschickt wenig Bekanntes ins Programm: „Oh dolore“ aus Verdis Oper „Attila“. Da gelingt es Flórez, mit schlichtem Gesang, ohne große Gestik in die Tiefe eines Schmerzes hineinzugleiten, was ja bei einem Liederabend besonders heikel ist. Denn allzu leicht entblößen sich Gesten, die, weil schon oft gesehen, als hohl. Na ja, und irgendwann will und muss – vom Publikum erwartet -er seine Leichtfüßigkeit in der Höhe demonstrieren. Das tut er gekonnt und ohne Anstrengung am Ende der Arie „Odio solo..“ aus Verdis „I due Foscari“: Atmen, kurze Pause, um dann mit weit ausgebreiten Armen und leicht zurückgebeugtem Oberkörper die Höhe zu erklimmen. Wie zu erwarten: Das Publikum jubelt. Nach der schlicht vorgebrachten Liebesarie aus „La Traviata“ geht es in die Pause.

Um danach mit dem Hit „Dein ist mein ganzes Herz“ aus Lehars „Land des Lächelns“ die Herzen vor allem der Damen höher schlagen zu lassen. Operette muss wohl sein an so einem Abend, um nicht hinter Kaufmann und Beczala zurück zu bleiben. Hier mein ganz persönlicher Eindruck: Flórez macht es noch besser als seine Kollegen. gerade weil seine Interpretation verhalten und schlicht ist. Danach mit Augenzwinkern und leichtem Lächeln, das andeutet: „Sorry, aber dieses Lied gibt es nun einmal“: Lehars allgemeine Huldigung an die Schönheit der Frauen: „Gern hab ich die Frauen geküsst“. Da fiele wohl keiner Frau im Zuschauerraum ein, sich über die Existenz des Liedes und seiner Interpretation aufzuregen. #MeToo hin oder her! Nach dem Reißer „Freunde, das Leben ist lebenswert“ kehrt wieder die Klassik ein: Nach Werthers „Pourquoi me réveiller“ die innig gesungene Unterwerfung Don Josés unter Carmen: „La fleur que tu m´avais jetée“ und dem leisen Vorstellungslied Rodolfos aus der „Bohème“ „Che gelida manina“ beginnt das gemeinsame „Feiern“ – heißt: das Publikum tobt und erklatscht sich 5! – fünf!! – Zugaben. Eh klar, mit Gitarre: Zuerst das bekannte Lied von Carlos Gardel: El dia che mi chieras. Nicht ganz Gardel, ein wenig Tango, sehr viel Flórez-Charme. Dann auf Zuruf aus dem Publikum „Cucurrucucu -paloma“ – „Granada“ reißt das Publikum endgültig von den Sitzen. Zuletzt – welche Überraschung: „Nessun dorma“ – nein, da hat wirklich keiner geschlafen!! Eine Zugabe ist mir durchgerutscht. sorry!

http://www.greatvoices.at

Nächstes Konzert im Rahmen von „Great Voices“: Anita Rachvelishwili am 19. Jänner 20120

http://www.konzerthaus.at

Shakespeare: Hamlet. Landestheater Niederösterreich

Inszenierung: Rikki Henry, Bühne: Max Lindner. Kostüme: Cedrik Mpaka. Musik: Nils Strunk. Licht: Günter Zaworka

Rikki Henry ist ein junger Regisseur aus London. Als er an das Münchner Landestheater kam, lernte er Martin Kusej und Ulrich Rasche kennen. Von letzterem stammt das geflügelte Wort: „Theater muss unangenehm sein!“. Henry hat diese These inhaliert.

An Hamlet glauben viele Regisseure, sich abarbeiten zu dürfen, ihn neu erfinden zu müssen. Denn was Shakespeare so geschrieben hat, sei klassisch-bieder, fad. Deshalb Hamlet neu. So auch am Landestheater.

Hamlet ist ein spätpubertierender Jungerwachsener, eher noch ein Jugendlicher. Er träumt davon, den Mord an seinem Vater zu rächen. Im Traum stellt er Szenen so um, wie er sie haben möchte: Da bricht er dem Onkel und seiner Mutter das Genick – man hört die Knochen knacken und knirschen. Er schickt die Ophelia ins Kloster, aber sie geht nicht, statt dessen beginnt sie von „Sein und Nichtsein“ zu delirieren. Wirklich wahnsinnig scheint sie nicht zu werden. Aber sehr wohl fühlt sie sich nicht in ihrer Rolle zwischen Ophelia aus Shakespeare und dem Handy, mit dem sie vielleicht mit Hamlet oder Gott oder mit niemandem kommuniziert. Ertrunken findet man sie in der Wasserschüssel. Darf gelacht werden? Einige finden ja. Es gibt auch wirklich witzige Einfälle, die ein wenig die Langeweile, die diese Inszenierung verbreitet, mit Staunen durchmischt: Der Königshof guckt mit 3D-Brillen dem Schauspiel zu, in dem der Mord an Hamlets Vater nachgespielt wird. Ganz lustig, Wieder hie und da ein Lacher. Man ist irgendwie auch wirklich dankbar für solche Szenen. Denn: Den Text, den die Schauspieler so zwischen Hochsprache und Gags von sich geben (da reimt sich peinlicher Weise „Mutter“ auf „kaputter“, dann meint Claudius: Wir müssen den Hamlet los werden, sonst sehen wir alt aus) ist streckenweise kaum zu verstehen. Muss ja nicht sein – meint wohl der Regisseur, denn er bedient ja das Publikum mit genug Gags.

Am Ende viel Applaus und einige brummen und brüllen. Sind jetzt Tierlaute statt Bravorufen die Form der Akklamation, die zum „neuen Theater“ passen?

Ehrlich: Mir ist ein klassischer Hamlet lieber, da lasse ich mich gerne gestrig oder bieder schimpfen.

http://www.landestheater.net